Interview
Von der Judikative in die Exekutive
Interview
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Bis Ende Mai war Prof. Dr. Roman Poseck noch Präsident des OLG Frankfurt und des ­Staatsgerichtshofs des Landes Hessen. Dann wurde er von heute auf morgen zum neuen Landesjustizminister ernannt. Wir haben den CDU-Politiker zu dem Wechsel und den ­anstehenden Aufgaben befragt.

30. Jun 2022

NJW: Ihre plötzliche Ernennung zum neuen hessischen Justizminister hat auch viele Insider überrascht. Wie kam es dazu?

Poseck: Hessen hat seit dem 31. Mai 2022 mit Boris Rhein einen neuen Ministerpräsidenten. Er hat das Kabi­nett neu zusammengestellt und mir die Möglichkeit eröffnet, das Amt des Justizministers zu übernehmen. Diese neue Aufgabe habe ich sehr gerne angenommen und das obwohl oder vielleicht besser, weil ich weiß, dass viele Herausforderungen in der Justiz vor uns liegen.

NJW: Ein solcher Wechsel aus der Judikative in die Exe­kutive ist außergewöhnlich. Mussten Sie den Schritt überlegen oder war schnell klar, dass Sie das machen?

Poseck: Meine bisherigen Tätigkeiten als Präsident des OLG und des Staatsgerichtshofs habe ich sehr gerne ausgefüllt und das über mehr als zehn bzw. mehr als fünf Jahre. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Entscheidung nicht leichtfällt und es einer sorgfältigen ­Abwägung bedarf. Immerhin bedeutet der Wechsel in die Politik auch die Aufgabe von Freiheiten und das Eingehen besonderer Verantwortungen und Risiken. Am Ende haben die Neugier auf etwas Neues und die größeren Gestaltungsmöglichkeiten den Ausschlag ­gegeben. Ich möchte gerade in diesen Zeiten der Veränderung etwas für die Justiz bewirken und meine fachlichen Erfahrungen einbringen. Die Tätigkeit in der Exekutive ist mir im Übrigen nicht völlig fremd, da ich vor der Übernahme des Präsidentenpostens am Oberlandesgericht schon einmal über mehr als elf Jahre in ganz unterschiedlichen Funktionen im Justizministerium in Wiesbaden tätig war. Der Wechsel zwischen Staatsgewalten kann aus meiner Sicht eine Bereicherung sein, und zwar sowohl persönlich als auch für die Aufgabenerfüllung und die Institutionen.

NJW: Der Schritt ist für Sie aber nicht ohne Risiko: Die Legislaturperiode dauert nur noch anderthalb Jahre, ein Rückkehrrecht in Ihre früheren Präsidentenämter gibt es nicht.

Poseck: Der politisch überschaubare Zeitraum von anderthalb Jahren mag begrenzt sein, aber die Grundsatzfragen des Rechtsstaats und der Justiz reichen über Legislaturperioden hinaus. Von daher können aus meiner Sicht gerade in den kommenden anderthalb Jahren wichtige Weichen für die Zukunft gestellt werden. Für mich ist es jedenfalls eine Chance, im poli­tischen Wiesbaden und im Kontakt mit den anderen Ländern und dem Bund direkt mitgestalten zu können. Was dann im Jahr 2024 ist, steht zurzeit in den Sternen. Ein Rückkehrrecht in die hessische Justiz besteht, wenngleich natürlich nicht auf den Posten des OLG-Präsidenten. Ich kann mir aber auch ein längeres Wirken in der Politik vorstellen.

NJW: Die hessische Justiz hat sehr große Erwartungen an Sie, insbesondere was die personelle und technische Ausstattung betrifft. Auf wie viele neue Stellen darf sie sich freuen?

Poseck: Genaue Zahlen kann ich noch nicht nennen, da die Beratungen über den geplanten Doppelhaushalt 2023/2024 erst beginnen. Wir wollen auch für Hessen einen „Pakt für den Rechtsstaat“ auflegen, der die Stellensituation in der gesamten hessischen Justiz – von den Gerichten, über die Staatsanwaltschaften bis hin zu den Justizvollzugsanstalten – sichtlich verbessert. Auch die R-Besoldung werden wir uns anschauen, um wieder mehr Nachwuchsjuristen für die Justiz zu begeistern. Ich bin zuversichtlich, dass wir noch in diesem Jahr zu guten Ergebnissen kommen und diese auch verkünden können.

NJW: In Hessen gibt es eine erhebliche Verzögerung bei der E-Akte. Werden Sie es bis 2026 schaffen?

Poseck: Die Einführung der E-Akte zählt sicherlich zu einer der größten Herausforderungen in den kommenden Jahren und das in der gesamten Justiz in Deutschland. Auch wenn es Anlaufschwierigkeiten gab und der weitere Weg nicht einfach sein wird, bin ich zuversichtlich, dass die elektronische Akte auch in Hessen bis 2026 eingeführt sein wird. Wir haben auch bei uns bereits etliche vielversprechende Pilotprojekte in den verschiedenen Gerichtsbarkeiten. Wir müssen bei der weiteren Ausdehnung der E-Akte nun mehr Tempo machen, um zur Spitzengruppe der Bundes­länder aufzuschließen. Gleichzeitig sind die Veränderungsprozesse so zu gestalten, dass die Bediensteten mitgenommen werden und die elektronische Akte ­einen wirklichen Mehrwert bei der täglichen Arbeit darstellt.

