NJW-Editorial
Verträge während Krieg und Krisen
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Bedingt durch den Ukraine-Krieg sind die Kosten der deutschen Industrie auf allen Ebenen signifikant gestiegen, teilweise sogar explodiert. Welche Rechtsfolgen hat dies auf Lieferverträge, die Preise für längere Zeit festschreiben? Für die Beantwortung dieser Frage ist die Rechtsprechung hilfreich, die im Rahmen der Covid-19-Pandemie zu Gewerberaummietverträgen ergangen ist.

9. Feb 2023

Bedingt durch den Ukraine-Krieg sind die Kosten der deutschen Industrie auf allen Ebenen signifikant gestiegen, teilweise sogar explodiert, insbesondere solche für Energie, Rohmaterial (z.B. Stahl), Zulieferteile, Personal (Inflationsausgleich), Transportkosten etc. Hinzu kamen die durch Lockdowns in China und durch Transportprobleme (fehlende Container, überfüllte Häfen) bedingten Lieferengpässe (etwa für Chips). Sie führten und führen insbesondere in der Automobilindustrie zu Produktionsstopps mit der Folge, dass deutlich weniger Teile als gedacht abgerufen werden. Die mit einer ­hohen Stückzahl verbundenen Kostenvorteile („economies of scale“) bleiben aus.

Welche Rechtsfolgen hat dies auf Lieferverträge, die Preise für längere Zeit festschreiben? Für die Beantwortung dieser Frage ist die Rechtsprechung hilfreich, die im Rahmen der Covid-19-Pandemie zu Gewerberaummietverträgen ergangen ist. Der BGH und die OLG sind sich einig, dass derartige Verträge nach § 313 BGB angepasst werden können, soweit sie vor der Pandemie abgeschlossen wurden. So entschied das OLG Düsseldorf (Urt. v. 23.6.​2022 – 10 U 192/21, BeckRS 2022, 20509), dass dem Ver­pächter eines Hotels für den Zeitraum, in dem der Pächter das Hotel wegen pandemiebedingter Umsatzeinbrüche geschlossen hatte, wegen Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) lediglich 50 % der vereinbarten Bruttopacht zustünden.

Aus diesem Urteil (und entsprechenden Entscheidungen anderer OLGs) kann für Liefer­verträge, die die Preise längerfristig festsetzen, gefolgert werden: Covid-19-Pandemie, Ukraine-Krieg und Störung der Lieferketten stellen eine „Systemkrise“ dar, die „mit ­ihren weitreichenden Folgen … zu einer Störung der großen Geschäftsgrundlage geführt (hat). Das damit verbundene Risiko kann regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden.“ Die Systemkrise muss allerdings einen nicht „völlig zu vernachlässigenden Zeitraum“ andauern, wobei jedoch nach Auffassung des OLG Düsseldorf für die Anwendbarkeit von § 313 BGB bereits vier Monate ausreichen. Die Zulieferer haben also jedenfalls dann einen Anspruch auf Preisanpassung, wenn sie über längere Zeit nicht mehr kostendeckend produzieren können. Eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Zulieferers ist nicht erforderlich (OLG Düsseldorf unter Hinweis auf BGH NJW 2022, 1370). Bezüglich der Höhe der Preisanpassung kommt es nach allgemeiner Meinung auf eine umfassende Abwägung an, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind.

Es bleibt abzuwarten, ob der BGH die Auffassung des OLG Düsseldorf teilt. Ist dies der Fall, kann sich der Zulieferer dann, wenn sich sein Kunde weigert, dem Verlangen auf Preisanpassung zu entsprechen, anstelle einer gerichtlichen Geltendmachung der Preisanpassung auch vom Vertrag lösen (beispielhaft: BGH NJW 1969, 230).

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Gerhard Manz ist Rechtsanwalt bei von ADVANT Beiten, Freiburg.