Urteilsanalyse
Voraussetzungen des konkludenten Abschlusses eines Mietvertrages über Gewerberäume
Urteilsanalyse
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Geht aus dem einer Partei übersandten und von der anderen Partei bereits unterzeichneten Mietvertragsentwurf deutlich hervor, dass eine schriftliche Unterzeichnung erfolgen sollte und daher der Text "zur Unterzeichnung" übersandt werde, liegt nach einem Beschluss des OLG Dresden vom 30.09.2020 in der Übergabe der Räumlichkeiten keine konkludente Annahme des Mietvertrages, insbesondere wenn der Text des übersandten Vertrages ausdrücklich eine vorzeitige Übergabe vorsieht.

20. Nov 2020

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub und Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff
Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München, Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 22/2020 vom 19.11.2020

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Sachverhalt

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Feststellung in Anspruch, dass zwischen den Parteien kein Gewerberaummietvertrag zustande gekommen ist und begehrt Rückzahlung der von ihr erbrachten Anzahlung auf die Mietkaution in Höhe von 460 EUR.

Die Klägerin erhielt von der Beklagten, der Grundstückseigentümerin, über die Hausverwaltung per E-Mail den Entwurf eines Mietvertrages, welcher ua folgende Regelungen enthielt:

 „§ 2 (Mietzeit, Übergabe und Optionsrecht)

(1) Das Mietverhältnis beginnt am 01.09.2019 (zum Tag der Übergabe) und endet am 31.08.2024 (Festmietzeit). Eine etwaig frühere Übergabe der Mieteinheit ist möglich.

(2) Der Mieter hat keinen Anspruch auf vorzeitige Übergabe. [...]

§ 21 (Schriftform, Abänderung des Vertrages und Rechtswirksamkeit)

(1) Dieser Vertrag enthält alle zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Regelungen bezüglich des Mietverhältnisses. Mündliche Nebenabreden bestehen nicht.

(2) Abänderungen des Vertrages und zusätzliche Vereinbarungen jeder Art bedürfen der Schriftform. Auf die Schriftform kann nur schriftlich verzichtet werden. [...]

(6) Wird dieser Mietvertrag zunächst nur von einer Partei unterzeichnet und der anderen Partei zur Unterzeichnung ausgehändigt oder übersandt, so gilt dies als Angebot zum Abschluss des Mietvertrages, das die andere Partei gemäß § 148 BGB innerhalb einer Frist von 3 Wochen (Datum - muss vor dem Vertragsbeginn liegen) wirksam annehmen muss. Die Frist berechnet sich ab Unterzeichnung der ersten Partei. Für die Fristwahrung ist der Zugang der Annahmeerklärung maßgeblich.“

Am 05.08.2019 übergab die Klägerin einem Mitarbeiter der Hausverwaltung zwei jeweils von ihr unterschriebene Exemplare des Mietvertragsentwurfes. Die Klägerin erhielt im Gegenzug die Schlüssel zum Mietobjekt, und es wurde ein Übergabeprotokoll gefertigt. Zudem schlossen die Klägerin und die Hausverwaltung eine auf den 03.08.2019 datierte Vereinbarung über die Zahlung einer Sicherheitsleistung (Kaution) für Ansprüche des Vermieters gegen den Mieter aus dem Mietvertrag in Höhe von 1.380 EUR, worauf die Klägerin einen Teilbetrag von 460 EUR auf das Vermieterkonto zahlte.

Am 28.08.2019 erklärte die Klägerin gegenüber der Beklagten, dass aus ihrer Sicht sei kein Gewerberaummietvertrag zustande gekommen sei, weil ihr bis zum 26.08.2019, also innerhalb der Frist von drei Wochen aus § 21 Abs. 6 des Vertragsentwurfes, keine Annahmeerklärung der Beklagten zugegangen sei. Vorsorglich erkläre sie die ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Termin und forderte die Rückzahlung der Teilkaution.

Am 29.08.2019 sandte sie die Schlüssel zum Mietobjekt per Einschreiben an die Beklagte. Für die Beklagte erklärte die Hausverwaltung mit Schreiben vom 17.10.2019, welchem eine Kopie des beidseitig unterschriebenen Mietvertrages beigefügt war, sie bestätige die ordentliche Kündigung des aus ihrer Sicht zustande gekommenen Mietvertrages zum 31.08.2024 und fordere die Klägerin auf, rückständige Miete für die Monate September und Oktober 2019 sowie die 2. Rate der Mietkaution auf das im Mietvertrag angegebene Vermieterkonto zu zahlen. Die postalische Zusendung der Schlüssel des Mietobjektes durch die Klägerin betrachte sie nicht als reguläre Rückgabe der Mieteinheit.

Das Landgericht hat mit dem Urteil vom 09.07.2020 festgestellt, dass zwischen den Parteien kein Gewerberaummietvertrag über das streitgegenständliche Mietobjekt zustande gekommen ist und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 460 EUR zu bezahlen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.

