Urteilsanalyse
Voraussetzungen eines Anerkenntnisurteils in der Revision
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Ein vor dem Ende der mündlichen Verhandlung über die Revision gestellter Antrag des Klägers auf Erlass eines Anerkenntnisurteils ist nach Ansicht des BGH nicht deshalb unwirksam, weil der Kläger auf das vor Eingang seiner Revisionsbegründung abgegebene Anerkenntnis hin zunächst erklärt hat, ein Antrag nach § 555 III ZPO solle nicht gestellt werden, und zu Beginn der mündlichen Verhandlung ein streitiges Urteil beantragt hat. Ein diesbezügliches Verhalten des Klägers begründet auch kein Recht zum Widerruf eines wirksam abgegebenen Anerkenntnisses.

2. Nov 2021

Anmerkung von
Richter am KG Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 22/2021 vom 29.10.2021

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Sachverhalt

K begehrt die Zahlung einer Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung iHv 600 EUR nebst Zinsen. Hinsichtlich eines Teilbetrages von 300 EUR erklären die Parteien den Rechtsstreit in erster Instanz übereinstimmend für erledigt. Im danach noch anhängigen Umfang hat die Klage in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Dagegen wendet sich K mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

Die zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der B erkennen die Klageforderung vor Eingang der Revisionsbegründung an. K erklärt dazu, ein Antrag nach § 555 III ZPO solle nicht gestellt werden. Ebenfalls noch vor Eingang der Revisionsbegründung teilen die zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der B dann mit, diese ziehe ihr Anerkenntnis nun „zurück“ und werde beim BGH zugelassene Rechtsanwälte mit ihrer weiteren Vertretung betrauen. Nach Eingang der Revisionsbegründung tritt B dem Rechtsmittel entgegengetreten. In der mündlichen Verhandlung stellt K die in seiner Revisionsbegründung angekündigten Anträge, B beantragt die Zurückweisung. Im weiteren Verlauf der Verhandlung beantragt K dann aber doch den Erlass eines Anerkenntnisurteils. Fraglich ist, ob die Voraussetzungen dafür noch vorliegen. Der BGH bejaht die Frage.

Entscheidung: B ist ihrem Anerkenntnis gemäß zu verurteilen!

Das von B abgegebene Anerkenntnis sei wirksam erklärt worden. Denn ein nicht beim BGH zugelassener Rechtsanwalt könne den Klageanspruch für die von ihm vertretene Partei in der Revisionsinstanz jedenfalls dann wirksam anerkennen, wenn der Kläger – wie im Fall – seine Revision noch nicht begründet habe (Hinweis auf BGH NJW-RR 2014, 831 Rn. 4 ff. = FD-ZVR 2014, 359538 mAnm Elzer).

K habe auch den nach § 555 III ZPO erforderlichen Antrag auf Erlass eines Anerkenntnisurteils wirksam gestellt. Dieser Antrag sei auch dann erforderlich, wenn das Anerkenntnis vor Beginn der mündlichen Verhandlung abgegeben worden sei (Hinweis auf BGH NJW 2019, 3582 Rn. 9 = FD-ZVR 2019, 421257 mAnm Toussaint). Der Antrag sei wirksam, obwohl K zuvor erklärt hatte, einen solchen Antrag nicht zu stellen. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob ein Kläger auf sein Recht, einen Antrag nach § 555 III ZPO zu stellen, überhaupt wirksam verzichten könne. K’s Erklärung lasse sich ein solcher Verzicht jedenfalls nicht entnehmen. Sie habe zwar die Ankündigung enthalten, dass K ein streitiges Revisionsurteil anstrebt. Die Erklärung habe aber keine endgültige Verfügung über das Antragsrecht oder eine Verpflichtung enthalten, an der angekündigten Vorgehensweise unter allen Umständen festzuhalten. K habe sein Antragsrecht auch nicht dadurch verloren, dass er in der mündlichen Verhandlung zunächst eine streitige Entscheidung beantragt habe. In dieser Erklärung könne ebenfalls kein endgültiger Verzicht auf das Antragsrecht gesehen werden. Der Zweck des § 555 III ZPO stehe einem erst im Verlaufe der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag nicht entgegen. Eine zeitliche Grenze für die Ausübung dieser Wahlmöglichkeit sehe das Gesetz nicht vor.

B habe ihr Anerkenntnis schließlich auch nicht wirksam widerrufen. Ein Anerkenntnis sei eine Prozesshandlung und könne deshalb grds. weder angefochten noch widerrufen werden. Eine besondere Konstellation, in der ein Widerruf ausnahmsweise zulässig sei, liege nicht vor. K habe nicht sicher davon ausgehen können, wie der Senat in der Sache entscheiden würde (vgl. dazu nunmehr die Urteile in vier Parallelsachen vom selben Tag: X ZR 79/20 [für BGHZ vorgesehen], 81/20, 106/20, 107/20). Ein Widerruf sei auch nicht möglich, weil K zunächst angekündigt habe, keinen Antrag auf Erlass eines Anerkenntnisurteils zu stellen. Ein prozessuales Anerkenntnis sei keine auf den Abschluss eines Vertrags gerichtete Erklärung. Auch ein im schriftlichen Vorverfahren erster Instanz abgegebenes Anerkenntnis verliere seine Wirkung nicht dadurch, dass der Kläger in einer nachfolgenden mündlichen Verhandlung ein Versäumnisurteil beantragt oder streitig zur Sache verhandelt habe (Hinweis auf BGH NJW 1993, 1717 – juris Rn. 10 ff.).

Praxishinweis

§ 555 III ZPO schränkt die Dispositionsmaxime zugunsten des öffentlichen Interesses an einer höchstrichterlichen Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen ein. Der Beklagte soll es nicht in der Hand haben, ein ihm ungünstiges Grundsatzurteil durch Anerkenntnis abzuwenden (BT-Drs. 17/13948, 35; s. auch die Hinweise von Toussaint FD-ZVR 2019, 421257). Die Entscheidung darüber, ob ein streitiges Urteil ergeht, ist den Parteien aber nicht vollständig entzogen. Vielmehr liegt es nach dem Gesetz in der Hand des Klägers, ob er die ihm günstigen Wirkungen eines Anerkenntnisses in Anspruch nehmen oder eine Grundsatzentscheidung herbeiführen will (BT-Drs. 17/13948, 35).

Danach überzeugt die BGH-Entscheidung und überrascht nur auf den ersten Blick. Sie ist für viele Grundsätze zu §§ 307, 555 ZPO eine echte Fundgrube. Denn der X. Zivilsenat hatte im Übrigen auch noch geprüft, ob die Berufung des K auf das Anerkenntnis gegen Treu und Glauben verstößt. Er mochte hierfür aber keine Anhaltspunkte erkennen. K habe nicht sicher davon ausgehen können, wie der Senat in der Sache entscheiden würde. K habe schließlich auch keinen Vertrauenstatbestand geschaffen. Dieser Vertrauenstatbestand sei aber jedenfalls nicht schutzwürdig gewesen.

BGH, Urteil vom 21.09.2021 - X ZR 33/20, BeckRS 2021, 30599