Urteilsanalyse
Vergleichbarkeit von Räumen nach § 9a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 HeizkostenVO
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Für die Vergleichbarkeit von Räumen im Sinne der Vorschrift des § 9a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 HeizkostenVO kommt es nach dem BGH nicht zwingend darauf an, dass sich diese in demselben Gebäude wie diejenigen befinden, für die eine Schätzung des Wärmeverbrauchs zu erfolgen hat.

11. Jan 2022

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub und Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff,  Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München, Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 01/2022 vom 06.01.2022

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Sachverhalt

Die Beklagte war Mieter einer Dachgeschoss-Maisonette-Wohnung.

Laut Mietvertrag vereinbarte sie mit dem Vermieter die Leistung einer Vorauszahlung auf die Betriebskosten in Höhe von 180 EUR monatlich. Die Beklagte hatte die Heizkosten, über die zu 50% nach dem Verhältnis der erfassten Anteile am Gesamtverbrauch und zu 50% nach der Wohnfläche abzurechnen war, zu tragen. Der Vermieter rechnete für die Jahre 2013 bis 2015 fristgerecht jeweils getrennt nach Abrechnungsperioden über die Betriebskosten der Wohnung einschließlich der Heizkosten ab. Die Beklagte beanstandete die Abrechnungen jeweils.

Nachdem eine Prüfung des in der Wohnung eingebauten Wärmemengenzählers ergeben hatte, dass dieser die Wärmemengen unzutreffend erfasste, erfolgte im August 2016 ein Austausch des Zählers. Auch der Austauschzähler ermittelte den Wärmeverbrauch allerdings nicht ordnungsgemäß, weshalb er im Mai 2017 seinerseits ersetzt wurde. 2016 erteilte der klagende Vermieter der Beklagten für die Jahre 2013 bis 2015 korrigierte Betriebskostenabrechnungen. In diesen schätzte er den Wärmeverbrauch der Beklagten anhand des Verbrauchs anderer, teilweise in demselben Haus, teilweise in anderen Häusern eines Wohnkomplexes gelegener Dachgeschoss-Maisonette-Wohnungen und rechnete ferner über die im Jahr 2016 entstandenen Betriebskosten ab. Auch in dieser Abrechnung nahm er eine entsprechende Schätzung der Heizkosten der Beklagten vor. Die Zahlungsklage des Vermieters hatte vorinstanzlich keinen Erfolg, da die Gerichte der Ansicht waren, dass eine ordnungsgemäße Schätzung des Verbrauchs nur durch Vergleichswohnungen möglich sei, die sich im selben Gebäude befinden.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidung

Die Revision hat Erfolg.

Ein Anspruch des Klägers scheide nicht deshalb aus, weil er seiner Schätzung nach der Vorschrift des § 9a Abs. 1 Satz 1 HeizkostenV größtenteils Verbrauchswerte von Vergleichswohnungen aus einem anderen Gebäude als dem, in dem sich die damals von der Beklagten bewohnte Wohnung befindet, zugrunde gelegt habe.

Die in § 9a HeizkostenV eröffnete Wahl habe der Gebäudeeigentümer gemäß § 315 BGB nach billigem Ermessen zu treffen. Gegenstand des Bestimmungsrechts nach § 315 BGB können auch Modalitäten der Leistung/Gegenleistung und die Feststellung von Anspruchsvoraussetzungen sein. Der allgemeine Schutzgedanke des § 315 BGB sei auch dann heranzuziehen, wenn ein Gesetz einer Vertragspartei das unter § 315 BGB fallende Leistungsbestimmungsrecht zuweise.

Bei der nach billigem Ermessen zu treffenden Auswahl der in § 9a Abs. 1 HeizkostenV vorgesehenen Schätzungsverfahren sei neben dem mit den Vorschriften der §§ 6 ff. HeizkostenV verfolgten Ziel einer möglichst verbrauchsnahen Abrechnung, welches auch bei § 9a Abs. 1 Satz 1 HeizkostenV zu beachten sei, zu berücksichtigen, dass es nicht Zweck dieser Vorschrift sei, eine exakte Ermittlung des Verbrauchs sicherzustellen. Deshalb seien mit der in § 9a Abs. 1 Satz 1 HeizkostenV geregelten Schätzmöglichkeit einhergehende Ungenauigkeiten bei der Verbrauchsermittlung hinzunehmen. Die Ermittlung des Verbrauchs nach § 9a Abs. 1 Satz 1 HeizkostenV beruhe vielmehr auch auf Praktikabilitäts- und Wirtschaftlichkeitsgründen. Vor diesem Hintergrund habe der Verordnungsgeber die Ersatzverfahren nach § 9a Abs. 1 Satz 1 HeizkostenV für grundsätzlich gleichwertig erachtet, weshalb keinem der Ersatzverfahren bereits grundsätzlich Vorrang vor dem anderen eingeräumt werden könne.

Die Auslegung des § 9a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 HeizkostenV dahingehend, dass sich vergleichbare Räume im Sinne dieser Vorschrift nur in demselben Gebäude wie die betroffenen Räume befinden dürften, finde bereits im Wortlaut der Vorschrift des § 9a Abs. 1 Satz 1 HeizkostenV keine Stütze, der im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Ersatzverfahren nur von „vergleichbaren anderen Räumen“ spreche, ohne insoweit eine entsprechende Beschränkung hinsichtlich der Örtlichkeit der Räume vorzugeben.