Entscheidung

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.

In der Unterzeichnung des Vertragsentwurfes durch die Klägerin am 05.08.2019 liege ein Antrag auf Abschluss eines Gewerberaummietvertrages über das streitgegenständliche Mietobjekt iSv § 145 BGB, welchen aber die Beklagte nicht innerhalb der Annahmefrist von drei Wochen ab Unterzeichnung durch die Klägerin, welche in § 21 Abs. 6 des Vertragsentwurfes bestimmt war, angenommen habe.

Eine Annahme des Vertragsangebots innerhalb der laufenden Annahmefrist habe die Beklagte bereits nicht vorgetragen, jedenfalls aber sei sie für die von der Klägerin bestrittene Behauptung eines rechtzeitigen Zuganges beweisfällig geblieben.

Mit der tatsächlichen Übergabe der Räume an die Klägerin am 05.08.2019 sei keine (konkludente) Erklärung der Beklagten verbunden gewesen, sie nehme das Angebot der Klägerin auf Abschluss des Gewerberaummietvertrages an.

Es könne offenbleiben, ob der Mitarbeiter der Hausverwaltung die Vertretungsmacht besaß, für die Beklagte die Annahme des klägerischen Angebots auf Abschluss eines Gewerberaummietvertrages (konkludent) zu erklären. Die Auslegung seines Verhaltens im Rahmen der Übergabe der Räume an die Klägerin am 05.08.2019 gemäß §§ 133, 157 BGB ergebe, dass er keine Annahmeerklärung abgegeben habe.

Der Wortlaut der vom Mitarbeiter der Hausverwaltung ausdrücklich abgegebenen Erklärungen am 05.08.2019 spreche gegen die Annahme, er habe das Angebot der Klägerin auf Abschluss eines Gewerberaummietvertrages für die Beklagte annehmen wollen. So sei auf der Grundlage des unwidersprochenen Sachvortrages der Klägerin gemäß § 138 Abs. 3 ZPO unstrittig, dass er erklärt habe, er wolle den von der Klägerin unterzeichneten Vertragsentwurf an die Beklagte übersenden und der Klägerin sodann ein unterschriebenes Exemplar zukommen lassen. Damit habe der Mitarbeiter erkennbar zum Ausdruck gebracht, dass er nicht selbst eine Erklärung auf das Vertragsangebot der Klägerin abgeben wollte, sondern dieses an die Beklagte weiterzuleiten beabsichtigte, um der Beklagten selbst die Möglichkeit zu geben, auf das Vertragsangebot (zustimmend oder ablehnend) zu reagieren. Zudem habe er die Erklärung der Beklagten, von der er annahm, dass sie in einer Annahme des Angebots bestehen würde, an die Klägerin weitergeleitet. Eine ausdrückliche oder konkludente Annahme des Angebotes der Klägerin auf Vertragsabschluss könne seinen wiedergegebenen Ausführungen jedenfalls nicht entnommen werden.

Unabhängig davon beinhaltete die tatsächliche Übergabe der Räumlichkeiten an die Klägerin am 05.08.2019 von deren Empfängerhorizont aus betrachtet keine Erklärung der Annahme des Angebots auf Abschluss eines Mietvertrages. Maßgeblich für das Verständnis der anlässlich der tatsächlichen Übergabe der Räume an die Klägerin am 05.08.2019 abgegebenen Erklärungen sei vom Empfängerhorizont der Klägerin aus die Regelung in § 21 Abs. 6 des Mietvertragsentwurfes gewesen, welche sie sich durch Abgabe des Angebotes auf Vertragsschluss auf der Basis dieses Mietvertragsentwurfes zu eigen gemacht hatte.

Die Formulierung im Mietvertrag, wonach der von einer Partei unterzeichnete Vertragsentwurf der anderen Partei „zur Unterzeichnung ausgehändigt oder übersandt“ werde, zeige, dass die Bestimmung in § 21 Abs. 6 des Mietvertragsentwurfes jedenfalls für den Regelfall von einer schriftlichen Annahme des Vertragsangebots durch den Vertragsgegner ausgehe, auch wenn § 21 Abs. 2 lediglich „Änderungen“ des Mietvertrages und nicht den Abschluss des Mietvertrages der Schriftform unterwerfe. Vom Empfängerhorizont der Klägerin sei das Verhalten des Mitarbeiters der Hausverwaltung, welcher den von der Klägerin unterschriebenen Mietvertragsentwurf entgegennahm, deshalb auch ohne entsprechende ausdrückliche Erklärung dahin zu verstehen, dass er diesen als Angebot zum Abschluss des Mietvertrages an den vorgesehenen (ortsabwesenden) Vertragspartner, also an die Beklagte, weiterleite, damit diese über eine Annahme innerhalb der dafür ausreichenden Frist von drei Wochen entscheiden könne.

