Urteilsanalyse
Volksverhetzung durch Verwendung eines gelben «nicht geimpft»-Sterns auf «Telegram»
Urteilsanalyse
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Das Verwenden eines mit der Inschrift "nicht geimpft" versehenen Davidsterns als Profilbild auf einem öffentlich einsehbaren Account bei dem Messengerdienst "Telegram", welcher dem gelben sog. "Judenstern" nachempfunden ist, den Juden in NS-Deutschland ab 1941 tragen mussten, kann nach einem Beschluss des LG Würzburg den Tatbestand der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB erfüllen.

7. Jun 2022

Anmerkung von Wiss. Mit. Dr. Sören Lichtenthäler, Knierim und Kollegen, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 11/2022 vom 03.06.2022

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Sachverhalt

Der B ist pensionierter Polizist, engagiert sich seit zwei Jahren in der „Querdenker“-Szene und ist in 59 „systemkritischen“ Gruppen bei dem Messengerdienst „Telegram“ aktiv. Zu einem nicht genau feststehenden Zeitpunkt wählte er einen gelben sog. „Judenstern“ mit der Inschrift „nicht geimpft“ als Profilbild für seinen (für alle Nutzer einsehbaren) Account bei „Telegram“. Dabei nahm er billigend in Kauf, dass ein nicht überschaubarer Personenkreis dies wahrnimmt und infolgedessen das Vertrauen einer Vielzahl von Menschen in den Zustand allgemeiner Rechtssicherheit beeinträchtigt wird. Aus diesem Grund leitete die StA ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung gegen ihn ein und beantragte beim AG den Erlass eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses, den dieses ablehnte. Hiergegen hat die StA fristgerecht Beschwerde erhoben, der das AG nicht abhalf.

Entscheidung

Das LG hob die Entscheidung des AG auf und erließ den beantragten Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss, weil es entgegen der Ausgangsinstanz den hierfür erforderlichen Anfangsverdacht wegen Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB bejahte.

Durch die Verwendung des gelben „nicht geimpft“-Sterns ziehe der B einen Vergleich zwischen der aktuellen öffentlichen Wahrnehmung und Behandlung ungeimpfter Personen und jüdischer Bürger unter der Herrschaft des Nationalsozialismus, was jedoch offenkundig jeglicher Tatsachengrundlage entbehre und letztlich die Shoah bagatellisiere. Andere (nicht strafbare) Deutungsmöglichkeiten kämen nach dem derzeitigen Ermittlungsstand nicht in Betracht. Diese Verharmlosung sei auch „öffentlich“ i.S. des § 130 Abs. 3 StGB erfolgt, weil sie von einem größeren nach Zahl und Individualität unbestimmten und durch nähere Beziehungen nicht verbundenen Personenkreis unmittelbar aufgrund des öffentlich einsehbaren Profibildes auf „Telegram“ habe wahrgenommen werden können.

Darüber hinaus sei die Äußerung geeignet gewesen, den öffentlichen Frieden zu stören. Der öffentliche Friede umfasse den Zustand allgemeiner Rechtssicherheit und des befriedeten Zusammenlebens der Bürger sowie das Bewusstsein der Bevölkerung, in Ruhe und Frieden zu leben. Es gehe um den Schutz vor Äußerungen, die erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind. Die Wahrung des öffentlichen Friedens beziehe sich demnach auf die Außenwirkung von Meinungsäußerungen etwa durch Appelle oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern können. Im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG müsse die Tat, obwohl § 130 Abs. 3 StGB ein abstraktes Gefährdungsdelikt sei, objektiv ex ante nach Inhalt, Ort oder anderen Umständen konkret geeignet gewesen sein, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern oder das psychische Klima aufzuhetzen. Dies sei aufgrund einer Gesamtwürdigung von Art, Inhalt, Form, Umfeld der Äußerung, Stimmungslage der Bevölkerung und politischer Situation zu bestimmen, wobei bereits die Verhetzung eines aufnahme-/gewaltbereiten Publikums genüge.

