Interview
Von der Kanzlei in die Kammer
Interview
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In den USA ist es gang und gäbe, dass Juristen im Laufe ihrer Karriere zwischen Kanzleien und der Justiz wechseln. Hierzulande tut man sich damit noch schwer, auch wenn Anwälte, die den einmal eingeschlagenen Berufsweg verlassen, mittlerweile keine Exoten mehr sind, wie uns Dr. Felix Bergmeister berichtet. Vor seinem Wechsel in die hessische Justiz war er in einer Großkanzlei tätig. Die dort gesammelten Erfahrungen und Kenntnisse nutzt er mittlerweile als Vorsitzender einer Kammer für internationale Handelssachen.

2. Aug 2022

NJW: Wechsel von der Großkanzlei in den Justizdienst gelten als selten. Wie sehen Sie das?

Bergmeister: So selten sind solche Wechsel gar nicht. In Frankfurt gibt es unter den KfH-Vorsitzenden zwei weitere Kolleginnen mit diesem Berufsweg. Am gesamten Landgericht ist die Quote noch höher, da weiß ich es von fast drei Dutzend Leuten.

NJW: Was hat den Justizdienst für Sie besonders attraktiv gemacht?

Bergmeister: Wie wahrscheinlich bei allen, die diesen Weg nehmen: Die Aussicht darauf, etwas familienfreundlicher arbeiten zu können, vor allem gefeit zu sein vor Phasen kurzfristiger Extrembelastung. Da hätte es natürlich auch Alternativen zur Justiz gegeben. Meine Vorstellung war damals aber, dass man als Richter vergleichbar interessante Sachen macht, nur ohne den „Stress“ des Großkanzleimandats. Das hat sich auch weitgehend bewahrheitet. Außerdem gefällt mir die Herangehensweise des Richters gut.

NJW: Wie haben Ihre damaligen Kolleginnen und Kollegen auf Ihren beruflichen Perspektivwechsel reagiert?

Bergmeister: Ganz unterschiedlich. Einer hat es mir kurz darauf gleichgetan. Ein anderer hat gesagt, er würde das nur machen, wenn man ihm gleich „eine KfH hinstellt“. Wieder andere konnten es gar nicht nachvollziehen. Der Partner, für den ich gearbeitet habe, fand es sehr schade, konnte den Entschluss aber verstehen.

NJW: In anderen Ländern ist die Durchlässigkeit zwischen Anwaltschaft und Justiz größer. Was könnte man tun, damit dies auch hier so wird?

Bergmeister: Formal ist die Durchlässigkeit durch unsere Ausbildung zu Einheitsjuristen ja eigentlich in besonderer Weise gegeben. Um mehr Anwältinnen und Anwälte zu einem Wechsel in die Justiz zu bewegen, müsste man wohl einfach die Gehälter erhöhen.

NJW: Inwiefern profitieren Sie in Ihrer täglichen Arbeit von den beruflichen Erfahrungen, die Sie als Anwalt gesammelt haben?

Bergmeister: Das eine ist, auf Englisch juristisch gearbeitet zu haben. Dass ich davon als Richter profitieren würde, hätte ich damals natürlich nicht gedacht, für meine jetzige Tätigkeit ist es aber ein Riesenvorteil. Auch Erfahrung mit Vertragsgestaltung, in meinem Fall im Gesellschaftsrecht und M&A, ist in der KfH natürlich hilfreich. Ganz allgemein ist es für mich etwas wert, diese Welt zu kennen und sich in ihr behauptet zu haben. Vielleicht schaffe ich es so auch besser, mich in Anwältinnen und Anwälte hineinzuversetzen. Und auch die eine oder andere Nebelkerze zu durchschauen.

NJW: Jüngst ist in der Kammer für internationale Handelssachen am LG Frankfurt a.M. das erste Verfahren unter Ihrem Vorsitz zu Ende gegangen, das vollständig in englischer Sprache geführt wurde. Das war der Presseabteilung Ihres Hauses sogar eine Meldung wert. Was war denn das Besondere an dem Verfahren? Und welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?

Bergmeister: Das Verfahren war recht umfangreich und komplex und betraf eine gescheitere Unternehmensübernahme. An dem Termin nahm kurzfristig doch der CEO des ausländischen Unternehmens teil – der Grund, weshalb am Tag vorher die Anfrage kam, ob auf Englisch verhandelt werden kann. Die Verhandlung selbst verlief gut und produktiv. Dass der CEO meinen Ausführungen und den Erklärungen der übrigen Beteiligten unmittelbar folgen und auch selbst unmittelbar Erklärungen abgeben konnte, hat er sicher als sehr hilfreich empfunden. Diese Unmittelbarkeit war aber auch insgesamt förderlich, weil Argumente so besser ausgetauscht und auf Vorbringen präziser erwidert werden konnte. Es ist sogar die Möglichkeit einer gütlichen Einigung aufgeblitzt, die es sonst vielleicht nicht gegeben hätte. Meine Erfahrungen in dem Verfahren sind also rundweg gut, und es gab – was mich gefreut hat – auch von Anwaltsseite positive Rückmeldungen.

