Urteilsanalyse
Verteilung von Süßigkeiten durch Schöffen im Strafverfahren ist grundsätzlich unangemessen
Urteilsanalyse
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Die Verteilung von Süßigkeiten in einem Strafverfahren durch Schöffen erscheint dem LG Oldenburg grundsätzlich unangemessen.

2. Jun 2023

Anmerkung von

Rechtsanwältin Dr. Ruth Anthea Kienzerle, Ignor & Partner GbR, Berlin

Aus beck-fachdienst Strafrecht 11/2023 vom 01.06.2023

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Sachverhalt

Vor Beginn der Hauptverhandlung der kl. Strafkammer am 3.4.2023 begann eine Schöffin an die Verfahrensbeteiligten Schokoladen-Marienkäfer zu verteilen und legte bspw. der Protokollführerin einen solchen auf den Platz. Der Angeklagte A war zu dem Zeitpunkt nicht im Saal. Der StA erklärte in der Hauptverhandlung, er habe den Vorgang als unangemessen empfunden, dies der Schöffin mitgeteilt und das Schokoladenpräsent nicht angenommen. A stellte noch in der Hauptverhandlung den Antrag, die Schöffin wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Diese erklärte im Rahmen ihrer dienstlichen Äußerung, dass sie vorgehabt habe, dem Verteidiger ebenso ein Schokoladenpräsent zu übergeben, dass sie dies aber angesichts der Zurückweisung durch den StA nicht mehr getan habe.

Entscheidung

Die kl. Strafkammer wies den Befangenheitsantrag als unbegründet zurück. Die beanstandete Verteilung von Schokoladen-Marienkäfern begründe jedenfalls in der konkreten Situation und unter Berücksichtigung der dienstlichen Äußerung der Schöffin aus Sicht eines vernünftigen Angeklagten keine Zweifel an ihrer Unvoreingenommenheit. Zwar erscheine die Verteilung von Süßigkeiten in einem Strafverfahren grundsätzlich unangemessen. Doch lasse dies hier gerade nicht den Schluss zu, die Schöffin sei der StA eher gewogen als dem A oder seinem Verteidiger. Die Erklärung der Schöffin in ihrer dienstlichen Äußerung lasse darauf schließen, dass ihr die Unangemessenheit ihres Verhaltens erst anschließend klargeworden sei. Es bestünden keine Gründe, die Glaubhaftigkeit der Äußerung in Zweifel zu ziehen. Die Stellungnahme des Verteidigers vom 6.4.2023 begründe solche Zweifel ebenfalls nicht: Seine Ausführungen zeigten vielmehr, dass die Schöffin ihm gegenüber freundlich und zugewandt gefragt habe, ob der Sitzungssaal offen sei, oder ob sie ihm die Saaltür öffnen solle. Dass sie bei dieser Gelegenheit oder anschließend, als sie offenbar der Protokollführerin ein Stück Schokolade auf den Tisch legte, nicht daran gedacht habe, dies bereits zu diesem Zeitpunkt auch dem Verteidiger anzubieten, stelle keinen Befangenheitsgrund dar. Die Schöffin habe durch ihr Gesamtverhalten und durch ihre dienstliche Äußerung kein Verhalten zum Ausdruck gebracht, dass darauf schließen lasse, dass sie der Seite des A, insbesondere dem Verteidiger, weniger gewogen sei als der StA.

Praxishinweis

Für die Ablehnung von Schöffen wegen der Besorgnis der Befangenheit gelten die die gleichen Grundsätze und Befangenheitsgründe, wie bei den Berufsrichtern. Die Besorgnis der Befangenheit besteht, wenn aus Sicht eines vernünftigen Ablehnungsberechtigten Zweifel an der Unvoreingenommenheit und Unabhängigkeit des Schöffen bestehen. Misstrauen in die Unparteilichkeit ist gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zur Annahme hat, der Schöffe nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 24 Rn. 8 m.w.N.).

Schöffen, die Süßigkeiten an Verfahrensbeteiligte verteilen (gern: Schokoladen-Weihnachtsmänner), sind in diesem Zusammenhang gelegentlich Gegenstand der Rspr. (z.B. LG Flensburg BeckRS 2021, 602 m. Anm Krug, FD-StrafR 2021, 436222 ; LG Koblenz BeckRS 2013, 1405). Die sozialadäquate süße Nettigkeit wird jedenfalls dann zum Problem, wenn sie nicht allen Verfahrensbeteiligten gleichermaßen zugutekommt. Erhält bspw. nur die Staatsanwaltschaft, nicht aber der Angeklagte bzw. seine Verteidigung ein süßes Präsent, lässt dies durchaus besorgen, dass die Staatsanwaltschaft dem Schöffen sympathischer ist, er umgekehrt gegenüber den nicht Beschenkten gewisse Antipathien hegt und deren Argumenten inhaltlich womöglich weniger Beachtung schenkt. Deshalb gilt: Alle oder keiner (Krug, a.a.O.). Das LG Oldenburg sagt nun: Besser keiner.

LG Oldenburg, Beschluss vom 24.04.2023 - 12 Ns 380 Js 80809/21 (299/22), BeckRS 2023, 9530