Dies sei hier der Fall, weil die „Telegram“-Gruppen, in denen der Beschuldigte aktiv ist, auf eine rechtsextreme politische Gesinnung schließen ließen. Das Diskussionsklima sei aufgeheizt und vergiftet. Man stilisiere sich zum Opfer einer staatlichen Willkürherrschaft und in diesem Zusammenhang komme es mitunter auch zu Gewaltaufrufen. Die Kammer verweist in diesem Zusammenhang auf den deutlichen Zuwachs, den politische motivierte Straftaten im Jahr 2021 im Vergleich zum Vorjahr erfahren habe. Den stärksten Anstieg hätten Straftaten verzeichnet, die von der Polizei keiner speziellen Ideologie zugeordnet wurden, allerdings in weiten Teilen mit Protesten gegen staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zusammenhingen. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen und in dem derzeitigen Diskussionsklima erscheine die Verwendung des gelben „Judensterns“ mit der Inschrift „nicht geimpft“ dazu geeignet, das Gefühl vermeintlicher Unterdrückung zu bestärken, die ohnehin bereits aufgeheizte politische Stimmung weiter zu verschärfen, die Hemmschwelle für gewaltsame staatsfeindliche Handlungen herabzusetzen und eine latent vorhandene Gewaltbereitschaft zu entfesseln.

Es sei zudem davon auszugehen, dass dem Beschuldigten die provozierende Wirkung seines haltlosen Vergleichs bewusst gewesen sei, und er nicht zuletzt wegen seiner langjährigen beruflichen Erfahrung die potentielle Gefährlichkeit seines Verhaltens erkannt und eine Gefährdung des öffentlichen Friedens zumindest billigend in Kauf genommen habe.

Praxishinweis

Dass die Gleichsetzung des Umgangs mit ungeimpften Menschen mit der systematischen Ausgrenzung und Vernichtung der Juden unter der NS-Herrschaft in politischer Hinsicht eine perfide Instrumentalisierung und in rechtlicher Hinsicht eine Verharmlosung der Shoah darstellt, dürfte außer Zweifel stehen (ebenso: OLG Saarbrücken BeckRS 2021, 4322, BayObLG BeckRS 2020, 52510).

Nach psychodynamischem Verständnis sind derartige Bagatellisierungen regelmäßig (Schuld-)Abwehrmechanismen, für die sich in der Forschung der Begriff des sekundären Antisemitismus eingebürgert hat. Die bloße Äußerung einer bestimmten (und sei es auch verachtenswerten) Meinung als solcher darf ein freiheitlicher Rechtsstaat aber weder verbieten noch mit Strafe belegen. Denn die Aufgabe des Rechts im klassisch rechtsstaatlich-liberalen Verständnis beschränkt sich darauf, die Ermöglichungsbedingungen der allgemeinen und gleichen Betätigung äußerer Willkürfreiheit zu garantieren, und die bloße Äußerung von Gedanken tut dieser grundsätzlich keinen Abbruch (krit. zur Strafbarkeit der Leugnung von Völkermorden daher: Köhler, NJW 1985, 2389; zur Legitimation der Beleidigungsdelikte nach einem solchen Rechtsverständnis: E.A. Wolff, ZStW 81 [1969], S. 886).

Dementsprechend erfordert § 130 Abs. 3 StGB zusätzlich, dass die jeweilige Äußerung auch geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Während dies bei den Tatvarianten des (öffentlichen) Leugnens oder Billigens jedoch nach der Rspr. i.d.R. vermutet wird (BGH NStZ-RR 2019, 108, 109), ist bei der des Verharmlosens eine nähere Prüfung im Einzelfall erforderlich (BVerfG NJW 2018, 2861; anders aber insoweit ohne Begründung: BayObLG BeckRS 2020, 52510). Eine Friedensstörung setzt nach der Rspr. des BVerfG voraus, dass sie mittelbar auf Realwirkungen angelegt ist und etwa in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen rechtsgutgefährdende Folgen unmittelbar auslösen kann (BVerfG NJW 2018, 2861).

Da die Gleichsetzung des gegenwärtigen Umgangs mit nicht geimpften Menschen usf. mit dem NS-Terror auch eine Selbstlegitimation von „Widerstand“ hiergegen impliziert, lässt sich einerseits durchaus argumentieren, dass sie Hemmschwellen herabsetzen kann. Andererseits kann man die tatsächliche Relevanz des „Telegram“-Accounts irgendeines rechtsradikalen Polizei-Pensionärs auch in Frage stellen. Letztlich hängt alles von einer diffusen Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls ab. Dies erklärt, weshalb das OLG Saarbrücken (a.a.O.) bei der Verwendung eines gelben „Judensterns“ mit ähnlichen Inschriften auf „facebook“ eine Eignung zur Friedensstörung abgelehnt hat, während das LG Würzburg sie im vorliegenden Fall jedenfalls i.S. eines Anfangsverdachts bejaht. Welche Ansicht sich am Ende durchsetzen wird, lässt sich angesichts des Fehlens eines handhabbaren normativen Maßstabs nicht prognostizieren.


LG Würzburg, Beschluss vom 18.05.2022 - 1 Qs 80/22, BeckRS 2022, 10930