Anmerkung von
Rechtsanwältin Christel von der Decken, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main
Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 09/2021 vom 07.05.2021
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Sachverhalt
Der Kläger, geboren 1953, beendete sein Beschäftigungsverhältnis am 16.11.2016 und bezog ab 01.09.2016 eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte i.H.v. 1.236 EUR monatlich brutto und 1.096 EUR monatlich netto. Mit Lohnabrechnung vom 22.11.2016 rechnete der ehemalige Arbeitgeber die vereinbarte Urlaubsabgeltung ab und überwies einen Nettobetrag von 4.425 EUR. Mit angefochtenem Bescheid vom 19.01.2017 stellte die beklagte DRV fest, dass der Rentenanspruch des Klägers mit dem 31.10.2016 ende, weil er im November 2016 wegen der gezahlten Urlaubsabgeltung, die als Hinzuverdienst gem. § 34 SGB VI zu berücksichtigen sei, kein Rentenanspruch mehr bestehe. Mit weiterem Bescheid vom 13.03.2017 hob die Beklagte den Bescheid über die Rente für den Zeitraum November 2016 nach § 48 SGB X auf und verlangte Erstattung der erbrachten Leistung i.H.v. 1.096,33 EUR. Der Kläger habe nach Erlass des Rentenbescheides Einkommen erzielt, das die Hinzuverdienstgrenzen überschritten habe.
Der Kläger wendet ein, er habe gerichtlich für die Auszahlung der Urlaubsabgeltung kämpfen müssen. Hierfür werde er nun durch die Anrechnung auf die Rente bestraft. Widerspruch und Klage blieben erfolglos. Gegen das Urteil des SG hat der Kläger Berufung eingelegt und ausgeführt, es habe sich bei den Zahlungen des Arbeitgebers um Urlaubsgeld für die Jahre 2015 und 2016 gehandelt, auch wenn es erst während des Rentenbezugs im November 2016 ausgezahlt worden sei. Hintergrund sei ein arbeitsgerichtliches Verfahren mit seinem Arbeitgeber gewesen. Die Verzögerung der Zahlung könne nicht zu seinen Lasten gehen.
Entscheidung
Das LSG weist die Berufung als unbegründet zurück. Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Leistungsbewilligung ist § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X. Danach kann ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen erzielt wurde. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Nach Bewilligung der Rente für besonders langjährig Versicherte ist im Monat November 2016 eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten. Dem Kläger ist in diesem Monat eine Urlaubsabgeltung in Höhe von 4.425 Euro zugeflossen. Diese Urlaubsabgeltung ist als Hinzuverdienst nach § 34 Abs. 2 Satz 1 SGB VI in der bis zum 30.06.2017 geltenden Fassung anzurechnen. Die Urlaubsabgeltung ist „Hinzuverdienst“ im Sinne des Gesetzes, weil sie Arbeitsentgelt im Sinne von § 14 SGB IV ist. Dies hat das BSG mit Urteil vom 06.09.2017 (BeckRS 2017, 131977) ausdrücklich bestätigt. Leistungen zur Urlaubsabgeltung setzen zwar grundsätzlich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses voraus, stehen nach ihrer Zweckbestimmung aber noch im Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis, weil sie einen grundsätzlich noch bestehenden Urlaubsanspruch erfordern und an die Stelle dieses nicht mehr realisierbaren Anspruchs treten. Unerheblich ist, dass die Urlaubsabgeltung sich auf Urlaubsansprüche bezieht, die bereits vor dem Rentenbezug erworben worden sind. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut und Zweck der Hinzuverdienstgrenze.
Zu Recht hat die DRV die Urlaubsabgeltung auch im Monat November 2016 als Hinzuverdienst berücksichtigt. Maßgeblich für die Zuordnung einer Urlaubsabgeltung ist zwar nicht der Monat des Zuflusses, sondern der Zeitpunkt des rechtlichen Entstehens des Anspruchs. Der Anspruch war hier im Monat November 2016 durch Abschluss des arbeitsgerichtlichen Vergleichs entstanden und wurde im gleichen Monat auch erfüllt, so dass ein anderer Zeitpunkt der rechtlichen Zuordnung als der Monat November 2016 nicht denkbar ist. Ein atypischer Fall, der die Beklagte zu einer Ermessensentscheidung hätte veranlassen müssen, ist nicht ersichtlich.
Praxishinweis
1. Das LSG bezieht sich auf die bis zum 30.06.2017 geltende Fassung des § 34 SGB VI. Durch das „Flexi-Rentengesetz“ ist § 34 SGB VI abgeändert worden. Mit der Neuregelung wurden die bisherigen starren monatlichen Hinzuverdienstgrenzen, deren geringfügiges Überschreiten dazu führen konnte, dass zum Beispiel die volle Rente nur noch in Höhe von ¾, der Hälfte oder einem Drittel zur Auszahlung gelangte, abgeschafft. Nunmehr gilt eine kalenderjährliche Hinzuverdienstgrenze. Dies betrifft sowohl die vorgezogenen Altersruhegelder als auch die Renten wegen Erwerbsminderung gem. § 96a SGB VI (dazu im Einzelnen von der Decken in FS Plagemann 2020, S. 57 ff.).
2. Dem Kläger ist allerdings insoweit zuzustimmen, als die Abgeltung der Urlaubsansprüche während des Beschäftigungsverhältnisses nicht zur Anrechnung auf die Rente führt. Dennoch dürfte die Entscheidung des LSG interessengerecht sein. Das BSG hat mit Urteil vom 12.03.2019 (BeckRS 2019, 5055) entschieden, dass es für die Berücksichtigung einer Urlaubsabgeltung als Hinzuverdienst nicht auf den Monat der Zahlung ankommt, sondern maßgeblich sei für die Zuordnung der Zeitpunkt des rechtlichen Entstehens. Der Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs entstehe mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Soweit Zahlungen der Urlaubsabgeltung über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehende Urlaubsansprüche umfassen würden, richte sich der Zeitpunkt der Anspruchsentstehung nach den maßgeblichen einzelarbeits- bzw. tarifvertraglichen Regelungen.
LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.03.2021 - L 2 R 105/20, BeckRS 2021, 7897