Urteilsanalyse

Voll­stre­ckungs­rechts­schutz gegen Eu­ro­päi­sche Voll­stre­ckungs­ti­tel für un­be­strit­te­ne For­de­run­gen
Urteilsanalyse
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Ein An­trag auf Ver­sa­gung der Voll­stre­ckung nach der Brüs­sel Ia-Ver­ord­nung ist nach einem Be­schluss des Bun­des­ge­richts­hofs un­zu­läs­sig, wenn der Gläu­bi­ger aus einer als Eu­ro­päi­scher Voll­stre­ckungs­ti­tel be­stä­tig­ten Ent­schei­dung gegen den Schuld­ner vor­geht.

1. Sep 2022

Rechts­an­walt und Av­vo­ca­to Ales­san­dro Ho­nert, Schult­ze & Braun GmbH Rechts­an­walts­ge­sell­schaft

Aus beck-fach­dienst In­sol­venz­recht 18/2022 vom 01.09.2022

Diese Ur­teils­be­spre­chung ist Teil des zwei­wö­chent­lich er­schei­nen­den Fach­diens­tes Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht. Neben wei­te­ren aus­führ­li­chen Be­spre­chun­gen der ent­schei­den­den ak­tu­el­len Ur­tei­le im Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht be­inhal­tet er er­gän­zen­de Leit­satz­über­sich­ten und einen Über­blick über die re­le­van­ten neu er­schie­ne­nen Auf­sät­ze. Zudem in­for­miert er Sie in einem Nach­rich­ten­block über die wich­ti­gen Ent­wick­lun­gen in Ge­setz­ge­bung und Pra­xis. Wei­te­re In­for­ma­tio­nen und eine Schnell­be­stell­mög­lich­keit fin­den Sie unter www.​beck-​online.​de

Sach­ver­halt

Die An­trags­geg­ner nah­men den in Deutsch­land wohn­haf­ten An­trag­stel­ler in Ös­ter­reich vor dem Be­zirks­ge­richt Graz-Ost auf Zah­lung eines Rechts­an­walts­ho­no­rars iHv 2.133 EUR in An­spruch. Mit Ver­säu­mungs­ur­teil vom 21.11.2019 ver­ur­teil­te das Ge­richt den An­trag­stel­ler an­trags­ge­mäß zur Zah­lung. Aus der als Eu­ro­päi­scher Voll­stre­ckungs­ti­tel im Sinne der Ver­ord­nung (EG) Nr. 805/2004 des Eu­ro­päi­schen Par­la­ments und des Rates vom 21.4.2004 zur Ein­füh­rung eines Eu­ro­päi­schen Voll­stre­ckungs­ti­tels für un­be­strit­te­ne For­de­run­gen (fort­an: EuVT­VO) be­stä­tig­ten Ent­schei­dung be­trei­ben die An­trags­geg­ner in Deutsch­land die Zwangs­voll­stre­ckung gegen den An­trag­stel­ler. Der An­trag­stel­ler hat beim Land­ge­richt Bonn die Ver­sa­gung der Voll­stre­ckung gem. den Art. 46 ff. der Ver­ord­nung (EU) Nr. 1215/2012 des Eu­ro­päi­schen Par­la­ments und des Rates vom 12.12.2012 über die ge­richt­li­che Zu­stän­dig­keit und die An­er­ken­nung und Voll­stre­ckung von Ent­schei­dun­gen in Zivil- und Han­dels­sa­chen (fort­an: Brüs­sel Ia-VO) be­an­tragt. Das Land­ge­richt hat den An­trag als un­be­grün­det zu­rück­ge­wie­sen. Auch die von An­trag­stel­ler an­ge­streng­te so­for­ti­ge Be­schwer­de zum Ober­lan­des­ge­richt Köln hatte kei­nen Er­folg. Mit sei­ner Rechts­be­schwer­de hat der An­trag­stel­ler den Voll­stre­ckungs­ver­sa­gungs­an­trag wei­ter­ver­folgt.

Ent­schei­dung

Der Bun­des­ge­richts­hof hat die Rechts­be­schwer­de unter Hin­weis auf § 574 Abs. 2 ZPO als un­zu­läs­sig ver­wor­fen.

