Urteilsanalyse
Verzicht auf ein dingliches Wohnungsrecht ist eine Schenkung auch bei dauerhafter Hinderung an der Ausübung
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Der Verzicht auf ein dingliches Wohnungsrecht stellt nach Ansicht des BGH grundsätzlich auch dann eine Zuwendung aus dem Vermögen des Wohnungsberechtigten dar, wenn dieser im Zeitpunkt des Verzichts an der Ausübung des Rechts dauerhaft gehindert ist.

6. Jul 2021

Anmerkung von 
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
       
Aus beck-fachdienst Erbrecht 06/2021 vom 29.06.2021

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Sachverhalt

Die Klägerin macht gegen die Beklagte aus übergegangenem Recht einen Anspruch auf Ersatz des Werts einer Schenkung wegen Verarmung geltend.

Der Vater der Beklagten veräußerte an diese mit notariellem Kaufvertrag vom 13.12.1996 ein mit einem Wohnhaus bebautes Grundstück zum Preis von 354.000 DM. In derselben Urkunde räumte die Beklagte ihren Eltern ein unentgeltliches lebenslanges Wohnungsrecht an einer Wohnung im zweiten Obergeschoss ein, mit der Maßgabe, dass dieses Recht Dritten zur Ausübung nicht überlassen werden kann.

Für die Mutter der Beklagten wurde im Jahr 2009 Betreuung angeordnet und ein Betreuer für die Aufgabenkreise Vermögenssorge und Aufenthaltsbestimmung bestellt. Im April 2010 wurde sie mit Genehmigung des Betreuungsgerichts in ein Pflegeheim eingewiesen. Der Vater der Beklagten lebte ab November 2013 in derselben Einrichtung.

Am 23.06.2014 verzichteten die Eltern der Beklagten, die Mutter vertreten durch ihren Betreuer, auf das Wohnungsrecht und bewilligten die Löschung. Nach der Genehmigung des Verzichts der Mutter durch das Betreuungsgericht wurde das Wohnungsrecht im Grundbuch gelöscht. Im gleichen Jahr veräußerte die Beklagte das Grundstück zu einem Preis von rund 230.000 EUR.

Die Klägerin gewährte der im März 2019 verstorbenen Mutter der Beklagten ab April 2010 und dem im Juni 2017 verstorbenen Vater ab November 2013 Sozialhilfeleistungen, die sich bis zum 31.12.2015 auf einen Betrag von insgesamt 58.891,57 EUR beliefen. Mit Bescheid von 22.02.2016 hat sie die Ansprüche der Eltern auf Schenkungsrückforderung wegen Verarmung auf sich übergeleitet.

Die Klägerin macht geltend, der Verzicht auf das Wohnungsrecht stelle eine Schenkung an die Beklagte dar, durch die sich der Verkehrswert des Grundstücks um 41.000 EUR erhöht habe. Sie nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht auf Zahlung dieses Betrags in Anspruch.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.

Entscheidung: Die Berufung hat Erfolg, weil es sich bei dem Verzicht auf das Wohnungsrecht um eine Schenkung iSd § 516 Abs. 1 BGB handelt.

Anders als das Berufungsgericht angenommen hat, handelt es sich bei dem Verzicht auf das Wohnungsrecht um eine Schenkung iSv § 516 Abs. 1 BGB. Eine Entreicherung in diesem Sinne setzt nämlich nicht zwingend voraus, dass der zugewendete Gegenstand für den Schenker einen wirtschaftlichen Wert hatte. Es genügt vielmehr, dass die Zuwendung aus dem Vermögen des Schenkers erfolgt.

Der Verzicht auf das Wohnrecht hat zur Folge, dass das betroffene Grundstück von einer Belastung frei wird. Die darin liegende Zuwendung erfolgt aus dem Vermögen des Verzichtenden, weil dieser eine ihm zustehende Rechtsposition aufgibt. Dies reicht für eine Zuwendung aus dem Vermögen des Schenkers grundsätzlich aus.

An einer Entreicherung fehlt es ausnahmsweise, wenn das Recht löschungsreif ist, die Zustimmung zur Löschung im Grundbuch also nur dessen Berichtigung dient. Diese Voraussetzung liegt bei einem Wohnungsrecht vor, wenn das Recht niemandem mehr einen Vorteil bietet. Ein nur in der Person des Berechtigten liegendes Ausübungshindernis führt hingegen nicht generell zum Erlöschen des Rechts, selbst wenn das Hindernis auf Dauer besteht, etwa deshalb, weil der Berechtigte in ein Pflegeheim aufgenommen wird und nicht damit zu rechnen ist, dass er in die Wohnung zurückkehren kann (BGH NJW 2007, 1884 Rn. 13; NJW 2012, 3572 Rn. 6).

