NJW-Editorial
Verantwortungsgemeinschaft oder Steuersparmodell?
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Zusammenleben ist heute nicht mehr nur Vater, Mutter und Kind(er), also die klassische Kernfamilie – nach dem Koalitionsvertrag ist es künftig auch die „Verantwortungsgemeinschaft“. Mit diesem Institut soll „jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe zwei oder mehr volljährigen Personen ermöglicht werden, rechtlich füreinander Verantwortung zu übernehmen“.

21. Jan 2022

Neu ist das freilich nicht: Der durch das EheSchlRG 1998 in § 1353 I 2 BGB eingefügte Zusatz gegenseitiger Verantwortungsübernahme sollte die Ehe gegenüber anderen Lebensgemeinschaften aufwerten (BT-Drs. 13/9416, 29). Auch die eingetragene Lebenspartnerschaft von 2001 sollte als Experimentierfeld für Lebensformen zweier Menschen gleichen Geschlechts unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung dienen, wurde aber schnell auf die Homo-Ehe verengt.

Zusammenleben ist heute nicht mehr nur Vater, Mutter und Kind(er), also die klassische Kernfamilie – nach dem Koalitionsvertrag ist es künftig auch die „Verantwortungsgemeinschaft“. Mit diesem Institut soll „jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe zwei oder mehr volljährigen Personen ermöglicht werden, rechtlich füreinander Verantwortung zu übernehmen“. Neu ist das freilich nicht: Der durch das EheSchlRG 1998 in § 1353 I 2 BGB eingefügte Zusatz gegenseitiger Verantwortungsübernahme sollte die Ehe gegenüber anderen Lebensgemeinschaften aufwerten (BT-Drs. 13/9416, 29). Auch die eingetragene Lebenspartnerschaft von 2001 sollte als Experimentierfeld für Lebensformen zweier Menschen gleichen Geschlechts unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung dienen, wurde aber schnell auf die Homo-Ehe verengt.

Jetzt also der dritte Anlauf: Neben der Ehe für alle nun eine Verantwortungsgemeinschaft für (noch) mehr. Dies ist zunächst durchaus quantitativ gemeint: Auch mehr als zwei Personen sollen eine Verantwortungsgemeinschaft bilden können. Die Union befürchtet ein Einfallstor für eine Vielehe und ruft (wohl wieder vergebens) nach dem BVerfG. Die FDP möchte (anders als die Grünen) steuerliche Vorteile für neue Lebensentwürfe, wie etwa die Alten-WG, die Kindererziehungsgemeinschaft von Singles sowie Personen, die sich persönlich nahestehen und nicht in gerader Linie verwandt sind. Es soll sich um Gemeinschaften jenseits von Liebesbeziehungen handeln, aber auch um polyamouröse Beziehungen. Die Beteiligten sollen in einem modularen System über ihre Pflichten entscheiden, also vielleicht durch Ankreuzen mit Ja oder Nein über den Grad der übernommenen Verantwortung.

Die (altehrwürdige) Ehe sichert vor allem bei ihrem Scheitern den schwächeren Teil, der zugunsten der Familie berufliche Nachteile auf sich genommen hat. Die neue Verantwortungsgemeinschaft darf kein (steuerlich begünstigtes) Freizeichnungsinstitut von diesen Pflichten für Ehemuffel werden. Vordringlich ist – wie vom Deutschen ­Familiengerichtstag gefordert – ein Mindestausgleich für lebensgemeinschaftsbedingte Nachteile unabhängig von einem Trauschein. Dabei dürfen die 17-jährige Schwangere und ihr volljähriger Partner nicht wie bisher mit einem „Verantwortungsverbot“ belegt werden. Auch die Verantwortungsgemeinschaft neben der Ehe für Regenbogenfamilien zur Sicherung der in ihr aufwachsenden Kinder darf kein Tabuthema sein. Bisher gehen die Aussagen im Koalitionsvertrag nicht über den Text des Lieds „Gute Freunde“ von Franz Beckenbauer hinaus, in dem es zur vielleicht künftigen Verantwortungs­gemeinschaft von elf (ehemaligen) Fußballspielern schon hieß: Sie sind „nie allein, weil sie eines im Leben können, füreinander da zu sein“.

Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz ist Notar a.D., Honorarprofessor an der Universität Regensburg und​Mitglied der Reformkommission des Deutschen Familiengerichtstags.