NJW: Sie haben ein Soforthilfen-Programm für Anwälte aufgelegt. Weshalb? Reichen die Corona-Soforthilfemaßnahmen von Bund und Ländern nicht aus?
Pohlmann: Die Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen in besonderen Notlagen gehört zu unseren gesetzlichen Aufgaben. Die BRAO spricht von „Fürsorgeeinrichtungen“. Wir helfen auch sonst bei persönlichen Krisen, meistens natürlich ohne große Beachtung. Jetzt sind plötzlich viele Anwälte in einer Notlage, die deren wirtschaftliche Existenz bedroht. Also helfen wir auch da. Von Kollegen, für Kollegen! Unser Soforthilfen-Programm dient zum einen der Überbrückung, bis staatliche Mittel gewährt werden oder die Hausbank KfW-Kredite bereitstellt, was angesichts der gewaltigen Antragsflut aus allen Bereichen der Wirtschaft einfach dauern kann. Wir können die vergleichsweise geringe Zahl von Anträgen schneller bearbeiten. Außerdem bieten nicht alle Banken ihren Kunden die KfW-Kredite unproblematisch an. Wir sind in der Lage, die Kreditentscheidung rasch zu treffen und die Gelder sofort auszuzahlen.
NJW: Wer hat Anspruch auf Ihre Soforthilfen?
Pohlmann: Die Unterstützungsleistungen setzen voraus, dass der Kollege aufgrund der Corona-Pandemie in eine seine Existenz bedrohende wirtschaftliche Krise geraten ist. Das ist der Fall, wenn seine Umsätze derart eingebrochen sind, dass er daraus die fälligen Verbindlichkeiten der nächsten drei Monate voraussichtlich nicht mehr decken kann. Wir gewähren Zuschüsse bis 3.000 Euro sowie Darlehen zwischen 5.000 und 25.000 Euro. Den Zuschuss bekommt nur, wer kein liquides Vermögen hat. Das Darlehen ist zinslos, hat eine Laufzeit von einem Jahr und wird ohne Sicherheiten gewährt. Wir wollen dort helfen, wo es wirklich eng ist. Die genauen Antragsvoraussetzungen finden sich auf unserer Webseite.
NJW: Und wer bereits finanzielle Unterstützung vom Bund bzw. vom Freistaat erhält, geht leer aus?
Pohlmann: Nein, unsere Soforthilfen sollen die staatlichen Unterstützungsprogramme ergänzen.
NJW: Welches Volumen hat Ihr Soforthilfen-Programm, und wie finanzieren Sie es?
Pohlmann: Unsere Kammer hat seit vielen Jahren einen Unterstützungsfonds. Er speist sich vorwiegend aus Weihnachtsspenden der Kammermitglieder, ferner aus Geldauflagen im Rahmen anwaltsgerichtlicher Verfahren oder Strafverfahren. Der Fonds ist mit über einer Million Euro gut gefüllt. Natürlich wollen wir in der Lage bleiben, auch jenseits des Corona-SoforthilfenProgramms noch in anderen Notlagen unterstützen zu können. Erforderlichenfalls werden wir unterjährig einen zweiten Spendenaufruf starten und hoffen dann auf die erneute Solidarität der Kolleginnen und Kollegen. Denn während einige Kollegen derzeit ganz erhebliche Mandats- und Umsatzausfälle haben, arbeiten andere gerade jetzt auf Hochtouren.
NJW: Einen höheren Kammerbeitrag im nächsten Jahr müssen Ihre Mitglieder also nicht befürchten?
Pohlmann: Die Corona-Krise bringt unsere Haushaltsplanung ordentlich durcheinander, und wie sich der Kammerbeitrag in den nächsten Jahren entwickelt, kann ich heute noch nicht absehen. Aber die Soforthilfen sind völlig unabhängig vom Mitgliedsbeitrag, das ist richtig.
NJW: Wie lange dauert es von der Antragstellung bis zur Auszahlung?
Pohlmann: Die ersten Anträge sind am 21.4. bei uns eingegangen, und wir haben die Zahlungen am 24.4. angewiesen. Aktuell dauert es in der Regel zwischen fünf und zehn Tagen vom Antragseingang bis zur Überweisung. Es gibt aber auch einige Anträge, die nicht vollständig oder nicht schlüssig sind und bei denen Nachfragen nötig sind.
