Interview
„Ver­zwerg­te Fu­si­ons­kon­trol­le“
Interview
Foto_Kim_Manuel_Kuenstner_WEB
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Die Kar­tell­be­hör­den haben die Di­gi­tal­rie­sen im Vi­sier. Deren Markt­macht haben sie aber bis­her kaum be­gren­zen kön­nen. Sie re­sul­tiert ei­ner­seits aus or­ga­ni­schem Wachs­tum und Netz­werk­ef­fek­ten der da­ten­ba­sier­ten Ge­schäfts­mo­del­le, sie ist aber auch eine Folge zahl­rei­cher Über­nah­men. Hat da die Fu­si­ons­kon­trol­le ver­sagt? Hier­über haben wir mit dem ­Kartellrechtler Dr. Kim Ma­nu­el Künst­ner ge­spro­chen.

3. Mrz 2022

NJW: Mi­cro­soft will für fast 70 Mrd. Euro den Vi­deo­spiel­an­bie­ter Ac­ti­vi­si­on Bliz­zard kau­fen. Gibt es kar­tell­recht­li­che Be­den­ken gegen den Mega-Deal?

Künst­ner: Nach Me­di­en­be­rich­ten wird die Fe­de­ral Trade Com­mis­si­on (FTC), die US-ame­ri­ka­ni­sche Wett­be­werbs­be­hör­de, die Über­nah­me kar­tell­recht­lich prü­fen. Wie das aus­geht, ist aus mei­ner Sicht ganz offen, zumal es dort ge­ra­de im Kar­tell­recht in­ter­es­san­te Um­brü­che gibt.

NJW: Wel­che?

Künst­ner: In den Ver­ei­nig­ten Staa­ten hatte sich seit Ende der 1970er/An­fang der 1980 er Jahre die so­ge­nann­te Chi­ca­go-School durch­ge­setzt, die im Grun­de einer Nicht­an­wen­dung des Kar­tell­rechts das Wort ge­re­det hat – mit der Folge, dass es kaum noch Fälle gab. Jetzt fin­den zu­neh­mend pro­gres­si­ve Kar­tell­recht­ler und Öko­no­men, von ihren Wi­der­sa­chern etwas ab­wertend als Hip­ster-An­ti­trusts be­zeich­net, Gehör. Sie selbst be­zeich­nen sich unter Bezug auf den frü­he­ren Su­pre­me-Court-Rich­ter Louis Brand­eis als New-Brand­eis-School. Sie kri­ti­sie­ren die Macht­kon­zen­tra­ti­on bei den gro­ßen In­ter­net­kon­zer­nen sehr scharf und ar­gu­men­tie­ren nicht nur wirt­schaft­lich, son­dern auch ge­sell­schaft­lich, indem sie auf die Ge­fah­ren für die Demo­kratie hin­wei­sen. Die neue Che­fin der FTC, Lina Khan, wird die­ser Strö­mung zu­ge­rech­net. Viele er­war­ten von ihr und der Biden-Ad­mi­nis­tra­ti­on, dass sich die ­Fusionskontrolle deut­lich ver­schärft.

NJW: Sie haben die Fu­si­ons­kon­trol­le kürz­lich öf­fent­lich als „un­ge­nü­gend“ be­zeich­net. Kön­nen Sie das näher aus­füh­ren?

Künst­ner: Eine wirk­sa­me Fu­si­ons­kon­trol­le müss­te durch Norm­ge­bung und Auf­sicht so aus­ge­stal­tet sein, dass an be­stimm­te Deals gar nicht ge­dacht wird. Bei Ac­ti­vi­si­on Bliz­zard hätte Mi­cro­soft ei­gent­lich sagen müs­sen: Chan­cen­los, die Fu­si­on mel­den wir gar nicht erst an. Sie ma­chen es aber, weil sol­che Über­nah­men lange Zeit durch­ge­gan­gen sind, oft sogar ohne Auf­la­gen. Und das be­zie­he ich nicht nur auf die USA, son­dern glei­cher­ma­ßen auch auf Eu­ro­pa und Deutsch­land.

NJW: Hat das sei­nen Grund eher in zu­rück­hal­ten­den Wett­be­werbs­be­hör­den oder in nach­läs­si­gen Ge­set­zen?