NJW: Welche Qualifikation muss man neben den Sprachkenntnissen als Richter in einem solchen Spruch­körper mitbringen?

Bergmeister: Im Grunde keine anderen als die, die man für jeden Prozess braucht: Strukturiert und transparent zu verhandeln. Was leichter gesagt ist als getan. Eine solche Verhandlungsführung kostet Kraft und Zeit.

NJW: Hat die Justiz genug Richterinnen und Richter, die das beherrschen?

Bergmeister: Am LG Frankfurt ist das definitiv der Fall, hier gibt es viele mit englischsprachiger Studien- oder Berufserfahrung. Ich beziehe das jetzt nur auf die sprachliche Qualifikation. Das Zeug zu guter Verhandlungsführung haben wir alle.

NJW: Die Einführung englischsprachiger Kammern ist seit Jahren umstritten, die Fallzahlen sind bisher sehr überschaubar. Was spricht aus Ihrer Sicht dafür?

Bergmeister: Das eine ist das, was wir in Frankfurt praktizieren, nämlich auf allseitigen Wunsch die mündliche Verhandlung auf Englisch durchzuführen. Mehr geht nach geltendem Prozessrecht nicht. Aber immerhin kommen die Parteien auf Englisch zu Wort, können Zeugen auf Englisch vernommen werden und es steht von vornherein fest, dass englischsprachige Anlagen nicht übersetzt werden müssen. Das ist schon viel wert, was jeder bestätigen wird, der Erfahrung mit Gerichtsdolmetschern und mit übersetzten juristischen Texten hat. Die andere Frage ist, ob man das weiterentwickeln soll. Der nächste Schritt wäre ein Verfahren, in dem auf Englisch nicht nur verhandelt, sondern auch geschrieben wird. So etwas würden sich vor allem Anwälte mit ausländischen Mandanten wünschen. Wenn man zusätzlich – wie es jetzt vorgeschlagen wird (BR-Drs. 79/22, Anm. d. Red.) – eine besondere erstinstanzliche Zuständigkeit des OLG begründen und dort auch besondere Verfahrensregeln schaffen möchte, wie das Recht auf ein Wortprotokoll oder Maßnahmen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, müsste man rechtfertigen, warum nur grenzüberschreitende Verfahren in den Genuss dieser Privilegien kommen sollen, und nicht Parteien, die beide in Deutschland ansässig sind.

NJW: Was würde das für den Justizstandort Deutschland bedeuten, insbesondere für dessen Attraktivität?

Bergmeister: Ob die eine oder die andere Maßnahme dazu führen könnte, dass der Justizstandort Deutschland attraktiver wird, ist eine schwierige Frage. In Ihrer Zeitschrift habe ich gerade gelesen, dass das Problem gar nicht die Abwanderung in die Schiedsgerichts­barkeit sei, das sei zahlenmäßig zu vernachlässigen (Riehm/Thomas, NJW 2022, 1725, Anm. d. Red.). Stattdessen sei es nötig, das deutsche Sachrecht zu reformieren, und zwar bei der Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe in den §§ 133, 157, 138, 242 und 307 BGB, um die Vorhersehbarkeit von Gerichtsentscheidungen zu verbessern. Dass es eine solche Reform jemals geben wird, kann ich mir allerdings nicht vorstellen. Die Kasuistik zu den genannten Vorschriften entzieht sich völlig der Möglichkeit eines federstrich­artigen gesetzgeberischen Eingriffs. Verglichen damit, wäre die Schuldrechtsreform von 2001 ein Kinderspiel gewesen. Ich weiß auch nicht, ob so eine Reform wünschenswert wäre. Ich halte es für eine Errungenschaft des deutschen Rechts, dass es hier verboten ist, am Wortlaut zu kleben und dass eine saubere Methodik für die Bestimmung und Bewertung von Treu und Glauben sowie der guten Sitten existiert.

NJW: Könnte eine (Groß-)Kanzlei Sie nochmals in den Anwaltsberuf zurücklocken?

Bergmeister: Darüber habe ich ab und zu schon mal nachgedacht. Aus heutiger Sicht kann ich es mir nicht mehr vorstellen. Politik und Justiz müssen aber aufpassen, dass sie den Richterinnen und Richtern mit Wertschätzung begegnen. Sollte es hier zum Kippen kommen, würde ich für mich nichts ausschließen.

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Interview: Tobias Freudenberg / Monika Spiekermann.