Interview
„Vielfalt ist ein großer Vorteil“
Interview

Mit Benjamin Limbach hat in Nordrhein-Westfalen erstmals ein Politiker der Grünen das ­Justizministerium übernommen. Mit dem Sohn der früheren BVerfG-Präsidentin haben wir über seine Pläne gesprochen. Ein zentrales Anliegen für ihn: Die Diversität der Gesellschaft muss sich stärker in der Justiz widerspiegeln. Und gemeinsam mit seinen Ressortkollegen aus sämtlichen anderen Bundesländern ärgert er sich mächtig über den Bundesjustizminister.

Interview: Joachim Jahn, 15. Dez 2022.

 

NJW: Sie sind der erste grüne Justizminister in NRW. Was wollen Sie anders machen?

Limbach: Als Landesjustizminister kann man gar nicht alles anders machen, weil das Justizministerium ähnlich wie das für Finanzen und das für Inneres ein sehr administratives Ministerium ist – man hat erst einmal die Justiz, die laufen muss, und Justizvollzugsanstalten, in denen gearbeitet werden muss. Entscheidend ist, Schwerpunkte zu setzen: Für eine Orientierung an ­Bürgerinnen und den Bürgern und ihren Rechten, für eine Orientierung auch mit Blick auf die Schwachen in der Gesellschaft – etwa bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität, die sich gegen Kinder und Frauen richtet oder Zwangsprostitution beim Menschenhandel betrifft. Wichtig ist mir ein Blick auf Opferschutz, ein Blick aber auch darauf, Täter im Strafvollzug so zu behandeln, dass sie wirklich befähigt werden, nicht wieder rückfällig zu werden. Deswegen wollen wir dort auch verschiedene Gruppen im Vollzug getrennt in den Blick nehmen: Frauen, junge Täter, Täter mit Familie … Natürlich werden wir mit vielem weitermachen, was meine Vorgänger und meine Vorgängerin gemacht haben, aber auch das Instrumentarium um eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Umweltkriminalität ergänzen.

 

NJW: Als einen Ihrer Schwerpunkte haben Sie auf dem Deutschen Juristentag Diversität angesprochen …

Limbach: Diversität ist ein Kernthema grüner Politik: Es war immer Politik meiner Partei, für die Rechte und die Selbstverwirklichung marginalisierter Gruppen einzutreten – was bei den Frauen keineswegs eine Minderheit betrifft. Grüne sind früh für die Rechte von Menschen mit Migrationshintergrund und für die Rechte der LSBTIQ+-Community eingetreten. Die „Ehe für alle“ würde es ohne die grüne Regierungsbeteiligung im Bund zwischen 1998 und 2005 nicht geben. Die Grünen haben früh erkannt, dass diese Gesellschaft vielfältiger ist, als manche glauben, und das als großen Vorteil gerade von demokratischen Gesellschaften angesehen. Und die Diversität der Gesellschaft muss die Justiz abbilden, denn sie lebt vom Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger.

NJW: Wo erleben Sie denn Defizite?

Limbach: Leute aus Verbänden der LSBTIQ+-Community haben mir neulich gesagt: „Wir trauen uns nicht, Anzeige zu erstatten, denn wir wollen nicht noch mal diskriminiert werden.“ Wir müssen beweisen, dass der Rechtsstaat für alle da ist. Das gelingt am besten, wenn wir zeigen, dass die Justiz die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit abbildet. Gottlob sind wir schon lange kein reiner Männerverein mehr. Aber bei uns sind immer noch Menschen mit Migrationshintergrund nicht entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung vertreten. Und natürlich haben wir auch homosexuelle, bisexuelle oder transsexuelle Menschen, die in der Justiz ­arbeiten. Aber manche von ihnen sagen ebenso wie Menschen mit Migrationshintergrund, dass sie damit immer noch zurückhaltend umgehen oder sogar selbst Diskriminierung erlebt haben.

NJW: Was tun Sie dafür, dass sich das ändert?

Limbach: Der Anteil von Frauen in der Justiz liegt bereits über 50 %, aber das gilt nur für das Eingangsamt, nicht für die Hierarchiestufen. Wir haben schon verschiedene Modelle familienfreundlicher Arbeitsmodelle, etwa durch Teilzeit, und wollen das noch stärker auch für Führungskräfte öffnen. Wir dürfen nicht erst dann, wenn wir die Spitze eines Obergerichts besetzen, überlegen, wo wir Präsidenten und Präsidentinnen in den erstinstanzlichen Gerichten haben, sondern müssen gucken, dass wir die jungen Frauen schon am Anfang ihrer Laufbahn fördern, und sie gezielt ansprechen. Häufig werden dort schon Weichen gestellt etwa bei der Frage: Werde ich Präsidialrichterin? Gehe ich in die Gerichtsverwaltung? Die, die das tun, finden sich später häufig in Führungspositionen wieder. Da müssen wir Mut machen, weil die Angebote häufig in einer Lebensphase kommen, in der die Betreffenden eine ­Familie gründen. Und wir erleben es immer noch zu häufig, dass dann Frauen zurückstecken.

