NJW-Editorial
Videokonferenzen am BGH
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Der Aufbruch der Justiz in das digitale Zeitalter hat deutlich vor der Pandemie begonnen, nämlich spätestens mit den umfangreichen Arbeiten am elektronischen Rechtsverkehr und an der elektronischen Akte. Alle Maßnahmen finden während des laufenden Justizbetriebs statt, die für den Rechtsstaat bedeutsame Rechtsschutzgewähr muss ungehindert stattfinden können.

14. Mai 2021

Der Gewährung effektiven Rechtsschutzes unter den schwierigen Bedingungen der Pandemie dient auch die seit mehr als einem Jahr gepflegte Praxis insbesondere des X. Zivilsenats des BGH, mündliche Verhandlungen als hybride Videokonferenzen durchzuführen. Es gilt, einen Stillstand der Rechtspflege zu vermeiden. Dazu konnten wir einerseits auf § 128a ZPO zurückgreifen. Andererseits profitieren wir alle von der Initiative, den Kenntnissen und den Anstrengungen des Vorsitzenden dieses Senats. Der BGH ist danach in der Lage, auf § 128a ZPO gestützte, hybride Videokonferenzen in zwei kleineren Sälen und einem großen Saal durchzuführen. Die Videokonferenzen ersetzen dabei keineswegs mündliche Verhandlungen, und in der entsprechenden Praxis liegt auch kein Schritt in diese Richtung, sondern – ganz im Gegenteil – die hybriden Videokonferenzen erlauben weiterhin mündliche Verhandlungen mit einer Vielzahl auswärtiger Beteiligter.

Die am BGH gepflegte Praxis stößt auf sehr breite Akzeptanz. Das hat zwei Gründe: Zum einen müssen die auswärtigen Teilnehmer aufgrund der umfassenden und qualitativ hochwertigen Bild- und Tonübertragung nicht befürchten, eventuell bedeutsame Geschehnisse im Saal nicht mitzubekommen oder sich nicht in gleicher Weise wie persönlich Anwesende äußern zu können. Zum anderen tragen wir der oft herrschenden Unsicherheit im Umgang mit Videokonferenzen insbesondere durch Probesitzungen Rechnung.

Nach mehr als einem Jahr hybrider Videokonferenzen steht fest, dass der BGH sich auch auf schwierige und kurzfristig veränderte Bedingungen schnell einzustellen vermocht hat und dass es nicht zu einem Stillstand von Teilen der Rechtspflege gekommen ist. Dass hybride Videokonferenzen insofern hilfreich sind, zeigen auch die sehr beeindruckenden Zahlen aus der Landesjustiz. Allerdings steht auch fest, dass tiefgreifende Veränderungen der Mitwirkung aller Beteiligten bedürfen. Solche Veränderungen werden mit der bereits eingeleiteten Digitalisierung der Justiz in den nächsten Jahren in dichter Folge auf uns alle zukommen. Nur eine breite Mitwirkung von Anwälten und Richtern in allen Stadien des Veränderungsprozesses kann hierbei die angemessene Berücksichtigung praktischer Notwendigkeiten sicherstellen. Wer sonst sollte anwaltlichen und richterlichen Bedürfnissen Gehör verschaffen? •

Dr. Hartmut Rensen ist Richter am BGH und Mitglied des X. Zivilsenats.