Im Streitfall lag allenfalls ein in der Person der Berechtigten liegendes Ausübungshindernis vor. Dieses führte auch dann nicht zum Erlöschen des Wohnungsrechts, wenn es auf Dauer bestand.

Welcher wirtschaftliche Wert der aufgegebenen Rechtsposition zukommt, ist grundsätzlich unerheblich. Es reicht aus, wenn der zugewendete Gegenstand aus dem Vermögen des Schenkers stammt. Ob der Wert, den der Gegenstand für den Empfänger hat, derselbe ist, den er für den Zuwendenden hatte, ist demgegenüber grundsätzlich unerheblich.

Ob ausnahmsweise etwas Anderes gilt, wenn das Recht für den Zuwendenden ohne jeden wirtschaftlichen Wert war oder sein Bestand für den Zuwendenden sogar zu einer wirtschaftlichen Belastung geführt hat, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts reicht nämlich der Umstand, dass der Berechtigte an einer Ausübung des Rechts auf Dauer gehindert ist, auch in diesem Zusammenhang nicht aus, um das Recht als völlig wertlos anzusehen.

Der Senat hat bereits früher entschieden, dass ein Wohnungsrecht, das nur noch formal weiterbesteht, weil mit einem Bezug der Wohnung durch den Berechtigten aufgrund einer Unterbringung in einem Heim nicht mehr zu rechnen ist, nicht ohne weiteres als wertlos angesehen werden kann. Die Eintragung eines Wohnungsrechts stellt für sich eine Belastung des Grundstücks dar, die sich dann, wenn eine Wiederaufnahme der Nutzung der Wohnung durch den Berechtigten voraussichtlich nicht mehr in Betracht kommt, zwar absehbar nicht mehr unmittelbar wirtschaftlich auswirken kann, die Verwertbarkeit des Grundstücks aber gleichwohl zu beeinträchtigen geeignet ist. Außerdem kann der Berechtigte dann, wenn das Wohnungsrecht Dritten nicht zur Ausübung überlassen werden darf, einer anderweitigen Nutzung der Wohnung, etwa einer Vermietung durch den Eigentümer an Dritte, grundsätzlich widersprechen (BGH NJW 2000, 728, 730 [zu II 2 b]).

Dies entspricht der typischen Verteilung der Befugnisse und Pflichten im Verhältnis zwischen dem Inhaber eines Wohnungsrechts und dem Eigentümer des belasteten Grundstücks. Beide Seiten können einer unberechtigten Nutzung der Sache, insbesondere einer Vermietung an Dritte, durch den jeweils anderen Teil entgegentreten. Beide können die aufgrund einer unberechtigten Vermietung erzielten Mieteinnahmen aber grundsätzlich nicht vom jeweils anderen Teil herausverlangen, weil ihnen insoweit keine Nutzungsbefugnis zusteht (BGH NJW 2012, 3572 Rn. 9 ff.). Deshalb besteht grundsätzlich auch kein Grund dafür, dass der Umzug des Berechtigten in ein Pflegeheim zu einer wirtschaftlichen Besserstellung des Eigentümers führt (BGH NJW 2007, 1884 Rn. 23; NJW 2009, 1348 Rn. 17). Deshalb bedarf es besonderer Umstände, um das Wohnungsrecht in solchen Konstellationen ausnahmsweise doch als völlig wertlos ansehen zu können. Solche Umstände sind im Streitfall nicht ersichtlich.

Zutreffend ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Verzicht auf das Wohnungsrecht unentgeltlich erfolgt ist. Nach der notariellen Urkunde über die Löschungsbewilligung haben die Beklagte und ihre Eltern für die Aufhebung des Wohnungs- und Mitbenutzungsrechts keine von der Beklagten zu erbringende Gegenleistung vereinbart. Auch wenn die Beklagte das Grundstück von ihrem Vater zu dem Zweck erworben haben mag, die Schulden der Eltern abzulösen und die Zwangsversteigerung des Grundstücks abzuwenden, ergeben sich weder aus der Vertragsurkunde noch sonst Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte und ihre Eltern davon ausgegangen wären, die Beklagte habe mit der Übernahme des Grundstücks bereits die Gegenleistung für einen späteren Verzicht ihrer Eltern auf das Wohnungsrecht erbracht.