NJW: Wie viele Anträge wurden bislang gestellt?
Pohlmann: Aktuell haben 103 Kolleginnen und Kollegen Soforthilfen beantragt. Zwei haben ihre Anträge zurückgenommen, nachdem die staatliche Unterstützung bei ihnen eingegangen ist. Sie haben geschrieben, dass Kollegen unterstützt werden sollen, die die Hilfe jetzt dringender bräuchten.
NJW: Wie hoch schätzen Sie die Zahl der Kolleginnen und Kollegen, die berechtigt wären bzw. finanzielle Unterstützung nötig haben?
Pohlmann: Das lässt sich ganz schwer sagen. Basierend auf einer bundesweiten Umfrage der BRAK haben etwa 16,5% der teilnehmenden Anwälte staatliche Soforthilfe beantragt. Die Grundvoraussetzungen ähneln sich, unterscheiden sich aber im Detail. Für unser Soforthilfen-Programm ist immer auch die Höhe des Umsatzrückgangs von Bedeutung.
NJW: Wie sehen die anderen Kammern, namentlich die BRAK, Ihr Soforthilfen-Programm? Sind schon welche Ihrem Vorbild gefolgt?
Pohlmann: Wir sind mit über 22.000 Mitgliedern die größte Rechtsanwaltskammer in Deutschland und haben historisch bedingt das Glück, über einen gut ausgestatteten Unterstützungsfonds zu verfügen. Den haben wir im Jahr 2018 zudem grundlegend modernisiert, so dass wir in der aktuellen Krise auch auf diese Mittel zugreifen können. In dieser Lage sind nicht alle Kammern. Die meisten müssen sich deshalb darauf beschränken, auf die staatlichen Unterstützungsleistungen zu verweisen. Aber auch hier leisten alle Kammern von Anfang der Krise an Gewaltiges, bieten ihren Mitgliedern Beratungsangebote und umfassende Informationen, oder bringen sich auf politischer Ebene dafür ein, dass die Anwaltschaft unterstützt wird. Gerade die BRAK hat hier auf Bundesebene schon viel erreicht.
NJW: Können Sie uns sagen, wie sich die Corona-Krise auf die wirtschaftliche Situation der Anwälte in Ihrem Kammerbezirk bislang ausgewirkt hat?
Pohlmann: Repräsentative und belastbare Erkenntnisse, bezogen auf unseren Kammerbezirk, gibt es nicht. Die BRAK hat aber eine bundesweite Umfrage zu den Auswirkungen der Corona-Krise durchgeführt, an der sich fast 14.500 Kolleginnen und Kollegen beteiligt haben. Nur rund 20 % der Befragten gaben an, dass sie trotz der Krise ungefähr gleich viele Neumandate generieren konnten wie in den sechs Monaten zuvor. Fast ein Viertel erklärte, dass die Neumandate um mehr als 50 % eingebrochen sind. Und nur knapp ein Viertel gab an, bislang keine wirtschaftlichen Einbußen durch Corona erlitten zu haben. Insgesamt ist die Situation in der Anwaltschaft aber ganz unterschiedlich, je nach Tätigkeitsgebiet und Aufstellung der Kanzlei.
NJW: Der DAV hat eine Corona-Sonderregelung zum Vermögensverfall bis Ende 2021 gefordert. Eine gute Idee? Und wie handhaben Sie aktuell den Zulassungswiderruf bei einem coronabedingten Vermögensverfall?
Pohlmann: Die Regelungen zum Vermögensverfall in der BRAO dienen ja vor allem dem Schutz von Fremdgeldern, die der Mandant seinem Anwalt anvertraut hat. Dieser Schutz und auch das Vertrauen in die Integrität der Anwaltschaft ist in der Corona-Krise nicht von geringerer Bedeutung als vor der Pandemie. Auch vor der Krise gingen die Kammern beim Widerruf der Zulassung mit Augenmaß vor, und die Rechtsprechung knüpft ihn an strenge Voraussetzungen. Damit die gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls greift, muss über das Vermögen des Anwalts ein Insolvenzverfahren eröffnet oder er muss in das Vollstreckungsverzeichnis eingetragen sein. Und selbst dann ist die Vermutung noch widerlegbar. •