Zur Be­grün­dung führt das Ge­richt aus, die EuVT­VO biete ein in sich ge­schlos­se­nes Rechts­schutz­sys­tem, das auf Ent­schei­dun­gen, ge­richt­li­che Ver­glei­che und öf­fent­li­che Ur­kun­den zu­ge­schnit­ten sei, die als Eu­ro­päi­scher Voll­stre­ckungs­ti­tel be­stä­tigt wor­den sind. Der Schuld­ner sei daher auf die der EuVT­VO zu ent­neh­men­den Rechts­schutz­mög­lich­kei­ten be­schränkt, wenn der Gläu­bi­ger auf­grund des Eu­ro­päi­schen Voll­stre­ckungs­ti­tels gegen ihn vor­ge­he. Ins­be­son­de­re sei den Ge­rich­ten im Voll­stre­ckungs­staat selbst eine ordre pu­blic-Prü­fung ver­sagt; erst recht un­zu­läs­sig sei es, sich gegen eine Voll­stre­ckung, die auf­grund eines Eu­ro­päi­schen Voll­stre­ckungs­ti­tels be­trie­ben werde, mit­tels eines An­trags auf Ver­sa­gung der Voll­stre­ckung gemäß den Art. 46 ff. Brüs­sel Ia-VO zur Wehr zu set­zen. Die im Ver­gleich zur Brüs­sel Ia-Ver­ord­nung be­schränk­ten Rechts­schutz­mög­lich­kei­ten im Voll­stre­ckungs­staat fän­den ihre Recht­fer­ti­gung darin, dass als Eu­ro­päi­scher Voll­stre­ckungs­ti­tel nur Ent­schei­dun­gen, ge­richt­li­che Ver­glei­che und öf­fent­li­che Ur­kun­den über un­be­strit­te­ne For­de­run­gen be­stä­tigt wer­den kön­nen.

Pra­xis­hin­weis

Der ein­ge­schränk­te Voll­stre­ckungs­rechts­schutz des aus einem Eu­ro­päi­schen Voll­stre­ckungs­ti­tel für un­be­strit­te­ne For­de­run­gen in An­spruch ge­nom­me­nen Schuld­ners wird zum Teil da­durch auf­ge­wo­gen, dass eine Ent­schei­dung nur dann als Eu­ro­päi­scher Voll­stre­ckungs­ti­tel be­stä­tigt wer­den kann, wenn das ge­richt­li­che Ver­fah­ren im Ur­sprungs­mit­glied­staat be­stimm­ten ver­fah­rens­recht­li­chen Er­for­der­nis­sen ge­nügt. Dies be­trifft ins­be­son­de­re die zu­läs­si­gen Zu­stel­lungs­ar­ten, die ab­schlie­ßend in den Art. 13 und 14 EuVT­VO be­schrie­ben wer­den.

Un­mit­tel­ba­re Kon­se­quenz ist, dass eine Be­stä­ti­gung als Eu­ro­päi­scher Voll­stre­ckungs­ti­tel nicht er­fol­gen kann, wenn die An­schrift des Schuld­ners nicht mit Si­cher­heit er­mit­telt wer­den kann und das ver­fah­rensein­lei­ten­de Schrift­stück im Wege der öf­fent­li­chen Zu­stel­lung (§ 185 ZPO) zu­ge­stellt wor­den ist.

In einer sol­chen Kon­stel­la­ti­on be­steht für den Gläu­bi­ger al­ler­dings die Mög­lich­keit, eine Be­schei­ni­gung nach An­hang I der Brüs­sel Ia-VO zu be­an­tra­gen. In die­sem Sinne hat der EuGH mit Urt. v. 15.3.2012 (Rechts­sa­che C-292/10) ent­schie­den, dass unter der Brüs­sel Ia-VO der Er­lass eines Ver­säum­nis­ur­teils gegen einen Be­klag­ten mög­lich ist, „dem man­gels Er­mit­tel­bar­keit sei­nes Auf­ent­halts die Klage nach na­tio­na­lem Recht öf­fent­lich zu­ge­stellt wurde, so­fern sich das an­ge­ru­fe­ne Ge­richt vor­her ver­ge­wis­sert hat, dass alle Nach­for­schun­gen, die der Sorg­falts­grund­satz und der Grund­satz von Treu und Glau­ben ge­bie­ten, vor­ge­nom­men wor­den sind, um den Be­klag­ten aus­fin­dig zu ma­chen“. Ver­fährt der Gläu­bi­ger in die­ser Weise, ste­hen dem Voll­stre­ckungs­schuld­ner die in der Brüs­sel Ia-VO vor­ge­se­he­nen Rechts­schutz­mög­lich­kei­ten un­ein­ge­schränkt zu.


BGH, Be­schluss vom 07.07.2022 - IX ZB 38/21 (OLG Köln), BeckRS 2022, 20570