Anmerkung von
Rechtsanwalt Uwe Scholz, BUSSE & MIESSEN Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Berlin
Aus beck-fachdienst Medizinrecht 05/2022 vom 06.05.2022
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Sachverhalt
Der Kläger war bei dem beklagten Krankenhaus seit dem 13.11.2017 als Chefarzt beschäftigt. Die Beklagte beschäftigte ständig mehr als zehn Arbeitnehmer.
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 30.12.2019 das Arbeitsverhältnis zum Kläger fristgerecht zum 30.06.2020 gekündigt.
Das Arbeitsgericht Dresden hat zunächst festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Beklagten nicht beendet worden sei.
Die Beklagte hat gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung mit der Begründung eingelegt, die dem Kläger vorgeworfenen Pflichtverletzungen gegen die ihm obliegenden Hauptleistungspflichten wögen derart schwer, dass es keiner Abmahnung bedurft habe.
Vor dem Sächsischen Landesarbeitsgericht (LAG) stritten die Parteien unverändert darum, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30.06.2020 sein Ende gefunden hat.
Entscheidung
Nach Auffassung des LAG war die Kündigung weder sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG noch wegen mangelnder Anhörung des Betriebsrates vor Kündigungsausspruch gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.
Eine Kündigung sei im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und i.d.R. schuldhaft verletzt habe und dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllungen in Zukunft nicht mehr zu erwarten seien. Eine Pflichtverletzung sei auch dann vorwerfbar, wenn der Arbeitnehmer seine ihm zugrunde liegende Handlungsweise steuern könne.
Das LAG ist in Anwendung dieser Grundsätze der Ansicht, dass das Arbeitsverhältnis zum Kläger ohne das Vorliegen einer einschlägigen Abmahnung kündbar sei.
Der Kläger habe seine vertraglichen Hauptleistungsverpflichtungen verletzt, die sich insbesondere aus dem zwischen den Arbeitsvertragsparteien geschlossenen Arbeitsvertrag ergaben. Zum einem habe er die Verrichtung einer erforderlichen ärztlichen Tätigkeit unterlassen. Zum anderen habe er es unterlassen, an der ihn betroffenen Rufbereitschaft selbst teilzunehmen. Ferner habe er entgegen seiner Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers diese dadurch verletzt, dass er die Durchführung einer Notfalloperation einem nicht im Dienst befindlichen Dritten übertragen und dadurch ungeplant Verantwortung abgeschoben habe.
Mehrere Hauptpflichtverletzungen, aber auch der Umstand, dass eine Notfall-OP angestanden habe und Zeit mit Diskussionen über die Zuständigkeit des Operateurs verschwendet worden sei, verleihe dem Geschehen das Gepräge einer erheblichen Vertragsverletzung.
Rechtfertigungsgründe für die Pflichtverletzungen seien nicht ersichtlich, zumal der Umstand, dass die vorangegangene Operation durch den Oberarzt nicht die Obliegenheit des Klägers beseitigt habe, während seiner Rufbereitschaft persönlich tätig zu werden. Am pflichtwidrigen Unterlassen ändere sich auch dann nichts, wenn der Kläger ggf. während seiner Rufbereitschaft andere Patienten ärztlich versorgt hätte, denn letztendlich gehe es nicht um diese Patienten. Die Pflichtverletzung sei als schuldhaft anzusehen, da die Diskussion, die der Kläger mit Dritten darüber geführt hat, wer den Patienten letztendlich zu operieren habe, die Steuerungsfähigkeit seines Verhaltens indiziere.
Im Übrigen sei die Kündigung gem. § 102 Abs. 1 BetrVG durch den Betriebsrat mitbestimmt, da die Beklagte dem Betriebsrat gem. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die Gründe für die Kündigung mitgeteilt habe.
Praxishinweis
Die Verletzung von mehreren arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflichten, durch die Patienten gefährdet werden, kann eine verhaltensbedinge Kündigung rechtfertigen, ohne einer vorherigen Abmahnung vorauszusetzen.
LAG Sachsen, Urteil vom 29.10.2021 - 2 Sa 427/20 (ArbG Dresden), BeckRS 2021, 44155