NJW-Editorial
Verfehlt oder verfassungswidrig?
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Das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) soll nach dem Willen der Ampelkoalition zeitnah so geändert werden, dass die Einhaltung der Klimaschutzziele zukünftig anhand einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung überprüft wird. Das ist zwar klimaschutzpolitisch verfehlt, aber nicht per se verfassungswidrig.

12. Mai 2023

Im KSG werden zur Erreichung der ambitionierten nationalen Klimaschutzziele ­jährliche Minderungsziele für sechs verschiedene Sektoren festgelegt. Werden die hierzu bestimmten Jahresemissionsmengen überschritten, dann ist das jeweils zuständige Ministerium verpflichtet, ein Sofortprogramm vorzulegen, um die künftige Einhaltung der Sektorziele sicherzustellen. Diese Situation ist im Gebäude- und Verkehrssektor bereits wiederholt eingetreten. Hierdurch ist vor allem Verkehrsminister Wissing (FDP) zu Recht ­politisch in die Schusslinie geraten, weil er sich selbst kurzfristig umsetzbaren und effektiven Maßnahmen wie einem Tempolimit auf Autobahnen beharrlich verweigert – obwohl der Verkehrssektor nach den Sektoren Energiewirtschaft und Industrie die meisten Treibhausgasemissionen verursacht. Angesichts dessen wird das eingangs genannte Änderungsvorhaben heftig kritisiert. Unter anderem werden weitere Zielverfehlungen befürchtet, wenn die Verbindlichkeit der sektoralen Jahresemissionsmengen und die Ressortverantwortung aufgeweicht werden.

Es ist jedoch eine andere Frage, ob eine entsprechende Änderung des KSG schon für sich genommen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Diejenigen, die dies behaupten, stützen sich in der Sache vor allem auf den Klima-Beschluss des BVerfG. Dort wird in der Tat unter anderem ausgeführt, es müssten „weitere Jahresemissionsmengen und Reduktionsmaßgaben so differenziert festgelegt werden, dass eine hinreichend konkrete Orientierung entsteht“. Erst dies erzeuge den „erforderlichen Handlungsdruck“. Allerdings weist das Gericht im Anschluss daran ausdrücklich darauf hin, dass das Klimaschutzgebot des Art. 20a GG „Verrechnungsmöglichkeiten“ nicht ausschließt, „solange die Emissionen insgesamt weiter sinken“ (s. BVerfG, NJW 2021, 1723 Rn. 254 f.). Zudem hat es in jüngeren Kammerentscheidungen klar zum Ausdruck gebracht, dass es nicht bereit ist, ein lediglich „punktuelles Tun oder Unterlassen“ im Bereich des Klimaschutzes einer näheren verfassungsgerichtlichen Überprüfung zu unterziehen (s. zuletzt BVerfG, NVwZ 2023, 158 zum Tempolimit auf Autobahnen).

Daher gilt es darauf hinzuwirken, dass die skizzierten klimaschutzpolitischen Bedenken bereits im Gesetzgebungsverfahren Gehör finden. Denn die Beantwortung der Gretchenfrage, ob und inwieweit der Klimaschutz künftig auf der Strecke bleibt, hängt ­zunächst einmal von der konkreten legislativen Ausgestaltung der bisher nur in einem Koalitionspapier umrissenen Änderungen ab. Und hier haben bekanntlich die einzelnen Abgeordneten des Bundestags das letzte Wort.

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Prof. Dr. Kurt Faßbender lehrt Öffentliches Recht und ist Direktor des Instituts für Umwelt- und​Planungsrecht (IUPR) an der Universität Leipzig.