Urteilsanalyse
Von der Beschlusskompetenz des § 16 Abs. 2 S. 2 WEG sind auch Rücklagen erfasst
Urteilsanalyse
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Es besteht nach Ansicht des LG Frankfurt a.M. eine Beschlusskompetenz, über eine Änderung des Verteilerschlüssels für Rücklagen zu beschließen, bzw. einen von dem vereinbarten Kostenschlüssel abweichenden Schlüssel für die Rücklagenbefüllung durch Beschluss zu bestimmen.

27. Okt 2023

Anmerkung von
Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff, Rechtsanwältin Franziska Bordt, Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 21/2023 vom 26.10.2023

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Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit eines Beschlusses mit dem der Kostentragungsschlüssel für die Zuführung zur Erhaltungsrücklage geändert wurde. In der Teilungserklärung ist vorgesehen, dass die Wohnungseigentümer zur Ansammlung einer Instandhaltungsrücklage verpflichtet sind. Diese soll im Verhältnis WE 7 zu 46%, WE 8 zu 31% und WE 9 zu 23% aufgebracht werden. Im Anschluss ist aufgeführt, dass die Eigentümer zur Deckung der Bewirtschaftungskosten, die dort als Betriebskosten, Instandhaltungs- und Instandsetzungskosten einschließlich Instandhaltungsrücklage definiert werden, verpflichtet sind. Sodann ist für die Verteilung der insoweit anfallenden Kosten der oben genannte Schlüssel vereinbart.

Die Eigentümer haben beschlossen, „Die Kosten der Instandhaltungsrückstellungen, der Bewirtschaftungskosten (Instandhaltungskosten, Wartungskosten, allgemein Stromkosten, Versicherungsbeiträge) sind künftig auf die Mitglieder des Mehrfamilienhauses im Verhältnis der Teilungserklärung vom 8. September 2019 errechneten Miteigentumsanteile umzulegen“, es folgt eine Aufstellung der MEA-Anteile.

Mit der Klage begehrt die Klägerin die Feststellung der Nichtigkeit, hilfsweise der Erklärung der Unwirksamkeit des Beschlusses bezüglich der Änderung des Verteilungsschlüssels für die Instandhaltungsrückstellungen. Das AG hat die Klage abgewiesen, da die Beschlusskompetenz aus § 16 Abs. 2 S. 2 WEG folge; die Norm erfasse auch die Ansammlung der Instandhaltungsrücklage. Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin.

Entscheidung

Die Berufung hat Erfolg.

Richtig sei zunächst, dass die Wohnungseigentümer eine Beschlusskompetenz haben, den Schlüssel, nach welchem die Erhaltungsrücklage aufgefüllt wird, zu ändern.

§ 19 Abs. 2 Nr. 4 WEG verpflichte die Gemeinschaft nur, eine angemessene Erhaltungsrücklage anzusammeln, bestimme den Schlüssel, nach welchem die Rücklage aufzufüllen sei, allerdings nicht. § 16 Abs. 2 S. 1 WEG gelte an sich nur für die Kosten der Gemeinschaft. Bei der Befüllung einer Rücklage handele es sich allerdings lediglich um eine Zahlung der Eigentümer an die Gemeinschaft zur Bildung einer Rücklage, um davon in Zukunft Ausgaben finanzieren zu können. Wende man auf diese Aufbringung der Mittel die Regelung des § 16 Abs. 2 S. 1 WEG (entsprechend) an, sei es bereits aus systematischen Gründen zwingend, die Aufbringung der Mittel auch gemäß § 16 Abs. 2 S. 2 WEG nach einem anderen Schlüssel beschließen zu können, als dies § 16 Abs. 2 S. 1 WEG bestimme. Denn es sei kein Grund dafür ersichtlich, von der Beschlusskompetenz des § 16 Abs. 2 S. 2 WEG, mit welcher der Reformgesetzgeber den Handlungsspielraum der Gemeinschaften erweitern wollte, Rücklagen auszunehmen.

Nur diese Lösung sei praxisgerecht. Das neue Recht sehe in § 28 WEG ausdrücklich die Möglichkeit vor, durch Beschluss verschiedene Rücklagen zu bilden. Da es demzufolge von dem weiten Ermessen der Eigentümer gedeckt sei, Rücklagen zu Finanzierung von Baumaßnahmen oder zu deren Instandhaltung zu bilden, bei denen gemäß § 21 Abs. 3 WEG nur eine Kostentragungspflicht für einzelne Eigentümer bestehe, sei es erforderlich, dass die Rücklagen auch nur von den Eigentümern befüllt werden, welche die Ausgaben, für welche die Rücklage verwandt werden soll, zu tragen haben. Denn die Auflösung der Rücklage durch Ausgabe dürfe stets nur in dem Schlüssel erfolgen, mit welchem die Rücklage befüllt worden sei. Identische Probleme würden sich stellen, wenn mit einer gesonderten Rücklage eine Ausgabe finanziert werden soll, die mit einem abweichenden Verteilerschlüssel nach § 16 Abs. 2 S. 2 WEG getätigt werden soll, etwa eine Finanzierung einer Gemeinschaftseinrichtung nach Zahl der Wohnungen. Da die Befüllung der Rücklage entsprechend dem Ausgabeschlüssel erfolge, wäre in all diesen Fällen eine Ansammlung einer Rücklage ausgeschlossen, wenn diese stets nur mit dem Schlüssel des § 16 Abs. 2 S. 1 WEG befüllt werden könnte.

