Urteilsanalyse
Versorgungskrankengeld – hier: Einwand des «Dauerzustandes»
Urteilsanalyse
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Der Anspruch auf Versorgungskrankengeld endet nach einem Urteil des LSG Baden-Württemberg mit dem Eintritt eines Dauerzustandes, ohne dass dieser gesondert festgestellt werden muss. Versorgungskrankengeld dient nicht dem Zweck, als rentenähnliche Dauerleistung eine Lücke im Schutz der gesetzlichen Rentenversicherung zu kompensieren.

10. Okt 2022

Rechtsanwältin Katja Baumann-Flikschuh, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 20/2022 vom 30.09.2022

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Sozialversicherungsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Sozialversicherungsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Sozialversicherungsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de


Sachverhalt

Der Kläger begehrt die Gewährung von weiterem Versorgungskrankengeld nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Verbindung mit dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) bis zum Renteneintritt aufgrund einer 1975 erlittenen Wehrdienstbeschädigung.

Der Kläger, geboren 1954, hat nach der Hauptschule eine Schreinerlehre abgeschlossen und vom 01.04.1974 bis 31.03.1976 Wehrdienst in der Bundeswehr geleistet. Im April 1975 zog er sich beim Dienstsport einen Innenmeniskusschaden am rechten Knie mit Lockerung des Innenbandes und einen leichten Meniskusschaden links zu. Im Jahr 1975 erkannte die zuständige Wehrbereichsverwaltung als Folge einer Wehrdienstbeschädigung die Entfernung des Innenmeniskus, eine leichte Bandlockerung des rechten Kniegelenks und eine Entfernung des Innen- und Außenmeniskus links an und gewährte Leistungen bis zum 01.12.1975. Aufgrund eines Rechtsstreits erkannte das Landratsamt ab dem 01.03.2004 eine Wehrdienstbeschädigung mit einem entsprechenden Schaden an den Kniegelenken an mit einem GdS von 30 ab 01.03.2004. Der Kläger hat nach Entlassung aus der Bundeswehr verschiedene Tätigkeiten verrichtet, unter anderem als LKW-Fahrer und Schreiner. Er wurde umgeschult und war seit 1981 auch selbständig im Holzhandel und Innenausbau tätig. Wegen der Beschwerden in den Kniegelenken kam es immer wieder zu Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, während derer die zuständige Versorgungsverwaltung Versorgungskrankengeld zuletzt im März 2019 bewilligte. Mit angefochtenem Bescheid stellte die Beklagte das Bestehen eines Dauerzustandes fest und lehnte die Zahlung von Versorgungskrankengeld mit Ablauf des 18.10.2019 ab. Ein Dauerzustand sei gegeben, wenn die Arbeitsunfähigkeit in den nächsten 78 Wochen voraussichtlich nicht zu beseitigen sei. Zeiten einer vorausgehenden, auf derselben Krankheit beruhenden Arbeitsunfähigkeit seien auf diese Frist anzurechnen. Widerspruch und Klage waren erfolglos. Es sei ein Dauerzustand gem. § 18a Abs. 7 BVG gegeben. Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers.

