Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Nicolas Böhm, Ignor & Partner GbR, Berlin
Aus beck-fachdienst Strafrecht 04/2022 vom 25.02.2022
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Sachverhalt
Vor Beginn der gegen A wegen Vergewaltigung am LG geführten Hauptverhandlung kam es außerhalb des Sitzungssaals zu einem Gespräch, an dem die Berufsrichter, die Schöffen, der Sitzungsvertreter der StA und der Verteidiger, nicht aber A teilnahmen. Der Vorsitzende legt dabei dar, dass im Falle eines Geständnisses eine Gesamtfreiheitsstrafe im Bereich von zwei Jahren in Betracht komme. Der Sitzungsvertreter der StA brachte seine Bedenken gegen eine Strafe in der genannten Höhe zum Ausdruck und äußerte sich in diesem Zusammenhang zu einem Rechtsmittel der StA, wobei diese Äußerung entweder die nur geringen Erfolgsaussichten einer Strafmaßrevision bei einem handwerklich gut gemachten Urteil ? so die dienstliche Erklärung des StA ? oder das mögliche Unterbleiben einer Revisionseinlegung ? so die anwaltliche Versicherung des Verteidigers ? zum Gegenstand hatte. Der Verteidiger erklärte, den Vorschlag mit A besprechen zu wollen. Nach Beginn der Hauptverhandlung teilte der Vorsitzende im Anschluss an die Verlesung der Anklageschrift und die Feststellung der Verfahrenseröffnung mit, dass mit den Verfahrensbeteiligten ein Rechtsgespräch geführt und eine Verständigung nicht getroffen worden sei. Im Anschluss äußerte sich der über sein Schweigerecht belehrte A bestreitend zur Sache. Wegen Vergewaltigung in zwei Fällen verurteilte ihn das LG schließlich zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Hiergegen wandte sich die Revision des A.
Entscheidung
Auf die Verfahrensrüge hob der BGH das Urteil des LG auf. A beanstande zu Recht die Verletzung der Mitteilungspflicht, § 243 Abs. 4 S. 1 StPO.
Indem der Vorsitzende lediglich die Gesprächsführung als solche und als deren Ergebnis das Ausbleiben einer Verständigung, nicht aber den wesentlichen Inhalt der im Vorfeld der Hauptverhandlung erfolgten Unterredung mitteilte, genüge er nicht der sich aus § 243 Abs. 4 S. 1 StPO ergebenden Pflicht zur Information über außerhalb der Hauptverhandlung geführte verständigungsbezogene Erörterungen. Auch könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Urteil hierauf beruhe. Die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 S. 1 StPO verfolge den Zweck, einen Angeklagten durch eine umfassende Unterrichtung über die wesentlichen Gesprächsinhalte seitens des Gerichts in die Lage zu versetzen, eine sachgerechte autonome Entscheidung über sein Verteidigungsverhalten zu treffen. Ferner sollen die Transparenz- und Dokumentationspflichten eine effektive Kontrolle des Verständigungsgeschehens durch die Öffentlichkeit, die StA und das Rechtsmittelgericht ermöglichen. Im Rahmen der Beruhensprüfung seien beide Aspekte der durch § 243 Abs. 4 S. 1 StPO bezweckten Schutzwirkung in den Blick zu nehmen. Das Beruhen des Urteils auf der Verletzung der Mitteilungspflicht könne nur ausgeschlossen werden, wenn der Mitteilungsmangel sich einerseits nicht in entscheidungserheblicher Weise auf das Prozessverhalten des A ausgewirkt haben kann und mit Blick auf die Kontrollfunktion der Mitteilungspflicht andererseits der Inhalt der Gespräche zweifelsfrei feststeht und diese nicht auf die Herbeiführung einer gesetzwidrigen Absprache gerichtet waren.
Von diesen Maßstäben ausgehend lasse sich ein Beruhenszusammenhang hier nicht verneinen. Es könne schon nicht ausgeschlossen werden, dass eine Unterrichtung des A über den wesentlichen Inhalt des Verständigungsgesprächs zu einem anderen, ggfls. geständigen Einlassungsverhalten des A geführt hätte. Angesichts des Umstands, dass der StA seine ablehnende Stellungnahme zu der Strafmaßvorstellung mit einer inhaltlich nicht dokumentierten und von ihm sowie dem Verteidiger unterschiedlich verstandenen Äußerung über ein Rechtsmittel verknüpfte, liegt zudem ein gravierender Transparenzmangel vor, der es nicht als ausgeschlossen erscheinen lasse, dass die Unterredung eine informelle Verständigung zum Gegenstand hatte.
Praxishinweis
Die Mitteilungspflicht gehört zu den vom Gesetzgeber zur Absicherung des Verständigungsverfahrens normierten Transparenz- und Dokumentationsregeln, durch die gewährleistet werden soll, dass Erörterungen mit dem Ziel einer Verständigung in öffentlicher Hauptverhandlung zur Sprache kommen und für unkontrollierbares Verhalten unter Umgehung der strafprozessualen Grundsätze kein Raum verbleibt (BGH NJW 2015, 645). Deswegen ist der Vorsitzende gem. § 243 Abs. 4 S. 1 StPO stets zur Mitteilung über das wesentliche Ergebnis von Erörterungen, die eine Verbindung zwischen einem möglichen Geständnis und dem Verfahrensergebnis zum Inhalt haben, verpflichtet. Dies gilt ohne Einschränkungen auch im Falle erfolgloser Verständigungsbemühungen (BVerfG NJW 2020, 2461 [2463]) sowie selbst dann, wenn der Angeklagte von seinem Verteidiger vollumfänglich über den Inhalt des Gesprächs informiert wurde (BGH NStZ 2017, 244 [245). Unterlässt der Vorsitzende die Mitteilung, ist die Entscheidung mit der Verfahrensrüge angreifbar. Einen absoluten Revisionsgrund iSd § 338 Nr. 6 StPO soll die Verletzung des § 243 Abs. 4 S. 1 StPO zwar nicht darstellen. Nach st. Rspr. (vgl. nur BGH, aaO) beruht ein Verständigungsurteil idR aber auf der Verletzung der Mitteilungspflicht, insb. wenn – wie hier aufgrund der unterschiedlichen Interpretationen der Aussage des StA – nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Rechtsmittelverzicht und damit ein „informeller Deal“ im Raum stand. An derartigen rechtswidrigen Verständigungen sollte der Verteidiger nicht mitwirken. Denn abgesehen davon, dass er damit selbst straf- und haftungsrechtliche Risiken eingeht, rechtfertigt auch ein (scheinbarer) Vorteil für den Mandanten weder ein rechtswidriges Verhalten noch die darin zugleich liegende Einbuße an Integrität auf Seiten der Anwaltschaft. Strafverteidigung ist ein Recht innerhalb des Verfahrens und nicht gegen das Verfahren (s. auch MAH-Strafverteidigung/Ignor/Böhm, 3. Aufl. 2022, §
BGH, Beschluss vom 12.01.2022 - 4 StR 209/21 (LG Frankenthal), BeckRS 2022, 1031