Vom Empfängerhorizont der Klägerin aus betrachtet habe es deshalb einer entsprechend ausdrücklichen Erklärung von Seiten des Mitarbeiters bedurft, wenn von diesem in § 21 Abs. 6 des Mietvertrages vorgezeichneten Weg des Vertragsschlusses dahin abgewichen werden sollte, dass zwar der Mitarbeiter der Hausverwaltung den als Angebot zu verstehenden einseitig unterschriebenen Vertragsentwurf entgegennahm, die Annahmeerklärung aber gerade nicht von der Beklagten eingeholt werden, sondern mit der tatsächlichen Übergabe der Räumlichkeiten erklärt werden sollte. Denselben Gesichtspunkt enthalte die Auslegungsregel in § 154 Abs. 2 BGB. Aus § 21 Abs. 6 des Vertragsentwurfes ergebe sich, dass für den Regelfall von einer Beurkundung des Vertrages ausgegangen worden sei, weil nämlich der zunächst von einer Partei übersandte Vertragsentwurf der anderen Partei zur Unterzeichnung übermittelt und dann von dieser innerhalb der Annahmefrist an die erste Partei zurückgeschickt werden solle. Auch wenn damit eine konkludente Annahme des Vertragsangebots nicht ausgeschlossen sei, beschreibe doch § 21 Abs. 6 einen Regelfall der Beurkundung des Vertragsschlusses, welche ohnehin im Hinblick auf die längerfristige Befristung, die nach § 2 Abs. 1 des Mietvertrages gelten sollte, im Hinblick auf die gesetzliche Schriftform des § 550 Satz 1 BGB anzustreben gewesen sei. Eine Abweichung von diesem ausdrücklich geregelten Regelfall des beurkundeten Vertragsschlusses müsse danach von deren Empfängerhorizont an die Klägerin ausdrücklich kommuniziert werden, wofür im vorliegenden Falle aber keine Anhaltspunkte bestehen.

Schließlich sei auch der Umstand der vorzeitigen Übergabe des Mietobjektes an die Klägerin als solcher kein Indiz dafür, dass damit schon ein Vertragsschluss verbunden sei, da die Möglichkeit der früheren Übergabe der Mieteinheit vor Vertragsbeginn in § 2 Abs. 1 Satz 2 des Vertragsentwurfes ausdrücklich vorgesehen sei.

Praxishinweis

Das zentrale Thema dieser Entscheidung betrifft die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Angebot zum Abschluss eines Mietvertrags durch schlüssiges (konkludentes) Verhalten angenommen werden kann. Das schlüssige Verhalten des Antragsempfängers gegenüber dem Antragenden ist nach objektiven Gesichtspunkten aus der Sicht eines neutralen Dritten (objektiver Empfängerhorizont; im Einzelnen hierzu vgl. BGH, Urteil vom 16.10.2012, X ZR 37/12, NJW 2013, 598 Rn. 18) zu bewerten, ob hierdurch auf den wirklichen Willen des Antragsempfängers zu schließen ist, dass er das Angebot annehmen möchte (Bub in Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 5. Auflage 2019, Kap. II Rn 786). Bei der Auslegung ist grundsätzlich vom Wortlaut der Erklärung auszugehen. Nur in Ausnahmefällen kann angenommen werden, dass vom Abschluss eines an sich vorgesehenen schriftlichen Mietvertrages Abstand genommen werden soll (Sternel, Mietrecht, 3. Auflage 1988, Kap. I Rn 213).

Nach diesen Grundsätzen hat das OLG Dresden die Einzelfallumstände abgewogen. Entscheidend war vorliegend die unbestrittene Zeugenaussage des Mitarbeiters der Hausverwaltung, wonach er die von der Klägerin unterzeichneten Exemplare des Mietvertrages an die Beklagte weitergebe und diese der Klägerin eine unterzeichnete Ausfertigung zurücksenden werde. Dies deckte sich mit den explizit im Mietvertrag aufgenommenen Erklärungen in § 21 Abs. 6. Diesem Umstand kommt daher für die Frage der Auslegung erhebliche Bedeutung zu.

In den Entscheidungsgründen fehlen allerdings Ausführungen zum Umstand, dass die Klägerin mit dem Mitarbeiter der Hausverwaltung ein Abnahmeprotokoll erstellt hat. Sofern das Protokoll Bezug auf den Mietvertrag genommen hat – wovon in der Regel auszugehen ist – könnte hierin eine Handlung zu sehen sein, wodurch das Angebot zum Mietvertragsabschluss konkludent durch die Beklagte angenommen worden ist (BGH, Urteil vom 24.02.2010 - XII ZR 120/06, NJW 2010, 1518) und die Parteien durch ihre Unterschriften auf dem Protokoll die grundsätzliche Schriftform des Vertrages abbedungen haben. In diesem Fall hätte das OLG Dresden aber nicht die Frage offenlassen dürfen, ob der Mitarbeiter der Hausverwaltung Vertretungsmacht besaß.

OLG Dresden, Beschluss vom 30.09.2020 - 5 U 1572/20 (LG Leipzig), BeckRS 2020, 28367