Kolumne
Verstetigung
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© Nicola Quarz

Die Corona-Krise erweist sich als dauerhafter als erwartet, die „Stunde der Exekutive“ dehnt sich. Anstatt zeit- und situationsgebundene Verordnungsbefugnisse befristet zu verlängern, werden manche von ihnen „verstetigt“, etwa in einem Gesetzentwurf, der dem Bundesgesundheitsministerium weitreichende Sonderrechte einräumt. Das ist verfassungsrechtlich höchst problematisch.

29. Okt 2020

Es war zu erwarten: In der „Stunde der Exekutive“ waren dieser, in Gestalt des Bundesministeriums für Gesundheit, unter Befristung auf eben diese „Stunde“, weitreichende Verordnungsrechte übertragen worden. Die Krise erweist sich dauerhafter als erwartet, die Stunde dehnt sich. Logische Konsequenz wäre, Sonderrechte befristet zu verlängern. Der Referentenentwurf für ein Drittes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, der als „Formulierungshilfe“ für ein durch die Koalitionsfraktionen einzubringendes Gesetz firmiert, geht weit darüber hinaus. Die zeit- und situationsgebundenen Verordnungsbefugnisse werden entfristet oder, so die Entwurfsbegründung, „verstetigt“ – und wer wollte schon etwas einwenden gegen eine Verstetigung des Rechts in diesen unsteten Zeiten. Framing hat längst die Sphären der Gesetzgebung erreicht. Dieser Sprachgebrauch ist ebenso bemerkenswert wie der Umstand, dass die zu verstetigenden Verordnungsermächtigungen, die auch „vereinzelt weiterentwickelt“ werden sollen, im Gesetz um mehr als 30 Hausnummern verschoben werden, von § 5 zu § 36. Dies wirkt verunklarend und erschwert es, die Gesetzesänderung in ihrer ganzen Tragweite zu erfassen. Sie ist erheblich. Unter der Voraussetzung einer Gefährdung durch „schwerwiegende übertragbare Krankheiten“, was den Anwendungsbereich der Norm deutlich über Krisensituationen wie die gegenwärtige Corona-Epidemie hinaus erstreckt, können im Verordnungswege intensive Grundrechtseingriffe angeordnet werden, etwa Beschränkungen des Reiseverkehrs, umfassende Auskunfts-, Nachweis- und Duldungspflichten. Mögen derartige Maßnahmen im Einzelfall legitim und verhältnismäßig sein, so weckt doch die Summierung der Befugnisse, die Konzentration bei einem einzelnen Ministerium, die unbefristete Geltung in Verbindung mit den unbestimmt weit formulierten Eingriffsvoraussetzungen verfassungsrechtliche Zweifel. Sie werden auch nicht dadurch behoben, dass der Bundestag die Aufhebung von Verordnungen verlangen kann.

Nicht weniger problematisch aus Sicht des Verfassungsrechts ist, was nicht im Gesetz stehen soll. Mit dem vorliegenden Entwurf unterließe es der Gesetzgeber erneut, wesentliche Fragen, wie vom Grundgesetz gefordert, selbst zu entscheiden, also etwa die tatbestandlichen Voraussetzungen für bestimmte eingriffsintensive, mittlerweile standardisierte Maßnahmen in den Grundzügen selbst zu regeln. Und sollte es in der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes wirklich Sache der Länder sein, souverän über die Schließung innerdeutscher Grenzen für Auswärtige zu befinden? Die Parlamente haben das Terrain weitgehend der Exekutive überlassen – aufgegebenes Terrain ist nur schwer zurückzugewinnen. Der freiheitliche Rechtsstaat steht auch jetzt vor der Herausforderung, Freiheit und Sicherheit in Balance zu bringen. Dafür stehen die Parlamente in der Verantwortung. Sie dürfen nicht zuwarten, sondern müssen ihre Rolle in der parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes selbstbewusst wahrnehmen. •

Prof. Dr. Christoph Degenhart ist Professor für Staats- und Verfassungsrecht sowie Medienrecht an der Universität Leipzig.