Urteilsanalyse
Vergütung von Umkleidezeiten
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Für eine andere als die eigentliche Tätigkeit – z.B. für das Umkleiden – kann, so das BAG, durch Arbeits- oder Tarifvertrag eine gesonderte Vergütungsregelung getroffen bzw. eine gesonderte Vergütung in den Grenzen des MiLoG gänzlich ausgeschlossen werden. Gleiches könne durch eine Betriebsvereinbarung geschehen, sofern die Binnenschranken der Betriebsverfassung beachtet werden.

13. Dez 2021

Anmerkung von
RA Dr. Frank Merten, Gleiss Lutz, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 49/2021 vom 09.12.2021

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Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Berücksichtigung von Umkleide- und Wegezeiten des Klägers als vergütungspflichtige Arbeitszeit. Der als Zugchef beschäftigte Kläger ist aufgrund einer Konzernbetriebsvereinbarung verpflichtet, die von der Beklagten zur Verfügung gestellte Unternehmensbekleidung zu tragen. Er hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn für Umkleidezeiten an zwei bestimmten Tagen eine Zeitgutschrift, ersatzweise eine Vergütungszahlung zu gewähren. Das ArbG hat die Klage abgewiesen, das LAG hat ihr im Wesentlichen stattgegeben.

Entscheidung

Das BAG hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen. Zur Begründung führt es aus, dass es sich bei den vom Kläger benötigten Umkleidezeiten zum An- und Ablegen der Unternehmensbekleidung im Betrieb einschließlich der hierdurch veranlassten Wegezeiten dem Grunde nach um vergütungspflichtige Arbeitszeit gem. § 611a II BGB handele. Die gesetzliche Vergütungspflicht des Arbeitgebers knüpfe an die Leistung der versprochenen Dienste an. Hierzu zähle nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Der Arbeitgeber verspreche die Vergütung aller Dienste, die er dem Arbeitnehmer aufgrund seines arbeitsvertraglich vermittelten Weisungsrechts abverlangt. Entscheide sich der Arbeitnehmer, verpflichtend zu tragende Dienstkleidung unter Nutzung der vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Umkleidemöglichkeiten im Betrieb anzulegen, so sei die hierfür aufgewandte Zeit fremdnützig und daher vom Arbeitgeber zu vergüten. Dies gelte entgegen der Annahme der Beklagten auch bei einer nicht besonders auffälligen Dienstkleidung sowie dann, wenn der Arbeitgeber es – wie die Beklagte – dem Arbeitnehmer freistellt, ob er sich zuhause oder im Betrieb umkleidet.

Die Vergütung der Umkleide- und Wegezeiten sei vorliegend auch nicht ausgeschlossen. Zwar sei mit der Einordnung der Umkleidezeiten als Teil der „versprochenen Dienste“ noch nicht geklärt, wie diese Zeiten zu vergüten sind. Durch Arbeits- oder Tarifvertrag könne eine gesonderte Vergütungsregelung für eine andere als die eigentliche Tätigkeit und damit auch für Umkleidezeiten getroffen werden. Unter Beachtung der Binnenschranken der Betriebsverfassung sei eine gesonderte Vergütungsregelung auch in einer Betriebsvereinbarung möglich. Dabei könne eine Vergütung auch ganz ausgeschlossen werden, sofern mit der getroffenen Vereinbarung nicht der jedem Arbeitnehmer für tatsächlich geleistete vergütungspflichtige Arbeit nach § 1 I MiLoG zustehende Anspruch auf den Mindestlohn unterschritten wird. Wollten die Tarifvertragsparteien die grundsätzliche bestehende Vergütungspflicht des Arbeitgebers ausschließen, müsse sich dem Tarifvertrag – jedenfalls im Wege der Auslegung – ein entsprechender übereinstimmender Regelungswille entnehmen lassen. Dieser lasse sich den bei der Beklagten anwendbaren tarifvertraglichen Bestimmungen nicht mit der erforderlichen Gewissheit entnehmen. So enthalte der Tarifvertrag zwar Regelungen zum Arbeitszeitkonto, allerdings ohne eine Aussage darüber zu treffen, welche Zeiten als vergütungspflichtige Arbeitszeiten in das Arbeitszeitkonto einzustellen sind. Auch lasse sich der tarifvertraglichen Norm, die für Beginn und Ende der Arbeitszeit auf den Arbeitsplatz abstellt, nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit entnehmen, ob es sich beim Umkleiden um Arbeitszeit handelt.

An das LAG sei der Rechtsstreit zurückzuverweisen, da der Senat nach den bisherigen Feststellungen des LAG nicht beurteilen könne, in welchem zeitlichen Umfang der Kläger an den fraglichen Tagen entgeltrelevante Umkleide- und Wegezeiten aufgewandt hat. Vergütungspflichtig sei die Zeit, die für das Umkleiden sowie das Zurücklegen der dabei veranlassten Wege erforderlich ist. „Erforderlich“ sei dabei nur die Zeit, die der einzelne Arbeitnehmer im Rahmen der objektiven Gegebenheiten unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit benötigt. Bei der Ermittlung der erforderlichen Zeit seien die Variablen des Umkleidevorgangs zu berücksichtigen. Hierzu gehörten u.a. die Fragen, welche Privatkleidung je nach Jahreszeit der Arbeitnehmer zuvor getragen hat und welche Wartezeiten (auf die Ausgabe der Kleidung, auf Aufzüge etc.) notwendigerweise entstehen.

Praxishinweis

Das BAG führt seine Rspr. zur Frage der Vergütungspflicht von Umkleidezeiten fort (BAG, FD-ArbR 2018, 400732; FD-Arb 2019, 415724; FD-ArbR 2020, 428172). Der Fall illustriert, dass für Unternehmen, bei denen das Tragen einer Dienstkleidung vorgeschrieben ist, in der zugrundeliegenden Vereinbarung auch ausdrücklich geregelt werden sollte, ob und ggf. wie und in welchem Umfang die Umkleidezeit vergütet werden soll.

BAG, Urteil vom 15.07.2021 - 6 AZR 207/20 (LAG Berlin-Brandenburg), BeckRS 2021, 35129