Künst­ner: Bei­des. Die Ge­set­ze sind so ge­stal­tet, dass sie auch bei wett­be­werbs­po­li­tisch frag­wür­di­gen Fu­sio­nen mit einer fein zi­se­lier­ten ju­ris­ti­schen Ar­gu­men­ta­ti­on bei den Ge­rich­ten durch­drin­gen kön­nen. Und weil die Kar­tell­be­hör­den das wis­sen, win­ken sie man­che Trans­ak­tio­nen lie­ber durch, als sich auf einen jah­re­lan­gen Rechts­streit ein­zu­las­sen. Da würde man sich schon mehr Mut der Be­am­ten wün­schen. An­de­rer­seits: Wenn das Kar­tell­recht etwas, das wett­be­werbs­po­li­tisch nicht ge­wollt ist, letzt­lich er­mög­licht, hat die Fu­­sionskontrolle of­fen­sicht­lich auch nor­ma­ti­ve Schwä­chen.

NJW: Beim Bun­des­kar­tell­amt hat man aber den Ein­druck, dass es sich fast nur noch mit den Netz­gi­gan­ten be­fasst. Zu­rück­hal­tend wirkt das je­den­falls nicht?

Künst­ner: Das BKar­tA ist bei Big­Tech tat­säch­lich sehr pro­gres­siv. Es be­kommt auch Rü­cken­wind vom Kar­tell­se­nat des BGH, der die Ent­schei­dun­gen des Amtes in der Regel hält – oft gegen das OLG Düs­sel­dorf in der Vor­in­stanz. Aber auch dem Bun­des­kar­tell­amt feh­len mit­un­ter die nö­ti­gen In­stru­men­te. Das hat der Prä­si­dent zu­letzt in Bezug auf die Über­nah­me von Kus­to­mer durch Meta (Face­book) auch noch­mals deut­lich ge­macht, was ich als kla­res Si­gnal an die Po­li­tik deute, dass man bei die­sem Deal gerne etwas un­ter­nom­men hätte, aber nicht konn­te.

NJW: Warum scheint das Kar­tell­recht denn in die­sem Seg­ment we­ni­ger leis­tungs­fä­hig als in an­de­ren Be­rei­chen?

Künst­ner: Das lässt sich an­hand der Fu­si­ons­kon­trol­le recht ein­fach er­klä­ren: Sie soll Markt­be­herr­schung ver­hin­dern. Als sie ge­schaf­fen wurde, war die Welt noch eine an­de­re. Sie hatte Trans­ak­tio­nen im Blick, bei denen etwa der grö­ß­te Bau­kon­zern den zweit­grö­ß­ten über­neh­men woll­te, also di­rek­te Wett­be­wer­ber auf ho­ri­zon­ta­ler Ebene be­tei­ligt waren. Da funk­tio­niert die Fu­si­ons­kon­trol­le auch noch ei­ni­ger­ma­ßen. Die we­ni­gen Un­ter­sa­gun­gen, die Sie im Jahr haben, auch vom Bun­des­kar­tell­amt, be­tref­fen die­sen Be­reich. Bei ver­ti­ka­len Zu­sam­men­schlüs­sen, also von Un­ter­neh­men, die auf ver­schie­de­nen Markt­stu­fen ste­hen, oder bei kon­glo­me­ra­ten Fu­sio­nen, durch die Leis­tun­gen der be­tei­lig­ten Un­ter­neh­men wett­be­werbs­hin­dernd mit­ein­an­der ver­knüpft wer­den kön­nen, sieht das an­ders aus. Da ist es für die Kar­tell­be­hör­den gar nicht leicht, den rich­ti­gen Hebel zu fin­den, um einen Zu­sam­men­schluss zu un­ter­sa­gen.

NJW: Sind des­halb Über­nah­men wie die von Whats­App und In­sta­gram durch Face­book er­laubt wor­den?

Künst­ner: Die be­tei­lig­ten Un­ter­neh­men waren, auch wenn jedes von ihnen in sei­nem Be­reich schon markt­be­herr­schend war, bei kor­rek­ter Markt­ab­gren­zung keine di­rek­ten Wett­be­wer­ber. Also konn­te man sie nicht als ho­ri­zon­ta­le Zu­sam­men­schlüs­se un­ter­sa­gen. Üb­ri­gens: Würde man die Märk­te nicht so fein­glie­de­rig ab­gren­zen, käme man zu dem Er­geb­nis, dass die Un­ter­neh­men viel­leicht Wett­be­wer­ber sind, aber keins von ihnen markt­mäch­tig genug ist, um eine Fu­si­on zu un­ter­sa­gen.

NJW: Es war eben schon von feh­len­den In­stru­men­ten die Rede. Was wäre nötig, um die Markt­macht der In­ter­net­kon­zer­ne wirk­sam ein­zu­he­gen?

