NJW-Editorial
Vaterschaftsstreit und Kindeswohl

Die rechtliche Vaterschaft ist in den letzten Jahren Gegenstand zahlreicher Gerichtsverfahren gewesen. Oftmals handelt es sich dabei um emotional aufgeladene Streitigkeiten, bei denen das Wohl des Kindes, das Elternrecht gem. Art. 6 II GG und der Schutz seiner sozialen Familie im Mittelpunkt stehen. Aktuell befasst sich das BVerfG wieder mit den aus diesem Spannungsfeld resultierenden Fragen.

19. Okt 2023

Im Zentrum des Verfahrens (1 BvR 2017/21) steht der leibliche Vater eines ­Dreijährigen, dessen Beziehung zur Kindsmutter kurz nach der Geburt des Jungen endete. Er hatte nicht nur das Interesse, eine enge Beziehung zu seinem Sohn zu pflegen, sondern strebte auch vergeblich an, die rechtliche Vaterschaft zu erlangen. Später wandte sich die Kindsmutter einem anderen Mann zu, der die Vaterschaft für das Kind mit ihrer ­Zustimmung nach § 1592 Nr. 2 BGB anerkannte. Er wurde somit der rechtliche Vater.

Die aktuelle Rechtslage sieht vor, dass leibliche Väter die rechtliche Vaterschaft nur ­unter bestimmten Bedingungen anfechten können, insbesondere dann, wenn zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keine sozial-familiäre Beziehung zum rechtlichen Vater besteht (BGH NJW 2021, 1875). Die exakte Bestimmung des Zeitpunkts, an dem diese Beziehung bestehen muss, ist jedoch umstritten und steht im Mittelpunkt des Verfahrens vor dem BVerfG. Diese Unsicherheit könnte dazu führen, dass die Verweisung auf eine sozial-familiäre Beziehung den leiblichen Vater in seinen Grundrechten gem. Art. 6 II GG verletzt.

Die Debatte um die Vaterschaft und das Elternrecht zeigt unterschiedliche Standpunkte auf. Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) betont in ihrer Stellungnahme die Verantwortung der Rechtsprechung sicherzustellen, dass das Wohl der Kinder gewahrt bleibt und individuelle Beziehungsinteressen nicht über die Interessen des Kindes gestellt werden. Sie fordert eine grundlegende Reform der aktuellen Gesetzeslage und Rechtsprechung. Der Deutsche Juristinnenbund (djb) äußert sich skeptischer und ­betont die Bedeutung des Schutzes des Kindes und seiner sozialen Familie. Dennoch räumt auch der djb ein, dass der leibliche Vater in dieser speziellen Konstellation gewichtige Gründe für seine Position hat.

Die Entscheidung des BVerfG wird wegweisend für künftige Fälle im Kontext der Vater­schaftsanfechtung sein. Sie wird zeigen, wie der Gesetzgeber und die Rechtsprechung das Kindeswohl und die Grundrechte der Väter in Einklang bringen wollen. In jedem Fall muss das Wohl des Kindes an erster Stelle stehen, um sicherzustellen, dass es in einer liebevollen und unterstützenden Umgebung aufwächst. Aus diesem Grund hat das BVerfG sich in der mündlichen Verhandlung auch umfangreich über den Erkenntnisstand zu den Bedingungen stabiler Bindungen bei Kindern informiert.

Jochem Schausten ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht in Krefeld.