Urteilsanalyse
Verzichtsurteil im Verfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde?
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§ 306 ZPO findet im Verfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde entsprechende Anwendung. Eine Zulassung der Revision und eine mündliche Verhandlung sind nicht erforderlich. Abweichend von § 78 I 3 ZPO kann, so der BGH, der Klageverzicht in dieser Verfahrenslage auch vom zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers wirksam erklärt werden.

29. Mrz 2022

Anmerkung von
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 06/2022 vom 25.03.2022

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Sachverhalt

Das BPatG erklärt ein Klagepatent teilweise für nichtig. Die hiergegen gerichtete Berufung weist der BGH zurück (GRUR-RS 2021, 36359). Die durch ihre zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vertretene Klägerin erklärt danach zwar die Rücknahme der Klage. Die Beklagten teilen aber mit, der Rücknahme nicht zuzustimmen. Die Klägerin verzichtet daraufhin – ebenfalls durch ihre zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten – auf den Klageanspruch. Fraglich ist, ob ohne Zulassung der Revision ein Verzichtsurteil ergehen kann.

Entscheidung: Es hat ein Verzichtsurteil zu ergehen!

Einer vorherigen Zulassung der Revision bedürfe es nicht. § 306 ZPO sei im Verfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde entsprechend anwendbar (§ 555 I ZPO). Nach der BGH-Rechtsprechung folge aus der Dispositionsmaxime, dass die Parteien, soweit deren Dispositionsbefugnis reiche, in jeder Lage des Verfahrens die Möglichkeit haben müssten, dieses durch Anerkenntnisurteil unmittelbar zu beenden. Würde die Möglichkeit des Anerkenntnisses erst nach Zulassung der Revision eröffnet, liefe dies dem Gesetzeszweck des § 307 BGB zuwider (Hinweis auf BGH NJW-RR 2010, 783 Rn. 2). Für einen Klageverzicht könne nichts anderes gelten: Er stelle das Spiegelbild zu einem Anerkenntnis dar.

Eine mündliche Verhandlung sei auch nicht erforderlich. Dass § 307 S. 2 ZPO ein außerhalb der mündlichen Verhandlung abgegebenes Anerkenntnis ausdrücklich vorsehe, während ein Verzichtsurteil nach dem Wortlaut des § 306 ZPO eine Erklärung in der mündlichen Verhandlung voraussetze, sei unerheblich. Das Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde werde regelmäßig schriftlich geführt. Die Entscheidung über die Zulässigkeit und Begründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde könne gem. § 544 VI 1 ZPO und § 128 IV ZPO ohne mündliche Verhandlung ergehen. Bei dieser Ausgangslage wäre dem berechtigten Interesse der Parteien, auf einfache Weise über den Streitgegenstand zu disponieren, nicht hinreichend Genüge getan, wenn allein deshalb ein Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt werden müsste, um wirksam einen Klageverzicht erklären zu können.

Praxishinweis

Der Senat hatte in zwei früheren Entscheidungen die Auffassung vertreten, dass ein Verzichtsurteil nur nach Zulassung der Revision und mündlicher Verhandlung ergehen kann (BGH BeckRS 2010, 27057 Rn. 3; BGH NJW 1988, 210). Hieran hält er jetzt nicht mehr fest.

Fraglich war im Übrigen auch, ob der Klageverzicht in der Verfahrenslage abweichend von § 78 I 3 ZPO auch vom zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten wirksam erklärt werden konnte. Auch das hat der BGH bejaht. Diese Lösung, im Einzelfall von § 78 I 3 ZPO Ausnahmen zuzulassen, ist nicht neu. Nachdenklich stimmt aber weiterhin, ob es richtig ist, Verfahrensvorschriften „abzuklopfen“, ob ihr Anwendungsbereich aus prozessökonomischen Erwägungen enger zu fassen ist (Elzer FD-ZVR 2014, 359538).

BGH, Urteil vom 14.12.2021 - X ZR 147/17, GRUR-RS 2021, 46537