Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Andreas J. Baumert, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, Honorarprofessor an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl, Lehrbeauftragter an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht Wiesbaden, EBS Law School und an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 25/2021 vom 09.12.2021
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Sachverhalt
Der Kläger fordert als Insolvenzverwalter „aufgrund insolvenzrechtlicher Anfechtung“ einen Betrag von der Beklagten, den diese aufgrund einer ihr abgetretenen Forderung der Insolvenzschuldnerin erlangte. Das Insolvenzverfahren ist am 20.3.2009 eröffnet worden; Grundlage war der Eigenantrag der Schuldnerin vom 26.1.2009 (dazu Sachverhalt bei LG Cottbus, BeckRS 2019, 56336).
Die Klage wurde Ende 2017 erhoben.
Erstinstanzlich erging Versäumnisurteil, das aufrechterhalten wurde. Auf die Berufung der Beklagten hin wurde das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Entscheidung
Der Anspruch sei verjährt.
Ohne grobe Fahrlässigkeit hätte der Kläger spätestens im Jahre 2010 von allen Umständen Kenntnis erlangt, die den Rückforderungsanspruch begründen (§ 146 InsO, § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Die erst Ende 2017 eingereichte Klage habe die dreijährige Verjährungsfrist nicht hemmen können, die bereits mit Jahresabschluss 2013 eingetreten sei. Dem Insolvenzverwalter sei grobe Fahrlässigkeit anzulasten, wenn er einem sich aufdrängenden Verdacht nicht nachgehe und auf der Hand liegende erfolgversprechende Erkenntnismöglichkeiten nicht ausnutze oder sich die Kenntnis in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühen und Kosten beschaffen könnte (BGH, NZI 2015, 734 Rn. 10).
So sei der Fall vorliegend. Dem Kläger seien zwei schwerwiegende Unterlassungen vorzuhalten. Er hätte einerseits die Forderungsanmeldungen gründlicher auswerten müssen und er hätte sich einen besseren Überblick über die Bewegungen auf allen Bankkonten in den besonders anfechtungsinteressanten Zeiträumen des letzten Monats und der letzten drei Monate vor dem Insolvenzantrag verschaffen müssen (Urteil Rn. 18).
Praxishinweis
Der BGH hatte mit Urteil vom 15.12.2016 (IX ZR 224/15, NZI 2017, 102 mit zust. Anm. Baumert, EWiR 2017, 147) ausgeurteilt, dass die Unkenntnis eines Insolvenzverwalters in einem umfangreichen Verfahren von einem Anfechtungsanspruch nicht allein deswegen grob fahrlässig sei, weil der Verwalter Zugriff auf die Buchhaltung des Schuldners hatte. Er genügt seinen Sorgfaltsanforderungen – jedenfalls in einem umfangreichen Verfahren - wenn er die Suche nach etwaigen Anfechtungsansprüchen strukturiert, indem er zunächst die Buchhaltung der Schuldnerin nach inkongruenten Zahlungen im letzten Monat vor Antragstellung insbesondere an die institutionellen Gläubiger durchforstet, sodann die Prüfung auf alle Zahlungen in den letzten drei Monaten vor Antragstellung ausweitet und anschließend immer weiter in der Prüfung zeitlich zurückgeht (BGH, NZI 2017, 102 Rn. 20). Auch wenn man diese Grundsätze nicht nur auf umfangreiche Verfahren beschränkt, sondern auch auf weniger umfangreiche Verfahren, wobei dann der Insolvenzverwalter im Rahmen einer sekundären Darlegungslast dazu vorzutragen hat, wie die Verfahrensabwicklung erfolgt ist (Baumert, EWiR 2017, 147, 148), liegt mit dem OLG Brandenburg grobe Fahrlässigkeit vor. Tatrichterlich wurde festgestellt, dass die Forderungsanmeldungen nicht gründlich ausgewertet wurden (Urteil Rn. 18) und der Insolvenzverwalter sich insgesamt keinen hinreichenden Überblick über die Bewegungen auf allen Bankkonten verschafft hat (Urteil Rn. 18). Grobe Fahrlässigkeit ist gegeben, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich groben Maß verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden und das nicht beachtet hat, was jedem einleuchten muss (Palandt/Ellenberger, BGB 80. Aufl. 2021, § 199 Rz. 39 m. N. der BGH-Rechtsprechung). So liegt der Fall hier. Die festgestellten Unterlassungen sind bereits nach dieser allgemeinen Definition grob fahrlässig, so dass es auf die einzelnen Fallgruppen, wie vom Neunten Senat in einer früheren Entscheidung zu § 146 Abs. 1 InsO umschrieben (BGH NZI 2015, 734, Rn. 10; dazu oben Rechtliche Würdigung), nicht entscheidungserheblich ankommt.
Um eine Verjährung von Anfechtungsansprüchen handelt es sich entgegen der Rechtsauffassung des OLG jedoch nicht. Geltend gemacht ist die Anfechtbarkeit der Verrechnung des Betrages auf dem Kontokorrentkonto des Schuldners bei der beklagten Bank. Es handelt sich damit um einen Fall gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Aufgrund der Unzulässigkeit der Aufrechnung wird damit der Anspruch durch den Insolvenzverwalter geltend gemacht, der ohne Verrechnung weiterhin besteht. Die Verjährung richtet sich aber auch in diesem Fall nach § 146 InsO, nachdem § 146 Abs. 1 InsO analog auf Forderungen anwendbar ist, die wegen Unwirksamkeit der Aufrechnung bzw. Verrechnung gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO geltend gemacht werden (BGH, NZI 2007, 31).
OLG Brandenburg, Urteil vom 21.07.2021 - 7 U 134/19 (LG Cottbus), BeckRS 2021, 23923