Der Beschluss entspreche aber nicht ordnungsmäßiger Verwaltung, denn durch die Änderung des Befüllungsschlüssels komme es zu einer „Mischbefüllung“ der Rücklage, weshalb in Zukunft eine Entnahme nicht mehr möglich werde.

Da es nur ordnungsmäßiger Verwaltung entspreche, eine Rücklage nach dem identischen Schlüssel, nach dem sie befüllt worden sei, auch zu verwenden, wäre es zunächst erforderlich gewesen, die bisherige Rücklage aufzulösen und nach dem Befüllungsschlüssel auf die Eigentümer zu verteilen, um sodann eine neue Rücklage mit dem sodann gültigen Schlüssel zu befüllen. Dabei müsse darauf geachtet werden, die sog. eiserne Reserve der Gemeinschaft zu erhalten.

Denkbar wäre etwa, die bestehende Rücklage insgesamt mit den nach dem neuen Schlüssel zu zahlenden Mindestbeträgen bestehen zu lassen. Dann wäre im Beschluss nur deren neue Zusammensetzung (informatorisch) festzulegen und nur in Höhe der Differenzen wären Auszahlungs- oder Nachzahlungsansprüche zu begründen. Sei etwa bisher die Rücklage gleichmäßig von den Eigentümern zu befüllen gewesen und bei 3 Eigentümern mit 1.000 EUR (insgesamt 3.000 EUR) befüllt worden und solle nach dem neuen Schlüssel ein Eigentümer 900 EUR, der zweite 1.000 EUR und der dritte 1.100 EUR (insgesamt 3.000 EUR) zahlen, könnten 3 x 900 EUR bestehen bleiben, da diese auch nach dem neuen Schlüssel zu entrichten wären. Rückzahlungsansprüche aus der „alten“ Rücklage erhielten die Eigentümer jeweils in Höhe von 100 EUR, wobei ein Eigentümer zugleich eine Sonderumlage in die neue Umlage von 100 EUR und ein weiterer von 200 EUR zahlen müsste. Nach Aufrechnung müsste dabei nur ein Eigentümer 100 EUR zahlen, während einer 100 EUR erstattet bekäme.

Letztlich leide der Beschluss auch daran, dass die Rücklage vorliegend nur für einen Teil der Erhaltungskosten, nämlich den Instandhaltungskosten und nicht auch Instandsetzungskosten eingesetzt werden könne. Auch dies widerspreche ordnungsgemäßer Verwaltung.

Praxishinweis

Das LG Frankfurt a.M. schließt sich der Ansicht an, wonach die Eigentümer eine Änderung des Schlüssels zur Befüllung der Erhaltungsrücklage über dem Wortlaut des § 16 Abs. 2 S. 2 WEG hinaus beschließen dürfen (Dötsch, in Bärmann, 15. Auflage 2023, § 19 WEG Rn. 223; Sommer/Heinemann, in Jennißen, 7. Auflage 2022, § 19 WEG Rn. 152). Die gut argumentierte Entscheidung überzeugt.

Die Gegenansicht lehnt eine Beschlusskompetenz ab – Änderungen des Umlageschlüssels für eine Rücklage sollen nur durch Vereinbarung möglich sein – und beruft sich dabei auf die alte Rechtslage (Elzer, in BeckOK WEG, 02.10.2023, § 19 WEG Rn. 149; Skauradszun, in BeckOGK, 01.09.2023, § 19 WEG Rn. 84 unter Verweis auf BGH, Urteil vom 09.07.2010 - V ZR 202/09, NJW 2010, 2654 Rn. 15).

Der BGH hat sich mit dieser Frage zum neuen Recht noch nicht befasst; die Revision ist nicht zugelassen worden, da der Beschluss ordnungsgemäßer Verwaltung widersprach, weil die Befüllung der Rücklage nach einem anderen Schlüssel erfolgte als die spätere Verwendung.

LG Frankfurt a. M., Urteil vom 12.10.2023 - 2-13 S 133/22 (AG Darmstadt), BeckRS 2023, 27516