Künst­ner: Die Fu­si­ons­kon­trol­le müss­te ihre Selbst­ver­zwer­gung auf­ge­ben.

NJW: Das müs­sen Sie näher er­läu­tern.

Künst­ner: Fu­si­ons­kon­trol­le ver­zwergt sich quasi selbst, weil sie sich auf die wirt­schaft­li­chen Fol­gen be­schränkt. Die Macht­kon­zen­tra­ti­on ist auf ganz vie­len Ebe­nen ein Pro­blem. Sie ist eine Ge­fahr auch für uns als Ge­sell­schaft und für die De­mo­kra­tie, etwa durch die Pri­va­ti­sie­rung und al­go­rith­mi­sche Be­ein­flus­sung der öf­fent­li­chen Mei­nungs­bil­dung oder die Nut­zung mas­sen­haf­ter per­sön­li­cher Daten für So­ci­al Sco­ring oder Ähn­li­ches. Au­ßer­dem darf man den lob­by­is­ti­schen Ein­fluss, der mit gro­ßer Macht­ak­ku­mu­la­ti­on ein­her­geht, nicht un­ter­schät­zen.

NJW: Aber ist es Auf­ga­be des Kar­tell­rechts, auch sol­che As­pek­te in den Blick zu neh­men?

Künst­ner: Das Kar­tell­recht re­gu­liert den Wett­be­werb. The­men wie Nach­hal­tig­keit und Um­welt­schutz sind auch wett­be­werbs­re­le­vant. Daher soll­te man sie auch be­rück­sich­ti­gen. Die Wett­be­werbs­be­hör­den bräuch­ten aber na­tür­lich die nö­ti­gen Res­sour­cen, die sie schon heute nicht haben, wie der frü­he­re Chef­öko­nom der Wett­be­werbs­di­rek­ti­on in der EU-Kom­mis­si­on Tom­ma­so Val­let­ti ge­ra­de wie­der be­klagt hat.

NJW: Noch­mals zu den In­stru­men­ten. Ge­ra­de wird der Di­gi­tal Mar­kets Act (DMA) final ver­han­delt. Wie be­ur­tei­len Sie ihn?

Künst­ner: Er ist ein rich­ti­ger Schritt in die rich­ti­ge Rich­tung. Wich­tig ist, dass darin nicht die frü­he­ren Feh­ler der Fu­si­ons­kon­trol­le wie­der­holt wer­den. Das heißt: Es darf nicht wie­der ein Sys­tem ge­schaf­fen wer­den, das zu po­li­ti­schen Kom­pro­mis­sen der Durch­set­zungs­be­hör­den mit den gro­ßen Netz­fir­men führt. Es braucht In­stru­men­te, mit denen die Kom­mis­si­on zum Jagen ge­tra­gen wer­den kann. Ei­ni­gun­gen unter halb­ga­ren Auf­la­gen müs­sen ver­hin­dert wer­den. Eine Mög­lich­keit wäre etwa, dass man auch den na­tio­na­len Wett­be­werbs­be­hör­den ein Durch­set­zungs­recht gibt. Und es bräuch­te ein Pri­va­te En­force­ment, denn die von sol­chen Fu­sio­nen be­trof­fe­nen Un­ter­neh­men las­sen sich nicht auf Kom­pro­mis­se ein. Die Nich­tig­keits­kla­ge, mit der sie Frei­ga­be­ent­schei­dun­gen der EU-Kom­mis­si­on an­grei­fen kön­nen, ist wegen der engen Aus­le­gung der in­di­vi­du­el­len Be­trof­fen­heit durch den EuGH ein stump­fes Schwert. Und zu­letzt: Es gibt an­ders als in den USA keine miss­brauchs­auf­lö­sen­de Ent­flech­tung in Deutsch­land und Eu­ro­pa. Mit einer ge­neh­mig­ten Fu­si­on ist das Kind also in den Brun­nen ge­fal­len.

Dr. Kim Ma­nu­el Künst­ner be­gann nach Stu­di­um, Re­fe­ren­da­ri­at und einer kar­tell­recht­li­chen Pro­mo­ti­on an der Uni­ver­si­tät Hei­del­berg 2013 als Rechts­an­walt in der Kanz­lei Schul­te Rechts­an­wäl­te in Frank­furt a. M. Seit An­fang 2018 ist er deren Part­ner. Er berät natio­nale und in­ter­na­tio­na­le Un­ter­neh­men in allen Be­rei­chen des deut­schen und eu­ro­päi­schen Kar­tell­rechts sowie der Fu­si­ons­kon­trol­le.

Interview: Tobias Freudenberg .