Nach § 528 Abs. 1 BGB ist der Wert der Bereicherung herauszugeben. Dieser besteht im Falle eines Verzichts auf ein Wohnungsrecht nicht im Wert des Wohnungsrechts für den Berechtigten, sondern im Wert, den der Verzicht für den Beschenkten hat. Dieser Wert spiegelt sich regelmäßig in der Erhöhung des Verkehrswerts des Grundstücks bei Wegfall des Wohnungsrechts, da nur der sich hieraus ergebende Wertzuwachs dem Beschenkten zugutekommt (BGH NJW 2000, 728, 730).

Vor diesem Hintergrund kommt es im Streitfall nicht darauf an, ob zum Zeitpunkt des Verzichts auf das Wohnungsrecht mit einer Wiederaufnahme der Nutzung durch die Eltern der Beklagten zu rechnen war. Dementsprechend kann auch dahinstehen, ob die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens in diesem Zusammenhang verfahrensfehlerhaft war.

Dass die Eltern der Beklagten schon vor dem Verzicht auf das Wohnungsrecht und dessen Löschung von der Klägerin Sozialhilfeleistungen erhalten haben, die Bedürftigkeit mithin schon vor dem Vollzug der Schenkung vorlag, stellt die Anwendbarkeit des § 528 Abs. 1 BGB nicht in Frage. Das Erfordernis, dass der Schenker nach Vollziehung der Schenkung außerstande sein muss, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten, dient nur der zeitlichen Abgrenzung zur Einrede des Notbedarfs gemäß § 519 Abs. 1 BGB. Aus diesem Erfordernis ergibt sich nicht, dass die Bedürftigkeit Folge der Schenkung sein muss (BGH NJW 2005, 670, 671; NJW 1996, 987). Voraussetzung ist lediglich, dass der Notbedarf nach Abschluss des Schenkungsvertrags entstanden ist (BGH NJW 2007, 60, 62 Rn. 18).

Praxishinweis

Diese höchstrichterliche Entscheidung betrifft den häufig eintretenden Fall, dass der oder die Übergeber nach einer Grundstücksübertragung unter Wohnrechtsvorbehalt pflegebedürftig werden und dauerhaft in ein Pflegeheim umziehen müssen. Enthält der Übergabevertrag für diesen Fall keine Regelung, so entsteht das Problem, was aus dem im Grundbuch eingetragenen Wohnungsrecht wird. Einerseits hindert es den bzw. die Grundstückseigentümer sowohl an einer Vermietung als auch an einer Veräußerung, während andererseits das Wohnrecht für den bzw. die Berechtigten wirtschaftlich sinnlos geworden ist, weil sie wegen der Pflegebedürftigkeit dieses nicht mehr ausüben können, es sei denn durch Vermietung der Wohnung, sofern dies gestattet ist. Was liegt also näher, als auf das Wohnrecht zu verzichten und es im Grundbuch löschen zu lassen? Genau dies haben die Beteiligten im entschiedenen Fall auch gemacht.

Allerdings reicht bei den meisten Pflegebedürftigen die Rente für die Bezahlung der Pflege im Heim nicht aus, so dass oft der Sozialleistungsträger Leistungen erbringen muss. Dieser ist dann gemäß § 528 Abs. 1 BGB berechtigt, den Wert von Schenkungen von den Beschenkten zurückzufordern. Genau dies ist im entschiedenen Fall auch geschehen.

In diesem Rechtstreit ging es also um die Frage, ob der Verzicht auf ein nicht ausgeübtes - und auch nicht mehr ausübbares - Wohnrecht eine Schenkung iSd §§ 516 Abs. 1, 528 Abs. 1 BGB darstellt. Der Senat hat dies auf der Grundlage seiner bisherigen Rechtsprechung bejaht. Ein in der Person der Berechtigten liegendes Ausübungshindernis führe auch dann nicht zum faktischen Erlöschen des Wohnungsrechts, wenn es auf Dauer bestehen sollte. Mit Recht weist der Senat in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Berechtigte auch dann noch einer anderweitigen Nutzung der Wohnung, etwa einer Vermietung durch den Eigentümer an Dritte, grundsätzlich widersprechen kann, so dass Letzterer an einer wirtschaftlich sinnvollen Verwertung gehindert ist. Unausgesprochen steht dahinter der Gedanke, dass der Berechtigte auf dieser Rechtsgrundlage hoffen darf, vom Eigentümer eine Abfindung erhalten zu können, damit dieser die Immobilie nutzen oder veräußern kann.