Auch der Sinn und Zweck der Vorschrift erfordern es nicht, dass eine Schätzung anhand des Verbrauchs für vergleichbare Räume im selben Abrechnungszeitraum nur anhand solcher Räume vorgenommen werden dürfe, die sich in demselben Gebäude befinden wie die Räume, für die eine Schätzung erfolge.

Mit § 9a Abs. 1 Satz 1 HeizkostenV habe der Verordnungsgeber die - bereits zuvor in der Praxis bewährte - Möglichkeit, den Wärme- oder Wasserverbrauch für die Fälle, in denen eine Erfassung des tatsächlichen Verbrauchs wegen Geräteausfalls oder aus anderen zwingenden Gründen nicht möglich ist, anhand von Ersatzkriterien zu ermitteln, im Sinne einer möglichst verbrauchsnahen Ermittlung regeln wollen. Zur Erreichung dieses Ziels und zur Vereinheitlichung der Ermittlung lasse § 9a Abs. 1 Satz 1 HeizkostenV nur solche Ermittlungsmethoden zur Verbrauchsschätzung zu, die aus Sicht des Verordnungsgebers eine hinreichende Vergleichbarkeit der den Verbrauch beeinflussenden Umstände sicherstellen. Die Grenze, bis zu der eine Ermittlung des Verbrauchs anhand von Ersatzkriterien noch als hinnehmbar angesehen werden könne, werde vom Verordnungsgeber ausdrücklich in § 9a Abs. 2 HeizkostenV gezogen, wonach, wenn die von der Verbrauchsermittlung nach Absatz 1 betroffene Wohn- oder Nutzfläche oder der umbaute Raum 25% der für die Kostenverteilung maßgeblichen gesamten Wohn- oder Nutzfläche oder des maßgeblichen gesamten Raums überschreite, die Kosten ausschließlich nach § 7 Abs. 1 Satz 5, § 8 Abs. 1 HeizkostenV für die Verteilung der übrigen Kosten zu Grunde zu legenden Maßstäben aufzuteilen seien.

Es komme auch nicht auf eine exakte, sondern nur auf eine möglichst verbrauchsnahe Ermittlung an. Um dieses Ziel zu erreichen, sei nicht entscheidend, dass sich die Vergleichsräume im selben Gebäude befinden. Vielmehr lasse sich die Vergleichbarkeit der (anderen) Räume abhängig von den Einzelfallumständen anhand unterschiedlicher objektiver Merkmale, beispielsweise der Bausubstanz, Konstruktion, Lage, Größe oder Nutzungsart hinreichend feststellen, ohne dass dabei eine Vergleichbarkeit hinsichtlich sämtlicher Merkmale gegeben sein müsse. Maßgebend sei, dass zu vergleichende Räume bautechnisch und von ihrer Nutzungsintensität (Anzahl der Nutzer/Dauer der Nutzung) im Wesentlichen vergleichbar seien.

Da das Berufungsgericht nur zu der - für eine Vergleichbarkeit sprechenden - Lage der Vergleichswohnungen Feststellungen getroffen habe, nicht aber zu sonstigen eventuell maßgeblichen Kriterien (Bausubstanz, Konstruktion, Größe, Nutzungsart und -intensität), werde es daher - gegebenenfalls nach ergänzendem Sachvortrag nebst Beweisangeboten der Parteien - solche nachzuholen haben. Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 9a Abs. 1 HeizkostenV, eine Schätzung des Verbrauchs zu ermöglichen, werde es dabei die Anforderungen, die an die Annahme einer Vergleichbarkeit im Sinne der Vorschrift zu stellen seien, nicht überspannen dürfen.

Praxishinweis

Der Entscheidung ist zuzustimmen.

Die Frage, ob sich Vergleichsräume im Sinne des § 9a Abs. 1 HeizkostenVO im selben Gebäude, wie die betroffenen Räume befinden müssen, ist umstritten (dafür: Lammel, Heizkostenverordnung, 4. Auflage 2015, § 9a Rn. 42; ders, in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Auflage, § 9a HeizkostenV Rn. 24; Zehelein in Münchner Kommentar, 8. Auflage 2020, § 9a HeizkostenV Rn. 5; dagegen: Pfeifer in BeckOK-Mietrecht, 01.11.2021, § 9a HeizkostenV Rn. 42; Lützenkirchen, Mietrecht, 3. Auflage 2021, § 9a HeizkostenV Rn. 18). Mit guter Argumentation entscheidet sich der BGH für die letztere Ansicht. Dies ist schon deshalb richtig, weil allein der Umstand, dass sich die Vergleichsräume im selben Gebäude befinden, keine hinreichende Annahme der Vergleichbarkeit rechtfertigen. So wird sich beispielsweise eine in demselben Gebäude befindliche Kellerwohnung bezüglich der Heizkosten nicht ohne weiteres mit einer Dachgeschosswohnung vergleichen lassen.

BGH, Urteil vom 27.10.2021 - VIII ZR 264/19 (LG Mainz), BeckRS 2021, 38267