NJW: Die Digitalisierung der Justiz ist auch ein großes Thema jenseits des elektronischen Rechtsverkehrs. Eine aktuelle Studie hat der deutschen Justiz im internationalen Vergleich ein vernichtendes Zeugnis aus­gestellt. Wo sehen Sie dringenden Handlungsbedarf?

Poseck: Aus meiner Sicht sind vor etlichen Jahren Fehlentscheidungen getroffen worden, die sich heute nur schwer beheben lassen. Der Föderalismus ist ein Erfolgsfaktor und ein Markenzeichen unseres Landes. Bei der Einführung der elektronischen Akte wäre aber ein bundeseinheitliches Vorgehen besser gewesen – zur Vermeidung von Doppelarbeit und im Interesse eines vergleichbaren Standards. Ich erinnere mich noch gut an meine zweite OLG-Präsidentenkonferenz 2013 in Karlsruhe, als wir uns einstimmig für ein einheitliches Vorgehen ausgesprochen hatten. Leider vergeblich. Wir sollten das Ziel der Vereinheitlichung in der Digitalisierung aber nicht aus dem Blick verlieren. Dies gilt justizintern, aber auch in der Zusammenarbeit mit anderen Institutionen, zum Beispiel den Verwaltungsbehörden.

NJW: Gerade erschüttert ein Korruptionsskandal die hessische Justiz. Gegen einen Oberstaatsanwalt ist jetzt Anklage erhoben worden.

Poseck: Dieser Einzelfall war und ist ein Tiefschlag für die Justiz. Staatsanwaltschaften und Gerichte sind auf Vertrauen angewiesen und dieses kann nur gedeihen, wenn die Bediensteten korruptionsfrei arbeiten. Das Verfahren ist nun in der Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am Main, das über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheiden muss. Klar ist, dass sich so ein Fall nicht wiederholen darf. Deshalb liegt ein Schwerpunkt der Aufarbeitung auf einer Verbesserung der präventiven Maßnahmen.

NJW: Wurde bisher angemessen damit umgegangen?

Poseck: Meine Amtsvorgängerin hat sofort gehandelt – eine Stabstelle zur Innenrevision und das Vier-Augen-Prinzip bei allen Staatsanwaltschaften wurden eingeführt. Daran möchte ich anknüpfen. Wir werden in den nächsten Wochen noch weitere Schritte zur Korruptionsverhinderung ergreifen, weil die bisherige Aufklärung des Falles gezeigt hat, dass fehlende Kontrollmechanismen die Taten erleichtert haben. Allerdings gibt es hier auch ein Spannungsfeld. Den Eindruck eines Generalverdachts gegen Richter, Staats­anwälte und weitere Mitarbeiter der Justiz gilt es zu vermeiden. Weit mehr als 99,9 % der in der Justiz Tätigen verdienen ein Grundvertrauen, weil sie ihrer Tätigkeit seit Jahrzehnten mit größtmöglicher Integrität nach­gehen. Daran darf auch ein erschreckender Einzelfall nichts ändern. Dennoch brauchen wir insgesamt eine bessere Korruptionsprävention.

NJW: Um welche Baustellen wollen Sie sich im überschaubaren Rest der Legislaturperiode noch kümmern?

Poseck: Neben der Verbesserung der Stellensituation und des Vorantreibens der digitalen Justiz will ich ­einen Fokus auf die Nachwuchsgewinnung in allen Bereichen der Justiz legen. Nur so können wir die Zukunft des Rechtsstaats sichern. Aber auch Themen im Internet, wie Cyberkriminalität und Cyberangriffe, sind hoch­aktuell. Schließlich will ich meinen Beitrag dazu leisten, den Rechtsstaat in unsicheren Zeiten insgesamt zu festigen. Er ist ein Stabilitätsanker, aber in krisenhaften Situationen auch immer wieder neuen Herausforderungen und Anfeindungen ausgesetzt. Gerade jetzt gilt es, die Vorzüge unseres liberalen Rechtsstaats herauszustellen und für die Menschen erlebbar zu machen. Das ist mir ein Herzensanliegen, das ich aus meinen früheren Funktionen mitbringe.

Prof. Dr. Roman Poseck war nach beiden juris­tischen Staatsexamina und einer Promotion in Gießen zunächst für die BASF tätig. Danach Eintritt in den hessischen Justizdienst und Richter am LG Limburg. Nach einem Jahr Abordnung ins Landesjustizministerium als Referatsleiter der Strafrechtsabteilung, später als ­Ministerialdirigent Leiter der Zentralabteilung. Ab Mai 2012 Präsident des OLG Frankfurt und Vorsitzender des 26. Zivilsenats, seit Januar 2017 zugleich auch Präsident des Staatsgerichtshofs. Am 31.5. Ernennung zum neuen hessischen Justizminister. Poseck ist Honorarprofessor an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht in Wiesbaden und Mitherausgeber des BeckOK-BGB.

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Interview: Tobias Freudenberg .