Urteilsanalyse
Verantwortung für einen Schriftsatz durch Unterschrift
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Es ist nach Ansicht des BGH zu vermuten, dass sich der Unterzeichner eines Schriftsatzes dessen Inhalt zu eigen macht, dafür aufgrund eigener Prüfung die Verantwortung übernimmt und nicht lediglich als Erklärungsbote tätig ist.

2. Mrz 2023

Anmerkung von
Richter am Kammergericht Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 04/2023 vom 24.02.2023

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Sachverhalt

K legt gegen ein AG-Urteil durch Rechtsanwalt X, ihren Prozessbevollmächtigten, form- und fristgerecht Berufung ein. Der Schriftsatz, mit dem die Berufung begründet wird, enthält den Briefkopf des X („X- Rechtsanwaltskanzlei“) und führt neben diesem Namen den weiteren Namen „Rechtsanwalt Y“ auf. Unterzeichnet ist der Schriftsatz allerdings von Rechtsanwalt Z. Darunter befindet sich der maschinenschriftliche Zusatz „Z. Rechtsanwalt“.

Das LG verwirft die Berufung. Die Berufung sei unzulässig, da sie nicht in der gesetzlichen Form begründet worden sei. Der am Tage des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist eingegangene Schriftsatz sei nicht von X unterzeichnet worden. Es sei auch nicht erkennbar, dass Z für den Inhalt der Rechtsmittelbegründung Verantwortung übernehmen wollte und nicht bloßer Erklärungsbote sei. Einen Vertretungsvermerk (z.B. „für“ oder „i.V.“) habe Z seiner Unterschrift nicht hinzugefügt. Der Briefbogen ermögliche keine Schlüsse auf ein Vertretungsverhältnis zwischen X und Z. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde. Mit Erfolg!

Entscheidung: Die Berufungsbegründung hat den Formanforderungen genügt!

Die Annahme, Rechtsanwalt Z habe für den Inhalt der Rechtsmittelbegründung nicht die Verantwortung übernommen, sei unzutreffend. Denn es spreche grundsätzlich eine Vermutung dafür, dass der Unterzeichner sich den Inhalt des Schreibens zu eigen gemacht habe, dafür aufgrund eigener Prüfung die Verantwortung übernehme und nicht lediglich als Erklärungsbote tätig werde (Hinweis ua auf BVerfG NJW 2016, 1570 Rn. 25).

Diese Vermutung sei im Fall nicht erschüttert worden. Zu unterscheiden sei, ob jemand als Unterbevollmächtigter im Namen des hauptbevollmächtigten Rechtsanwalts aufgetreten sei oder eine Erklärung im eigenen Namen abgegeben habe. Ein Handeln als Vertreter sei anzunehmen, wenn sich neben der Unterschrift der Zusatz „i.V.“ oder der Zusatz „für“ den Hauptbevollmächtigten befinde. Zwingend sei die Verwendung solcher Zusätze aber nicht. Es reiche aus, wenn sich das Handeln als Vertreter für das Gericht aus den Umständen hinreichend deutlich erkennbar ergebe. Dies sei im Fall vor dem Hintergrund, dass Z die Berufungsbegründung auf dem Briefkopf der von K mandatierten Kanzlei X verfasst habe, der Fall.

Praxishinweis

Die Unterzeichnung der Rechtsmittelbegründung durch einen postulationsfähigen Rechtsanwalt stellt keine bloße Formalität dar, sondern ist zugleich äußerer Ausdruck für die von dem Gesetz geforderte eigenverantwortliche Prüfung des Inhalts der Begründungsschrift und Übernahme der vollen Verantwortung für den Schriftsatz durch den Anwalt. Aus Gründen der Rechtssicherheit begnügt sich das Gesetz hinsichtlich dieser Anforderungen allerdings mit dem äußeren Merkmal der Unterschrift, ohne einen darüberhinausgehenden Nachweis zu fordern, dass der Anwalt den Prozessstoff eigenverantwortlich durchgearbeitet hat und die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes tragen will. Für ein Berufungsgericht besteht deshalb in aller Regel kein Anlass, den Inhalt einer anwaltlich unterschriebenen Berufungsbegründung darauf zu überprüfen, in welchem Umfang und wie gründlich der Anwalt den Prozessstoff tatsächlich selbst durchgearbeitet hat.

Ausnahmen hiervon werden in der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung für zwei Fallgruppen anerkannt, nämlich wenn:

  • der Anwalt sich durch einen Zusatz von dem unterschriebenen Schriftsatz distanziert oder 
  • nach den Umständen außer Zweifel steht, dass der Rechtsanwalt den Schriftsatz ohne eigene Prüfung, also unbesehen, unterschrieben hat.

BGH, Urteil vom 20.12.2022 - VI ZR 279/21 (LG Berlin), BeckRS 2022, 42730