Urteilsanalyse
Voraussetzungen einer Eigenbedarfskündigung eines Wohnraummietvertrages aus DDR-Zeiten
Urteilsanalyse
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Ein DDR-Formularmietvertrag mit der Regelung „das Mietverhältnis endet durch: a) Vereinbarung der Vertragspartner, b) Kündigung durch den Mieter, c) gerichtliche Aufhebung“, ist - so das LG Berlin - nur dann wegen Eigenbedarfs des Vermieters kündbar, wenn dieser nach dem allgemeinen Gesetzesverständnis des § 122 Abs. 1 Satz 1 ZGB-DDR „dringend“ ist. Die Anwendung der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB kann insoweit dahinstehen. 

2. Feb 2023

Anmerkung von
Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff, Rechtsanwältin Franziska Bordt, Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 02/2023 vom 02.02.2023

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Sachverhalt

Der Kläger begehrt die Räumung und Herausgabe einer an den Beklagten vermieteten Wohnung aufgrund Eigenbedarfskündigung. Der Wohnraummietvertrag, der zu DDR-Zeiten abgeschlossen worden ist, enthält zur Beendigung des Mietverhältnisses folgende Klausel:

„Das Mietverhältnis endet durch: a) Vereinbarung der Vertragspartner, b) Kündigung durch den Mieter, c) gerichtliche Aufhebung“.

Die Eigenbedarfskündigung begründete der Vermieter damit, dass er zurzeit zur Miete wohne und durch den Einzug in seine Wohnung seine Lebenshaltungskosten reduzieren würde.

Das AG hat der Klage stattgegeben und die Beklagten zur Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Wohnung verurteilt. Der Eigenbedarf sei begründet und es liege keine besondere Härte beim Mieter vor.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten.

Entscheidung

Die Berufung hat Erfolg.

Die Eigenbedarfskündigungen des Klägers habe das Mietverhältnis nicht beendet.

Einer abschließenden Entscheidung, ob der von dem Kläger behauptete Eigenbedarf gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB überhaupt bestehe, bedürfe es nicht. Denn die streitgegenständliche Kündigung rechtfertige schon wegen der im Mietvertrag enthaltenen Regelung nicht die Kündigung des Mietverhältnisses.

Bei der Regelung in Ziffer IX. des Mietvertrags handle es sich zwar nicht um eine vertragliche Regelung, nach der die Geltendmachung von Eigenbedarf durch den Vermieter vollständig ausgeschlossen werde. Allerdings werde die Geltendmachung von Eigenbedarf durch die konkludente Inbezugnahme der §§ 120 ff. ZGB-DDR („Das Mietverhältnis endet durch: … c) gerichtliche Aufhebung“) unter die durch § 122 Abs. 1 ZGB-DDR angeordnete weitere Wirksamkeitsvoraussetzung für die Eigenbedarfskündigung gestellt, dass die Wohnung vom Vermieter „dringend“ benötigt werde. Es handle sich um eine den Kläger gemäß § 566 Abs. 1 BGB bindende Klausel, die in ihrer Wirkung der einer gesetzesverstärkenden Bestandsschutzklausel entspreche. Deren Voraussetzungen seien hier allerdings nicht erfüllt:

Gemäß Art. 232 § 2 EGBGB richteten sich Mietverhältnisse aufgrund von Verträgen, die vor dem Wirksamwerden des Beitritts geschlossen worden sind, von diesem Zeitpunkt an nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Art. 232 § 2 EGBGB knüpfe an die bestehenden und unter der Geltung des Zivilgesetzbuchs der DDR geschlossenen Mietverträge an und stelle sie den unter der Geltung des BGB geschlossenen Verträgen gleich. In der Folge sollen vertragliche Regelungen, die unter der Geltung des ZGB-DDR wirksam vereinbart wurden, den Vorschriften des BGB vorgehen, soweit sie nicht gegen zwingendes (Miet-)Recht verstoßen. Nach dem Regelungsregime des ZGB-DDR sei zwar eine vermieterseitige Kündigung nicht ausdrücklich vorgesehen gewesen. Jedenfalls im Ergebnis sei aber auch nach dem ZGB-DDR die Beendigung eines Mietverhältnisses gegen den Willen des Mieters gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 ZGB-DDR durch das Gericht auf Verlangen des Vermieters möglich gewesen. Als möglicher Grund für die Aufhebung eines Mietverhältnisses sei nach § 122 Abs. 1 Satz 1 ZGB-DDR der Eigenbedarf des Vermieters anerkannt gewesen. Demnach sei eine Aufhebung des Mietverhältnisses möglich, wenn der Vermieter die Wohnung „dringend“ benötige.

Bei Ziffer IX. des Mietvertrags handle es sich somit um eine vertragliche Vereinbarung, die Vorrang vor den Vorschriften des BGB und hier insbesondere vor § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB habe.

Ausgehend davon seien Maßstab für die Eigenbedarfskündigungen des Klägers die §§ 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB i.V.m. der in Ziffer IX des Mietvertrags getroffenen Regelung. Die Beendigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs des Klägers stehe damit unter der verschärften Kündigungsvoraussetzung, dass der Kläger die Wohnung - aus gesellschaftlich gerechtfertigten Gründen - „dringend“ benötigt. An dieser Dringlichkeit fehle es.