Entscheidung

Das LSG weist die Berufung als unbegründet zurück. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prognose, ob ein Dauerzustand i.S.d. § 18a Abs. 7 BVG vorliegt, ist der Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens, also der Erlass des Widerspruchsbescheides. Ausgehend von der anerkannten Wehrdienstbeschädigung unterstellt das Gericht nach Maßgabe der eingeholten medizinischen Berichte, dass der Kläger im streitigen Zeitraum vom 19.10.2019 bis 31.03.2020 wohl arbeitsunfähig war, der Anspruch auf Versorgungskrankengeld aber zuvor durch den Eintritt eines Dauerzustandes geendet hat. Nach § 18a Abs. 7 BVG endet das Versorgungskrankengeld mit dem Eintritt eines Dauerzustandes bzw. der Bewilligung einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Ein Dauerzustand ist gegeben, wenn die Arbeitsunfähigkeit in den nächsten 78 Wochen voraussichtlich nicht zu beseitigen ist. Das LSG listet die Tage der Arbeitsunfähigkeit vor der Entscheidung über den Widerspruch auf und gelangt zu dem Ergebnis, dass die Grenze von 78 Wochen innerhalb des Drei-Jahres-Zeitraums deutlich überschritten ist. Ausgehend von der Tätigkeit als Schreiner ist von entsprechenden Arbeitsunfähigkeitszeiten auch in Zukunft auszugehen. Im Jahre 2018 ist eine Verschlechterung eingetreten. Besserungsmöglichkeiten werden seitens der Ärzte nicht beschrieben. Für die Frage der Perpetuierung der Arbeitsunfähigkeit kommt es maßgeblich auf den Gesundheitszustand an und somit auf die medizinischen Fakten. Weder eine wertende noch eine Zweckmäßigkeitsentscheidung der Verwaltung ist also vorgeschaltet, so dass ein der gerichtlichen Überprüfung entzogener Entscheidungsfreiraum der Behörde nicht besteht. Unter Berücksichtigung der von der Verwaltung beigezogenen Bescheide über die Einkommensteuer gelangt der Senat zu dem Ergebnis, dass der Kläger seine selbständige berufliche Tätigkeit nur noch sehr eingeschränkt ausüben kann, was ebenfalls für einen Dauerzustand im Sinne des Gesetzes spricht. Der Senat folgt dem Vortrag des Klägers nicht, wonach seine selbständige berufliche Tätigkeit sich seit 2012 nur noch auf leichte Tätigkeiten überwachender Art beschränke. Selbst wenn dieses Vorbringen zuträfe, wäre dann jedenfalls keine Arbeitsunfähigkeit zu begründen und schon gar nicht passt dies zu dem Antrag des Klägers auf Erhöhung des GdS.

Praxishinweis

1. Das sehr ausführliche Urteil setzt sich sowohl mit dem Vortrag des Klägers als auch mit zahlreichen medizinischen Unterlagen und der Beschreibung der beruflichen Anforderungen auseinander. Die zahlreichen AU-Zeiten in den vergangenen Jahren lassen danach kaum einen anderen Schluss zu als den eines „Dauerzustandes“ i.S.d. § 18a Abs. 7 BVG. Dies unbeschadet der Tatsache, dass es sich in der Vergangenheit jeweils um vorübergehende Zeiten der AU handelte, begrenzt auf wenige Wochen, bisweilen auch mehrere Monate. Die Argumentation des LSG entspricht der neuen Entscheidung des BSG (vom 25.8.2022 – B 9 V 4/21 Rbecklink 2024443).

2. Der Kläger, dem eine Grundrente nach einem GdS von 30 gewährt wird, könnte einwenden, dass das soziale Entschädigungsrecht ihn nun gerade in dem Moment alleine lässt, in dem er – eben wegen des Dauerzustandes der gesundheitlichen Schädigung – auf finanzielle Hilfe angewiesen ist. Er könnte nun einen Berufsschadensausgleich oder eine Ausgleichsrente für den Verlust an Einkommen aus Erwerbstätigkeit beantragen, auch wenn damit wohl kaum der Verdienstausfall in voller Höhe kompensiert wird.

3. Die Überlegung des Klägers, die Zeiten der Bewilligung von Versorgungskrankengeld würden in der Rentenversicherung berücksichtigt (§ 3 SGB VI), weshalb ihm der Anspruch nicht strittig gemacht werden dürfe, werden vom LSG zurückgewiesen: Das Versorgungskrankengeld verfolgt nicht vorrangig den Zweck, Rentenanwartschaften zu begründen, sondern zielt auf vorübergehenden schädigungsbedingten Verdienstausfall.


LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.07.2022 - L 6 VS 2165/21, BeckRS 2022, 19792