Urteilsanalyse
Vom Gericht mitgeteilte Fristverlängerung ist maßgeblich
Urteilsanalyse
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Geht dem Prozessbevollmächtigten des Berufungsklägers auf einen von ihm gestellten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist eine Mitteilung des Gerichts zu, aus der sich ergibt, dass die gewährte Fristverlängerung hinter der begehrten zurückbleibt, so ist eine Grundlage für sein Vertrauen, die Frist laufe erst später als aus der Mitteilung ersichtlich ab, nach Ansicht des BGH nicht ersichtlich. Vielmehr ist von einem ordentlichen und gewissenhaften Rechtsanwalt zu erwarten, dass er eine solche Mitteilung zur Kenntnis nimmt und sich auf die daraus ersichtliche Frist einstellt.

18. Nov 2022

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Berufsrecht 23/2022 vom 17.11.2022

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Sachverhalt

In einem Arzthaftungsverfahren beantragte der Anwalt des Klägers nach rechtzeitiger Berufungseinlegung gegen das am 21.01.2021 zugestellte Urteil am 22.03.2021 eine Verlängerung der Frist für die Berufungsbegründung um einen Monat. Das Gericht verlängerte die Frist durch Verfügung vom 24.03.2021 bis zum 21.04.2021. Am 22.04.2021 beantragte der Anwalt des Klägers eine weitere Fristverlängerung um einen Monat. Das Gericht wies diesen Antrag zurück, da er erst nach Ablauf der verlängerten Berufungsbegründungsfrist eingegangen sei. Der Kläger beantragte daraufhin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er führte aus, hinsichtlich der gewährten Fristverlängerung sei von einem Schreibfehler auszugehen, denn ohne Verlängerung wäre die Frist erst am 22.03.2021 abgelaufen, sodass ihm die Frist bis zum 22.04.2021 hätte verlängert werden müssen. Jedenfalls sei er ohne sein Verschulden an der Einhaltung der verlängerten Frist gehindert gewesen, weil er auf die uneingeschränkte Bewilligung der von ihm beantragten Fristverlängerung habe vertrauen dürfen. Das Berufungsgericht wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung als unzulässig. Dagegen legte der Kläger Rechtsbeschwerde ein.

Entscheidung: Anwalt muss sich auf gewährte kürzere Frist einstellen oder um Klarstellung nachsuchen

Die Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg.

Der erneute Fristverlängerungsantrag sei nicht innerhalb der bis zum 21.04.2021 verlängerten Berufungsbegründungsfrist und damit nicht rechtzeitig eingegangen. Ein Schreibversehen des Gerichts sei nicht ersichtlich. Der Anwalt habe die Versäumung der verlängerten Berufungsbegründungsfrist auch verschuldet, was sich der Kläger zurechnen lassen müsse. Gehe dem Anwalt – wie hier – rechtzeitig vor Ablauf der verlängerten Frist eine Mitteilung des Gerichts zu, aus der sich das Ende der verlängerten Frist ohne Weiteres entnehmen lasse, so sei eine Grundlage für sein Vertrauen, die Frist laufe erst später als aus der Mitteilung ersichtlich ab, nicht erkennbar. Von einem ordentlichen und gewissenhaften Rechtsanwalt sei vielmehr zu erwarten, dass er eine solche Mitteilung zur Kenntnis nimmt und sich auf die daraus ersichtliche Frist einstellt oder sich rechtzeitig vor Fristablauf an das Berufungsgericht mit der Bitte um Klarstellung und gegebenenfalls weitere Verlängerung wendet. Der Anwalt des Klägers habe auf eine bis zum 22.04.2021 verlängerte Berufungsbegründungsfrist auch nicht deshalb vertrauen dürfen, weil die Verlängerungsverfügung bis zum 21.04.2021 keine ausdrückliche Zurückweisung eines weiterreichenden Verlängerungsantrags bis zum 22.04.2001 enthalten habe. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei anerkannt, dass in aller Regel von einer (stillschweigenden) Ablehnung des weitergehenden Antrags auszugehen sei, wenn die Berufungsbegründungsfrist für eine kürzere Zeit als beantragt verlängert wird.

Praxishinweis

Die Entscheidung des BGH betrifft eine fehlerhafte Verlängerungsentscheidung über einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist. Laut BGH ist insoweit das vom Gericht genannte Verlängerungsdatum maßgeblich. Wird jedoch die Frist trotz fehlender Voraussetzungen verlängert, beispielsweise über die Monatsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO oder über den Antrag hinaus, ist die Entscheidung grundsätzlich wirksam (Rimmelsbacher in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, ZPO, § 520 Rn. 18).


BGH, Beschluss vom 27.09.2022 - VI ZB 66/21 (OLG Hamm), BeckRS 2022, 30268