NJW-Editorial

Ver­ant­wor­tungs­ge­mein­schaft oder Steu­er­spar­mo­dell?
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07041011
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Zu­sam­men­le­ben ist heute nicht mehr nur Vater, Mut­ter und Kind(er), also die klas­si­sche Kern­fa­mi­lie – nach dem Ko­ali­ti­ons­ver­trag ist es künf­tig auch die „Ver­ant­wor­tungs­ge­mein­schaft“. Mit die­sem In­sti­tut soll „jen­seits von Lie­bes­be­zie­hun­gen oder der Ehe zwei oder mehr voll­jäh­ri­gen Per­so­nen er­mög­licht wer­den, recht­lich für­ein­an­der Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men“.

21. Jan 2022

Neu ist das frei­lich nicht: Der durch das Ehe­SchlRG 1998 in § 1353 I 2 BGB ein­ge­füg­te Zu­satz ge­gen­sei­ti­ger Ver­ant­wor­tungs­über­nah­me soll­te die Ehe ge­gen­über an­de­ren Le­bens­ge­mein­schaf­ten auf­wer­ten (BT-Drs. 13/9416, 29). Auch die ein­ge­tra­ge­ne Le­bens­part­ner­schaft von 2001 soll­te als Ex­pe­ri­men­tier­feld für Le­bens­for­men zwei­er Men­schen glei­chen Ge­schlechts un­ab­hän­gig von ihrer se­xu­el­len Ori­en­tie­rung die­nen, wurde aber schnell auf die Homo-Ehe ver­engt.

Zu­sam­men­le­ben ist heute nicht mehr nur Vater, Mut­ter und Kind(er), also die klas­si­sche Kern­fa­mi­lie – nach dem Ko­ali­ti­ons­ver­trag ist es künf­tig auch die „Ver­ant­wor­tungs­ge­mein­schaft“. Mit die­sem In­sti­tut soll „jen­seits von Lie­bes­be­zie­hun­gen oder der Ehe zwei oder mehr voll­jäh­ri­gen Per­so­nen er­mög­licht wer­den, recht­lich für­ein­an­der Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men“. Neu ist das frei­lich nicht: Der durch das Ehe­SchlRG 1998 in § 1353 I 2 BGB ein­ge­füg­te Zu­satz ge­gen­sei­ti­ger Ver­ant­wor­tungs­über­nah­me soll­te die Ehe ge­gen­über an­de­ren Le­bens­ge­mein­schaf­ten auf­wer­ten (BT-Drs. 13/9416, 29). Auch die ein­ge­tra­ge­ne Le­bens­part­ner­schaft von 2001 soll­te als Ex­pe­ri­men­tier­feld für Le­bens­for­men zwei­er Men­schen glei­chen Ge­schlechts un­ab­hän­gig von ihrer se­xu­el­len Ori­en­tie­rung die­nen, wurde aber schnell auf die Homo-Ehe ver­engt.

Jetzt also der drit­te An­lauf: Neben der Ehe für alle nun eine Ver­ant­wor­tungs­ge­mein­schaft für (noch) mehr. Dies ist zu­nächst durch­aus quan­ti­ta­tiv ge­meint: Auch mehr als zwei Per­so­nen sol­len eine Ver­ant­wor­tungs­ge­mein­schaft bil­den kön­nen. Die Union be­fürch­tet ein Ein­falls­tor für eine Viel­ehe und ruft (wohl wie­der ver­ge­bens) nach dem BVerfG. Die FDP möch­te (an­ders als die Grü­nen) steu­er­li­che Vor­tei­le für neue Le­bens­ent­wür­fe, wie etwa die Alten-WG, die Kin­der­er­zie­hungs­ge­mein­schaft von Sin­gles sowie Per­so­nen, die sich per­sön­lich na­he­ste­hen und nicht in ge­ra­der Linie ver­wandt sind. Es soll sich um Ge­mein­schaf­ten jen­seits von Lie­bes­be­zie­hun­gen han­deln, aber auch um po­ly­amou­rö­se Be­zie­hun­gen. Die Be­tei­lig­ten sol­len in einem mo­du­la­ren Sys­tem über ihre Pflich­ten ent­schei­den, also viel­leicht durch An­kreu­zen mit Ja oder Nein über den Grad der über­nom­me­nen Ver­ant­wor­tung.

Die (alt­ehr­wür­di­ge) Ehe si­chert vor allem bei ihrem Schei­tern den schwä­che­ren Teil, der zu­guns­ten der Fa­mi­lie be­ruf­li­che Nach­tei­le auf sich ge­nom­men hat. Die neue Ver­ant­wor­tungs­ge­mein­schaft darf kein (steu­er­lich be­güns­tig­tes) Frei­zeich­nungs­in­sti­tut von die­sen Pflich­ten für Ehe­muf­fel wer­den. Vor­dring­lich ist – wie vom Deut­schen ­Familiengerichtstag ge­for­dert – ein Min­dest­aus­gleich für le­bens­ge­mein­schafts­be­ding­te Nach­tei­le un­ab­hän­gig von einem Trau­schein. Dabei dür­fen die 17-jäh­ri­ge Schwan­ge­re und ihr voll­jäh­ri­ger Part­ner nicht wie bis­her mit einem „Ver­ant­wor­tungs­ver­bot“ be­legt wer­den. Auch die Ver­ant­wor­tungs­ge­mein­schaft neben der Ehe für Re­gen­bo­gen­fa­mi­li­en zur Si­che­rung der in ihr auf­wach­sen­den Kin­der darf kein Ta­bu­the­ma sein. Bis­her gehen die Aus­sa­gen im Ko­ali­ti­ons­ver­trag nicht über den Text des Lieds „Gute Freun­de“ von Franz Be­cken­bau­er hin­aus, in dem es zur viel­leicht künf­ti­gen Verantwortungs­gemeinschaft von elf (ehe­ma­li­gen) Fuß­ball­spie­lern schon hieß: Sie sind „nie al­lein, weil sie eines im Leben kön­nen, für­ein­an­der da zu sein“.

Prof. Dr. Dr. Herbert Grziwotz ist Notar a.D., Honorarprofessor an der Universität Regensburg und​Mitglied der Reformkommission des Deutschen Familiengerichtstags.