Vor dem Hintergrund dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung iVm den sozialrechtlichen Überleitungsbestimmungen, sollte in jeden Übergabevertrag mit Wohnrechtsvorbehalt eine Regelung für den Fall der dauerhaften Pflegebedürftigkeit des bzw. der Berechtigten aufgenommen werden (ausführlicher hierzu und zu alternativen Gestaltungsmöglichkeiten Herrler DNotZ 2019, 493, 497). Eine solche Wegzugsklausel könnte so aussehen:

"Der bzw. die Übergeber verpflichten sich, das vorstehende Wohnungsrecht unverzüglich entschädigungslos aufzugeben und zur Löschung zu bewilligen, wenn die daraus resultierenden Rechte für einen zusammenhängenden Zeitraum von zwölf Monaten nicht mehr ausgeübt worden sind, vorausgesetzt jedoch, dass dieser Wegzug nicht vom Übernehmer oder einer ihm nahestehenden Person zu vertreten ist. Hat der Übernehmer oder eine ihm nahestehende Person den Wegzug zu vertreten, hat dieser eine monatliche Geldrente in Höhe der ortsüblichen Miete als Ersatz zu leisten. Die vorstehenden Regelungen gelten auch bei Aufgabe der Absicht, diese Rechte auszuüben."

Ergänzend sei an dieser Stelle noch darauf hingewiesen, dass der Verzicht auf das im Grundstücksübertragungsvertrag vorbehaltene Wohnrecht grundsätzlich schenkungssteuerpflichtig ist, so dass ein Notar sowohl eine von ihm beurkundete Verzichtserklärung als auch eine entsprechende Löschungsbewilligung dem zuständigen Schenkungssteuerfinanzamt gemäß § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 ErbStG anzeigen muss (Herrler DNotZ 2019, 493, 521; aM für die isolierte Löschungsbewilligung Everts MittBayNot 2015, 14, 17). Bei einem Verzicht auf ein nach der vom Senat dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung "löschungsreifen Wohnrecht, bei dem dieser eigentlich nur eine Grundbuchberichtigung bewirkt, besteht dagegen keine Anzeigepflicht. Deshalb braucht der Verzicht auf ein Wohnrecht, das mit einer hier vorgeschlagenen Wegzugsklausel versehen ist, dem Finanzamt nicht angezeigt zu werden.

Auf der Grundlage dieser höchstrichterlichen Entscheidung hätte der Betreuer in diesem Fall den Verzicht auf das Wohnrecht für die Mutter des Beklagten eigentlich überhaupt nicht erklären dürfen, weil § 1804 S. 1 BGB dem Betreuer grundsätzlich Schenkungen verbietet. Der BGH hat jedoch mit Beschluss vom 25.01.2012 (NJW 2012, 1956) entschieden, dass ein derartiger Verzicht durch den Betreuer zulässig sei. Diese Entscheidung beruft sich dabei auf den Zweck dieser Vorschrift, die dem Schutz des Vermögens des Betreuten diene, aus dem nichts zu seinem Nachteil unentgeltlich weggegeben werden solle. In dem erwähnten Beschluss hat der Senat den Verzicht deshalb nicht als Nachteil bewertet, weil dadurch das Vermögen des Betreuten von der laufenden Kostenbelastung durch Hausgeld und Nebenkosten befreit worden sei, so dass die Aufgabe des Wohnungsrechts für den Betreuten wirtschaftlich günstig war. Bei einem Wohnungsrecht, dessen laufenden Kosten vom Eigentümer zu tragen sind, wäre die Entscheidung folglich anders ausgefallen.

Spätestens mit dieser Entscheidung hat der BGH endgültig einen einheitlichen Schenkungsbegriff im BGB aufgegeben (vgl. einerseits Jaspert, ZEV 2020, 69, 73 mwN; andererseits Herrler DNotZ 2019, 493 Fn. 46).

BGH, Urteil vom 20.10.2020 - X ZR 7/20, BeckRS 2020, 36312