Urteilsanalyse

Ver­wal­ter ist kein Zu­stel­lungs­be­voll­mäch­tig­ter des Woh­nungs­ei­gen­tü­mers
Urteilsanalyse
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§ 45 Abs. 1 WEG ist nach einem Ur­teil des Bun­des­ge­richts­hofs vom 27.11.2020 ein­schrän­kend da­hin­ge­hend aus­zu­le­gen, dass bei einer Klage der Woh­nungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft gegen Woh­nungs­ei­gen­tü­mer der Ver­wal­ter nicht Zu­stel­lungs­ver­tre­ter der Be­klag­ten ist.

1. Apr 2021

An­mer­kung von
Rechts­an­walt Prof. Dr. Wolf-Rü­di­ger Bub und Rechts­an­walt Ni­ko­lay Pra­ma­tar­off
Rechts­an­wäl­te Bub, Mem­min­ger & Part­ner, Mün­chen, Frank­furt a.M.

Aus beck-fach­dienst Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht 06/2021 vom 25.03.2021

Diese Ur­teils­be­spre­chung ist Teil des zwei­wö­chent­lich er­schei­nen­den Fach­diens­tes Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht. Neben wei­te­ren aus­führ­li­chen Be­spre­chun­gen der ent­schei­den­den ak­tu­el­len Ur­tei­le im Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht be­inhal­tet er er­gän­zen­de Leit­satz­über­sich­ten und einen Über­blick über die re­le­van­ten neu er­schie­ne­nen Auf­sät­ze. Zudem in­for­miert er Sie in einem Nach­rich­ten­block über die wich­ti­gen Ent­wick­lun­gen in Ge­setz­ge­bung und Pra­xis. Wei­te­re In­for­ma­tio­nen und eine Schnell­be­stell­mög­lich­keit fin­den Sie unter www.​beck-​online.​de

Sach­ver­halt

Die be­klag­te Woh­nungs­ei­gen­tü­me­rin lebt auf Malta und war mit Haus­geld­zah­lun­gen in Ver­zug. In der an die Ver­wal­te­rin zu­ge­stell­ten Zah­lungs­kla­ge der Woh­nungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft war die Adres­se des Be­klag­ten auf Malta an­ge­ge­ben und die Ver­wal­te­rin als des­sen Zu­stel­lungs­ver­tre­te­rin gem. § 45 Abs. 1 WEG be­nannt. Nach Ab­lauf der Frist zur Ver­tei­di­gungs­an­zei­ge wurde der Ver­wal­te­rin das Ver­säum­nis­ur­teil zu­ge­stellt. Nach Ab­lauf der Ein­spruchs­frist legte die Be­klag­te Ein­spruch ein, ver­lang­te Wi­der­ein­set­zung in den vo­ri­gen Stand und be­haup­tet, sie habe von dem Ver­fah­ren erst Kennt­nis durch die ein­ge­lei­te­ten Voll­stre­ckungs­maß­nah­men er­langt. Das Amts­ge­richt hat den Ein­spruch durch Ur­teil als un­zu­läs­sig ver­wor­fen. Das Land­ge­richt hat die Ur­tei­le des Amts­ge­richts auf­ge­ho­ben und die Sache zur er­neu­ten Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Amts­ge­richt zu­rück­ver­wie­sen. Da­ge­gen rich­tet sich die von dem Land­ge­richt zu­ge­las­se­ne Re­vi­si­on der Klä­ge­rin, mit der sie die Wie­der­her­stel­lung der amts­ge­richt­li­chen Ur­tei­le be­gehrt.

Ent­schei­dung 

Die Re­vi­si­on hat kei­nen Er­folg.

Die Ur­tei­le des Amts­ge­richts seien au­ßer­halb eines rechts­hän­gi­gen Ver­fah­rens er­gan­gen und daher wir­kungs­los. Die Klage der Woh­nungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft gegen die Be­klag­te könne nicht wirk­sam der Ver­wal­te­rin zu­ge­stellt wer­den, da diese nicht Zu­stel­lungs­ver­tre­te­rin der be­klag­ten Woh­nungs­ei­gen­tü­me­rin gemäß § 45 Abs. 1 WEG sei.

§ 45 Abs. 1 WEG sei ein­schrän­kend da­hin­ge­hend aus­zu­le­gen, dass bei einer Klage der Woh­nungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft gegen Woh­nungs­ei­gen­tü­mer die Ver­wal­te­rin nicht Zu­stel­lungs­ver­tre­ter der Be­klag­ten ist. Ma­ß­geb­lich sei nicht die Zahl der be­klag­ten Woh­nungs­ei­gen­tü­mer, son­dern die Art des Ver­fah­rens. Klage die Woh­nungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft gegen ein­zel­ne oder meh­re­re Woh­nungs­ei­gen­tü­mer (§ 43 Nr. 2 WEG), sei § 45 Abs. 1 WEG nach sei­ner Ent­ste­hungs­ge­schich­te und sei­nem Sinn und Zweck nicht an­wend­bar.

