Urteilsanalyse
Vereinstätigkeit ist nicht unfallversichert
Urteilsanalyse
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Tätigkeiten, die aufgrund der Mitgliedschaft in einem Verein ausgeübt werden, stehen nach einem Urteil des LSG Rheinland-Pfalz nicht unter Unfallversicherungsschutz. Maßgeblich sind die Vereinspflichten gemäß der Satzung. Zu den auf allgemeiner Vereinsübung beruhenden Mitgliedspflichten zählen Tätigkeiten, die ein Verein von jedem seiner Mitglieder erwarten kann und die von den Mitgliedern dieser Erwartung entsprechend auch verrichtet werden.

21. Mrz 2023

Rechtsanwalt Martin Schafhausen, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 05/2023 vom 17.03.2023

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Sachverhalt

Der 1961 geborene Kläger begehrt die Feststellung des Ereignisses vom 09.02.2019 als Arbeitsunfall. Er war seinerzeit Vorsitzender („Stammesmeister“) eines gemeinnützigen Pfadfinderstammes. Gemäß der Satzung handelt es sich um ein Ortsverband der gemeinnützigen europäischen Pfadfinderschaft, dessen Vorstand der Kläger zu keinem Zeitpunkt angehörte. Laut der Satzung bietet der Verein eine Heimat für unabhängig wertkonservative Jugendarbeit und ist eine freiwillige unpolitische Erziehungsbewegung, die offen ist für alle Kinder, Jugendliche und Erwachsene ohne Unterschied von Herkunft, Rasse und Glaubensbekenntnis. Vereinszweck ist es, „zur positiven Entwicklung junger Menschen beizutragen“. Der Verein verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige jugendpflegerische Zwecke. Der Vereinszweck wird insbesondere verwirklicht durch vorwiegend wöchentlich stattfindende „Sippenstunden“ durch jährlich mehrmalig durchgeführte Lager, Fahrten oder sonstige Aktionen auf nationaler oder internationaler Ebene, sowie die Aus- und Fortbildung von Personen.

Durch Bescheid vom November 2012 stellte der beklagte Unfallversicherungsträger seine Zuständigkeit für das Unternehmen fest. Am 09.02.2019 rutschte der Kläger beim Aussteigen aus dem „Pfadfinderbus“ auf vereistem Untergrund aus und geriet hierbei unter die geöffnete Fahrertür. Hierbei verletzte er sich am rechten Oberschenkel. Die Beklagte lehnte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab, da der Kläger im Unfallzeitpunkt weder gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII (aufgrund Beschäftigung) versichert war, noch gem. § 2 Abs. 2 SGB VII („wie-beschäftigt“). Auch bestand kein freiwilliger Versicherungsschutz, da es an einem Antrag auf Versicherungsschutz gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3 SGB VII fehlte.

Widerspruch und Klage dagegen blieben erfolglos. Mit seiner Berufung verweist der Kläger auf das sog. Begrüßungsschreiben der Beklagten vom November 2012, welches auch zu seinen Gunsten Versicherungsschutz begründet habe. Er bekleide bei dem Verein weder ein Ehrenamt noch sei er Vorstandsmitglied. Er war der Auffassung, dass er, wie jedes andere Mitglied dieses Dachverbandes kraft Gesetzes unfallversichert sei.

Die Beklagte bestätigt, dass sie nach § 3 Nr. 10 ihrer Satzung („Vereine und Einrichtungen, die der Entspannung, Erholung, Belehrung, Unterhaltung, Gesundheit u.a. dienen“) zuständig sei.

Entscheidung

Das LSG weist die Berufung als unbegründet zurück. Der Kläger war unstreitig nicht im Verein beschäftigt i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII. Die unfallbringende Tätigkeit – Instandhaltung des Zeltmaterials - erfolgte auch nicht in Form der „Wie-Beschäftigung“ gem. § 2 Abs. 2 SGB VII, weil diese Tätigkeit in keinem sachlichen und organisatorischen Zusammenhang mit der Vereinstätigkeit stand. Die Zelte befanden sich nicht im Eigentum des überörtlichen Bundesverbandes, sondern des örtlichen Stammes. Ihre Pflege und Reparatur diente ausschließlich der Erhaltung des Vereinsvermögens des rechtlich selbständigen Stammes und war Teil des Vereinszwecks.

Abschließend prüft das LSG, ob der Kläger gem. § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII unfallversichert war. Nach dieser Vorschrift sind versichert Personen, die selbständig oder unentgeltlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind. Unter Wohlfahrtspflege wird eine planmäßige, zum Wohl der Allgemeinheit nicht erwerbsmäßig ausgeübte Hilfeleistung für gesundheitlich, sittlich oder wirtschaftlich gefährdete oder notleidende Menschen verstanden. Die Tätigkeit des Klägers zum Unfallzeitpunkt geschah nicht in der Wohlfahrtspflege in diesem Sinne. Die Betreuung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen, wie sie dem Vereinszwecks des Stammes entspricht, um allgemein „zur positiven Entwicklung junger Menschen beizutragen“ beizutragen, mag zwar Bestandteil der pädagogischen Kinder- und Jugendarbeit sein, ist aber keine Maßnahme der Jugendhilfe, weil bei ihr nicht die Betreuung Schutzbedürftiger im Vordergrund steht. Das mag ausnahmsweise anders sein, wenn sich der Verein seinem Zweck nach regelmäßig oder zumindest im konkreten Einzelfall um ihrer Schutzbedürftigkeit willen zu betreuender Kinder bzw. Jugendlicher annimmt.

Praxishinweis

1. Der Kläger stürzte bei – so sein Vortrag – „Aufbauarbeiten eines Pfadfinderlagers“. Nach der vom Gericht herangezogenen Satzung des Vereins dürfte der Aufbau eines Pfadfinderlagers wohl zu den eigentlichen Vereinstätigkeiten gehören und gerade nicht eine Arbeit darstellen, wie sie typischerweise durch Arbeitnehmer verrichtet wird. So gesehen überzeugt das Urteil. Der Kläger wird freilich einwenden, dass ein solcher Ausschluss von der Unfallversicherung eigentlich dem Grundgedanken des § 2 Abs. 2 SGB VII, nämlich die unentgeltliche Mithilfe zu schützen, zuwiderläuft.

2. Die Ausführungen zu § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VII zeigen erneut, wie schwierig die Abgrenzung des sehr allgemeinen Rechtsbegriffs „Wohlfahrtspflege“ von „eigenwirtschaftlichen“ Tätigkeiten ist: Es geht hier um einen eingetragenen Verein, dessen Gemeinnützigkeit unstreitig ist. Das könnte durchaus für die Argumentation des Klägers sprechen, dass er mit der Wahrnehmung dieses Vereinszwecks auch in der „Wohlfahrtspflege“ in einem weiteren Sinne tätig ist, auch wenn die Teilnehmer an dem Pfadfinderlager gerade nicht behindert i.S.d. SGB IX sind (vgl. dazu auch Spellbrink, in: Ruland/Becker/Axer, Sozialrechtshandbuch 7. Auflage 2022, § 17 Rn. 43).

LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.08.2022 - L 3 U 112/21, BeckRS 2022, 43919