Zur Bestimmung, was die Vertragsparteien bei Abschluss des Mietvertrages als „dringendes“ Benötigen angesehen haben, sei das zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorherrschende allgemeine Gesetzesverständnis des in Ziffer IX. des Mietvertrags konkludent in Bezug genommenen § 122 Abs. 1 Satz 1 ZGB-DDR maßgebend. Als „dringend“ nach dieser Vorschrift sei der Eigenbedarf vor allem dann angesehen, wenn die derzeitigen Wohnverhältnisse des Vermieters den „gesellschaftlich anerkannten Wohnansprüchen nicht genügen, insbesondere in ihrer Größe unzureichend sind, und wenn diese Bedürfnisse durch Inanspruchnahme der Wohnung des Mieters oder einzelner Räume davon befriedigt werden können“.

Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt, da der alleinlebende Kläger zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs und auch noch heute eine 3-Zimmer-Wohnung mit einer Größe von 70 m² innehalte und weder vorgetragen noch ersichtlich sei, dass der Bestand dieses Mietverhältnisses gefährdet wäre.

Auch im Übrigen seien berechtigte Interessen des Klägers, wegen derer er die Wohnung dringend benötige und die eine Beendigung des Mietverhältnisses notwendig machten, durch den geltend gemachten Eigenbedarf nicht berührt. Ein besonderer Ausnahmefall, in dem der Kläger als Vermieter die Wohnung dringend benötige und die Interessen der Beklagten zurückstehen müssten, liege nicht vor. Vor diesem Hintergrund könne dahinstehen, ob sich der Beklagte zu Recht auf den Härteeinwand des §§ 574 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB berufen habe, wonach der Mieter der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses auch dann verlangen könne, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden könne.

Die Revision werde gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, um eine höchstrichterliche Klärung der Auswirkungen vertraglicher Kündigungsregelungen auf die heutige Befugnis des Vermieters zur Kündigung eines auf einem DDR-Altmietvertrag beruhenden Wohnraummietverhältnisses zu ermöglichen

Praxishinweis

Dem Urteil ist nicht zuzustimmen.

Das LG Berlin stellt zunächst richtig fest, dass Art. 232 § 2 EGBGB der Fortgeltung einer unter Geltung des ZGB-DDR getroffenen vertraglichen Regelung über die Beendigung des Mietverhältnisses nicht entgegensteht, sofern diese Regelung nicht gegen zwingendes Recht - entweder bereits im Zeitpunkt ihrer Vereinbarung gegen geltendes Recht nach ZGB-DDR oder nach dem 03.10.1990 gegen zwingende Vorschriften des BGB – verstößt (zu in Altverträgen geregelten Kündigungsfristen: BGH, Urteil vom 06.04.2005 - VIII ZR 155/04, NJW 2005, 1572). Dies gilt für alle für das Mietverhältnis relevanten Sachverhalte, die vor dem Beitritt abgeschlossen waren, da anderenfalls Art. 232 EGBEB eine verfassungsrechtlich unzulässige echte Rückwirkung zukäme (BGH, Urteil vom 17.03.1999 - XII ZR 101/97, NZM 1999, 478; Bub in Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 5. Auflage 2019, Kap. II, Rn 732).

Zwar sei – so das LG Berlin – die vertragliche Kündigungsmöglichkeit des Vermieters nicht vorgesehen, sondern lediglich der Wortlaut der gesetzlichen Norm wiedergegeben. Hiernach soll das Mietverhältnis auch durch eine „gerichtliche Aufhebung“ enden können. Eine gerichtliche Aufhebung könne auch gem. § 122 Abs. 1 ZGB-DDR auf Eigenbedarf des Vermieters gestützt werden. Daraus schlussfolgert das LG Berlin, dass es keinen Widerspruch zwischen der vertraglichen Regelung und dem BGB gebe und damit erstere Vorrang genieße.

Allerdings verkennt das LG Berlin dabei, dass der Widerspruch bereits darin liegt, dass die im Vertrag vorgesehene gerichtliche Aufhebung – als einzige indirekte Möglichkeit des Vermieters, das Mietverhältnis zu kündigen – im BGB nicht (mehr) vorgesehen ist. Auch der Vermieter kann das Mietverhältnis ordentlich kündigen, er benötigt hierfür lediglich ein berechtigtes Interesse, zB Eigenbedarf gem. § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB als Kündigungsgrund. Hierdurch wird die Vertragsklausel über die gerichtliche Aufhebung des Mietverhältnisses ersetzt (Sonnenschein, PiG 38, 43 f.). Das Mietrecht nach dem BGB tritt damit an die Stelle der vertraglichen Vereinbarung. Denn diese verstößt gegen wesentliche Grundgedanken des geltenden gesetzlichen Mietrechts (so auch zum Gewerberäummietverhältnis: OLG Naumburg, Beschluss vom 07.05.2007 - 9 U 52/07, BeckRS 2008, 2899) Vorliegend hätte das LG Berlin die Eigenbedarfskündigungen nach den BGB-Vorschriften prüfen und sich mit den Argumenten der Vorinstanz auseinandersetzen müssen.

G Berlin, Urteil vom 15.12.2022 - 67 S 221/22 (AG Berlin-Mitte), BeckRS 2022, 39369