In der Ge­set­zes­be­grün­dung sei klar­ge­stellt, dass gem. § 45 Abs. 1 WEG der Ver­wal­ter nur bei Strei­tig­kei­ten der Woh­nungs­ei­gen­tü­mer un­ter­ein­an­der Zu­stel­lungs­ver­tre­ter der be­klag­ten Woh­nungs­ei­gen­tü­mer sein könne. Dass dies für den Fall von Kla­gen der Woh­nungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft gegen einen Woh­nungs­ei­gen­tü­mer gel­ten solle, biete die Ge­set­zes­be­grün­dung da­ge­gen keine An­halts­punk­te. Zudem sei Sinn und Zweck der Norm, dass mit der grund­sätz­li­chen Zu­stel­lungs­be­voll­mäch­ti­gung des Ver­wal­ters für die Woh­nungs­ei­gen­tü­mer der Ge­setz­ge­ber den mit Zu­stel­lun­gen ver­bun­de­nen Auf­wand für das Ge­richt und auch die zu Las­ten der Woh­nungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft ent­ste­hen­den Kos­ten ge­ring­hal­ten woll­te, da grund­sätz­lich Kla­gen von Woh­nungs­ei­gen­tü­mern un­ter­ein­an­der an­ge­sichts der Viel­zahl der Be­klag­ten – im Ge­gen­satz zum vor­lie­gen­den Fall – einen hö­he­ren Zu­stel­lungs­auf­wand er­for­dern, so dass eine Bün­de­lung der Zu­stel­lung zur Ver­ein­fa­chung des Rechts­ver­kehrs mit den be­klag­ten Woh­nungs­ei­gen­tü­mern re­gel­mä­ßig sach­ge­recht sei.

Der Ver­wal­ter, der nach § 27 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 WEG Ver­tre­ter und Zu­stel­lungs­ver­tre­ter der Woh­nungs­ei­gen­tü­mer­ge­mein­schaft ist, könne nicht zu­gleich Zu­stel­lungs­ver­tre­ter des oder der be­klag­ten Woh­nungs­ei­gen­tü­mer sein. Dies lasse sich nicht mit dem in § 181 BGB und § 178 Abs. 2 ZPO zum Aus­druck kom­men­den Rechts­ge­dan­ken ver­ein­ba­ren, In­ter­es­sen­kol­li­sio­nen zu ver­mei­den.

Man­gels wirk­sa­mer Zu­stel­lung der Kla­ge­schrift an die Be­klag­te sei die Klage daher nicht gemäß § 253 Abs. 1, § 261 Abs. 1 ZPO rechts­hän­gig ge­wor­den und zwi­schen der Klä­ge­rin und der Be­klag­ten kein Pro­zess­rechts­ver­hält­nis be­grün­det wor­den.

Zu­tref­fend habe Be­ru­fungs­ge­richts, die erst­in­stanz­li­chen Ur­tei­le auf­ge­ho­ben und die Sache an das Amts­ge­richt zu­rück­ver­wie­sen, da die mit der Klage gel­tend ge­mach­ten An­sprü­che auf­grund der feh­len­den Rechts­hän­gig­keit noch nicht Ge­gen­stand eines erst­in­stanz­li­chen Ver­fah­rens und wirk­sa­men Ur­teils ge­we­sen seien.

Pra­xis­hin­weis

Der Ent­schei­dung, die noch zum alten Recht er­gan­gen ist, ist zu­zu­stim­men.

Ob der Ver­wal­ter Zu­stel­lungs­ver­tre­ter im vor­lie­gen­den Fall sein konn­te, wurde in der Li­te­ra­tur wei­test­ge­hend be­jaht. Teil­wei­se wurde die Norm auf sämt­li­che Ver­fah­ren nach § 43 WEG an­ge­wandt, in denen auf Be­klag­ten­sei­te ein Woh­nungs­ei­gen­tü­mer stand, mit­hin auch auf Strei­tig­kei­ten nach § 43 Nr. 2 WEG zwi­schen dem Ver­band als Klä­ger und einem oder meh­re­ren Woh­nungs­ei­gen­tü­mern als Be­klag­te (En­gel­hardt in Münch­ner Kom­men­tar, 8. Auf­la­ge 2020, § 45 WEG Rn. 2; teil­wei­se ein­schrän­kend, (gilt nicht) wenn nur ein ein­zel­ner Woh­nungs­ei­gen­tü­mer ver­klagt wird: Leh­mann-Rich­ter in Stau­din­ger, 2018, § 45 WEG Rn. 13).

Mit über­zeu­gen­der Ar­gu­men­ta­ti­on ent­schei­det sich der BGH da­ge­gen. Dar­über hin­aus lässt sich der Rechts­ge­dan­ke des § 45 Abs. 1 HS. 3 WEG aF, wo­nach eine Ver­tre­tung durch den Ver­wal­ter aus­ge­schlos­sen ist, wenn die Ge­fahr be­steht, er werde Mit­glie­der der Ge­mein­schaft nicht zu­ver­läs­sig un­ter­rich­ten – also ein Fall von In­ter­es­sen­kol­li­si­on vor­liegt –, auch auf den vor­lie­gen­den Fall über­tra­gen. Der BGH weist zu­tref­fend auf § 178 Abs. 2 ZPO hin.

In der WEG-Re­form ist die Zu­stel­lungs­norm des § 45 WEG mit Wir­kung zum 01.12.2020 er­satz­los ge­stri­chen wor­den, da sie der Ver­fah­rens­ver­ein­fa­chung, haupt­säch­lich bei Be­schluss­kla­gen, dien­te und ge­ra­de nicht den vor­lie­gen­den Fall be­traf. Sol­che Kla­gen sind nun­mehr je­doch gegen die Ge­mein­schaft der Woh­nungs­ei­gen­tü­mer zu rich­ten, vgl. § 44 Abs. 1 Satz 1 WEG nF.

BGH, Ur­teil vom 27.11.2020 - V ZR 67/20 (LG Bam­berg), BeckRS 2020, 43345