NJW: Die Landesjustizminister ringen mit Bundes­justizminister Marco Buschmann noch immer über die Finanzierung von Rechtsstaats- und Digitalpakt. Ist das Tischtuch zerschnitten?

Limbach: Wir können immer noch mit ihm über viele sachliche Aspekte diskutieren. Aber wenn es um dieses Thema geht, sage ich ehrlich: Da ist die Stimmung zwischen Ländern und Bund mehr als angespannt. Wenn er sagen würde: „Einen Pakt für den Rechtsstaat gibt es dieses und nächstes Jahr nicht – wir ­haben einfach kein Geld, aber ein bisschen Geld für einen Digitalpakt“, dann würde ich sagen: „Das ist schade, und das müssen wir ändern, aber ich kann beim Bund ja auch nicht mehr Geld entdecken.“ Wenn er aber hingeht und sagt: „Liebe Länder, ich weiß gar nicht, warum Ihr Euch aufregt – ich mache hier den Pakt für den digitalen Rechtsstaat, und da kriegt Ihr 50 Millionen im Jahr für Projekte, die Ihr mit mir abstimmen müsst und die meinen Interessen dienen müssen“, dann werden die Länder nicht ausreichend respektiert. Eine Einigung setzt Ehrlichkeit im Umgang miteinander voraus, da muss jeder seine Karten auf den Tisch legen.

NJW: Buschmann will die audio-visuelle Dokumentation von Strafverfahren einführen und Videoverhandlungen in Zivilprozessen ausweiten. Schaffen Sie das alles im vorgegebenen Zeitrahmen?

Limbach: Wir haben die gesetzliche Verpflichtung zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der E-Akte bis 1.1.​2026. Das bindet unsere Arbeitskraft bis dahin komplett, das ist noch ein hartes Stück Arbeit. NRW ist gut dabei. Aber nun muss ich schon ab 2026 auch noch die audio-visuelle Dokumentation an unseren drei Oberlandesgerichten einführen und bis 2030 an den Landgerichten. Und gleichzeitig legt Buschmann uns auch noch den Referentenentwurf zu den Änderungen in der ZPO auf den Tisch, ohne sich vorher mal mit den Spitzen der Justizministerien in den Ländern zusammenzusetzen. Unsere Finanzsituation ist mehr als angespannt, und Informatiker gibt es nicht wie Sand am Meer.

NJW: Zum Schluss eine persönliche Frage: Ihre Mutter war Juraprofessorin sowie Justizsenatorin in Berlin und dann Präsidentin des BVerfG; sie hat sich als Feministin verstanden. Hat Sie das geprägt, und werden Sie zu sehr als deren Sohn wahrgenommen?

Limbach: Wenn ich das hätte vermeiden wollte, hätte ich nicht Jura studieren dürfen. Das ist eine feministische Familie seit mehreren Generationen: Meine Ur­urgroßmutter ist noch in Männerkleidern auf SPD-­Parteiveranstaltungen gegangen, weil Frauen nicht teilnehmen durften. Sie hat Arbeiterinnenvereine für Hausarbeiterinnen gegründet, die vom preußischen Staat immer wieder verboten wurden, und hat für ihre Überzeugungen auch mal im Gefängnis gesessen. Ihre Tochter saß in der Weimarer Nationalversammlung. Das sind schon sehr kämpferische Frauen gewesen. Für meine Mutter war es immer eine Verpflichtung, diesen Vorfahrinnen und ihrem Kampf für die Rechte von Frauen gerecht zu werden. Sie war eine emanzipierte Frau und Feministin. Man muss sich immer seiner ­Familiengeschichte stellen. Wenn man sich dann den Beruf eines Juristen aussucht, darf man sich nicht wundern, wenn man auf diese familiäre Verbindung angesprochen wird. Und es gibt schlimmere Verwandtschaftskonstellationen, als auf meine Mutter angesprochen zu werden. (lacht)

Dr. Benjamin Limbach hat Jura an der Universität Bonn studiert. 1999 trat er in den richterlichen Dienst ein, drei Jahre später wurde er zum Richter am VG Köln ernannt. Von 2003 bis 2014 übte er verschiedene Leitungsaufgaben im nordrhein-westfälischen Justizministerium aus. Anschließend war er bis 2020 Direktor der Fachhochschule für Rechtspflege NRW, danach Präsident der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung. Seit Ende Juni ist der Grünen-Politiker Justizminister in Düsseldorf.

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