Urteilsanalyse
Verzicht auf Einspruch vor Erlass des Vollstreckungsbescheids
Urteilsanalyse
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Der Antragsgegner kann - so der Bundesgerichtshof - in einem Mahnverfahren schon vor Erlass des Vollstreckungsbescheids durch einseitige Erklärung gegenüber dem Amtsgericht (Mahngericht) auf den Rechtsbehelf des Einspruchs wirksam verzichten.

22. Jun 2021

Anmerkung von
Richter am KG Dr. Oliver Elzer

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 12/2021 vom 11.06.2021

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Sachverhalt

Am 19.8.2916 erwirkt K beim AG Aschersleben einen Mahnbescheid über 2.200 EUR. Hiergegen legt B mit am 31.8.2016 bei Gericht eingegangenem Schreiben Widerspruch ein. Unter dem 17.1.2018 unterschreibt B einen an das AG Aschersleben adressierten Vordruck der K, mit dem er erklärt, seinen Widerspruch gegen den Mahnbescheid zurückzunehmen und auf den Einspruch gegen den noch zu erlassenden Vollstreckungsbescheid zu verzichten. Auf Antrag der K erlässt das AG Aschersleben sodann am 20.2.2018 einen Vollstreckungsbescheid. Gegen diesen legt B mit am 26.2.2018 eingegangenem Schreiben Einspruch ein. Mitarbeiter der K hätten ihn mehrfach aufgesucht, damit er den Verzicht unterzeichne, und Druck auf ihn ausgeübt. Außerdem sei ein einseitiger Verzicht auf den Einspruch gegen einen Vollstreckungsbescheid vor dessen Erlass unwirksam. Nach Abgabe der Sache verwirft das AG Frankfurt (Oder) den Einspruch als unzulässig. Die hiergegen erhobene Berufung weist das LG zurück. Mit der vom LG zugelassenen Revision verfolgt B seinen Antrag weiter.

Entscheidung: Ohne Erfolg!

Wirksame Verzichtserklärung

Die Verzichtserklärung sei wirksam. Sie sei nicht nach bürgerlichem Recht wegen Willensmängeln anfechtbar. Ebenso wenig dürften auf sie die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen die guten Sitten angewandt werden. Ein Rechtsbehelfsverzicht sei schließlich grundsätzlich auch nicht widerrufbar. Etwas andere gelte ua nur nach Treu und Glauben (§ 242 BGB). So liege es im Fall aber nicht. Zwar habe das AG festgestellt, dass es offenbar zu K‘s Geschäftsmodell gehöre, Kunden zur Rücknahme eines gegen einen Mahnbescheid erhobenen Widerspruchs und zum Verzicht auf den Einspruch gegen einen noch zu erlassenden Vollstreckungsbescheid zu veranlassen. Ein solches Gebaren sei im Ausgangspunkt auch bedenklich. Es begründe aber ohne nähere Darlegung der Umstände, unter denen die Verzichtserklärung zustande gekommen sei, allein noch keinen Verstoß gegen die Gebote von Treu und Glauben. 

Folgen des Verzichts

Der Verzicht führe zur Unzulässigkeit des Einspruchs. Nach der Dispositionsmaxime als tragendem Verfahrensgrundsatz des deutschen Zivilprozessrechts bestimmten die Parteien über Beginn, Umfang und Beendigung des Verfahrens. Ob gegen einen Vollstreckungsbescheid Einspruch eingelegt oder auf dieses Recht verzichtet werde, unterliege demgemäß der Dispositionsfreiheit des Antragsgegners als der beschwerten Partei. Eine Vorschrift, welche ihn daran hindere, schon vor Erlass des Vollstreckungsbescheids in einem anhängigen Mahnverfahren gegenüber dem Amtsgericht (Mahngericht) zu erklären, dass er nach Erlass desselben auf die Einlegung eines Einspruchs verzichte, existiere im Ergebnis nicht. Nach § 515 ZPO, der entsprechend anzuwenden sei, könne der Rechtsbehelfsverzicht seit dem 1.1.2002 auch vor Erlass einer Entscheidung erklärt werden.

Praxishinweis

Rechtsbehelfsverzicht

Ein Rechtsbehelfsverzicht ist anzunehmen, wenn in der Verzichtserklärung klar und eindeutig der Wille zum Ausdruck kommt, die Entscheidung endgültig hinnehmen und nicht anfechten zu wollen (BGH NJW-RR 2018, 250 Rn. 12 = FD-ZVR 2018, 400496 mAnm Toussaint). Inhalt und Tragweite eines gegenüber dem Gericht erklärten Rechtsbehelfsverzichts sind danach zu beurteilen, wie die Verzichtserklärung bei objektiver Betrachtung zu verstehen ist; ein davon abweichender innerer Wille des Handelnden ist unbeachtlich (BGH NJW 1990, 1118; BGH NJW-RR 1986, 1328).

Einseitiger Verzicht vor Titulierung

Bislang war trotz BGH NJW-RR 2018, 250 Rn. 14 immer noch vertreten worden, ein einseitiger Verzicht vor Titulierung sei unwirksam (Musielak/Voit/Stadler, 18. Aufl. 2021, ZPO § 346 Rn. 1; MüKoZPO/Prütting, 6. Aufl. 2020, ZPO § 346 Rn. 4). Dieser Ansicht zeigt die Entscheidung mit einer historischen Auslegung eine rote Karte. Sie dürfte jetzt absterben.

BGH, Urteil vom 01.04.2021 - III ZR 47/20, BeckRS 2021, 11489