Interview
Urlaub unter Auflagen
Interview
Foto_Fickenscher_WEB
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Mitte Mai hatte das Warten ein Ende: Erste Urlaubsorte an Nord- und Ostsee öffneten wieder für Erholungssuchende, allerdings unter strengen Auflagen. Jetzt haben in den ersten Bundesländern die Sommerferien begonnen. Wir haben mit Prof. Dr. Guido Fickenscher von der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg über den Urlaub unter Auflagen gesprochen.

29. Jun 2020

NJW: Seit einigen Wochen sind Reisen an Nord- und Ostsee wieder möglich, allerdings nur, wenn bestimmte Regeln eingehalten werden. Wer darf bzw. durfte die aufgrund welcher Ermächtigungsgrundlage(n) erlassen?

Fickenscher: Grundlage für die Bekämpfung von Infektionskrankheiten bildet das Infektionsschutzgesetz (IfSG) des Bundes. Darin ist festgelegt, dass für den Vollzug des IfSG die Bundesländer zuständig sind. Diese haben die Infektionsbekämpfung auf die Landkreise bzw. Gemeinden und Städte übertragen.

NJW: Das erklärt, warum die Regelungen von Region zu Region recht unterschiedlich ausgefallen sind. Wären einheitliche Maßnahmen nicht sinnvoller gewesen, zumindest in dem jeweiligen Bundesland?

Fickenscher: Natürlich legt eine erste gedankliche Überlegung nahe, dass einheitliche Maßnahmen überschaubarer, besser zu verinnerlichen und damit besser einzuhalten wären. Andererseits kann durch die regional differenzierten Regelungen genauer auf die örtlichen Gegebenheiten eingegangen werden. Und diese sind, deutschlandweit betrachtet und selbst innerhalb einzelner Bundesländer, sehr unterschiedlich. Durch die landesweit gültigen Rechtsverordnungen sind zudem die Rahmenbedingungen für das jeweilige Bundesland einheitlich abgesteckt.

NJW: Einzelne Ortschaften, namentlich nicht wenige Nordseeinseln, verweigern Tagestouristen den Zutritt. Dürfen die sich derart abschotten?

Fickenscher: Zunächst würde ich nicht von Abschottung sprechen. Denn Tourismus ist ja grundsätzlich wieder zulässig. Die Corona Bekämpfungsverordnung des Landes Schleswig-Holstein erwähnt Betretungsverbote zur Regulierung des Tagestourismus ausdrücklich. Zudem beinhaltet § 28 IfSG die Befugnis, solche Verbote auszusprechen. Auch im Polizei- und Ordnungsrecht sind Betretungsverbote in Form von Platzverweisen und Aufenthaltsverboten gängige Maßnahmen. Sie können sich im Einzelfall auf ganze Städte und Gemeindegebiete beziehen. Insofern handelt es sich grundsätzlich nicht um ungewöhnliche Maßnahmen. Das Besondere ist hier, dass eine große Anzahl von Personen betroffen ist, nämlich alle potenziellen Tagestouristen. Am Ende ist es eine Frage der Verhältnismäßigkeit, ob ein Betretungsverbot für Tagestouristen zur Gefahrenabwehr geeignet, erforderlich und angemessen ist oder nicht.

NJW: Auf den ersten Blick erscheint die Differenzierung zwischen Übernachtungsgästen und Tagestouristen recht willkürlich. Wie sehen Sie das?

Fickenscher: Die Differenzierung ist für mich jedenfalls auf den zweiten Blick nachvollziehbar. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass bei Ansammlungen großer Menschenmengen an neuralgischen Punkten bzw. Hotspots, insbesondere begünstigt durch schönes Wetter, die Schutzbestimmungen nicht mehr eingehalten werden. Jede größere Menschenansammlung, gepaart mit Nachlässigkeit im Umgang mit den Schutzvorschriften, kann nach wie vor zur Folge haben, dass das Virus zurück in die ungeschützte Öffentlichkeit findet. Zudem könnten Infektionswege und Ansteckungsketten kaum rekonst-ruiert und schnellstmöglich unterbrochen werden, da gerade durch den Tagestourismus eine große Anzahl fremder Personen zufällig aufeinandertrifft und wieder auseinandergeht. Insofern ist der Gedanke, die Inseln bzw. deren Strände zu entschärfen, nachvollziehbar.

NJW: Wie bewerten Sie die Differenzierung unter dem Blickwinkel der Erforderlichkeit?

Fickenscher: Unter dem Aspekt der Erforderlichkeit, das heißt der Wahl des mildesten Mittels, muss darüber nachgedacht werden, Tagesgäste nicht völlig auszuschließen, sondern deren Anzahl zu begrenzen. Diesbezüglich wird in einzelnen Landkreisen etwa darüber nachgedacht, dass jeder Strandgast einen Strandkorb mieten muss und man die Anzahl der Gäste über die zur Verfügung stehenden Strandkörbe begrenzt. Eine weitere Möglichkeit wären generelle Zugangskontrollen an den Strandeingängen. Überlegt wird dies gerade in Schleswig-Holstein in Kombination mit der Möglichkeit, über eine App eine festgelegte Aufenthaltszeit an einem bestimmten Strandabschnitt buchen zu können. Neue Gefährdungssituationen verlangen neue Überlegungen, insofern gehen derartige Gedankengänge in die richtige Richtung. Zu berücksichtigen ist auch, dass den Entscheidungsträgern aufgrund der vielen Unsicherheiten, die nach wie vor hinsichtlich des Infektionsgeschehens bestehen, ein großer Beurteilungsspielraum zusteht. Eine Steuerung über die Parkpreishöhe halte ich allerdings für nicht sachgerecht, weil der Zugang dann von der finanziellen Potenz abhängt und schwächere Einkommensgruppen deutlich benachteiligt sind.

NJW: Mittlerweile gelten an Nord- und Ostsee (wieder) Beherberungsverbote für Urlauber aus Hochrisikogebieten, etwa aus den Kreisen Gütersloh oder Warendorf. Wie beurteilen Sie diese Maßnahmen?

Fickenscher: Die Beherberungsverbote für Menschen aus Hochrisikogebieten halte ich für zulässig. Es liegt ein sachlicher Grund für den Ausschluss vor, nämlich das lokal deutlich angestiegene Infektionsgeschehen. Zudem gilt der Ausschluss nicht per se. Alle Menschen, die einen negativen Covid-Test vorlegen, können jederzeit und  überall ihren Urlaub verbringen.

NJW: Unterstellen wir mal, der Strand in Warnemünde ist heillos überfüllt, Abstandsregeln werden konsequent ignoriert. Und jetzt?

Fickenscher: Wie in jedem anderen Bereich auch, wo bestehende Regeln ignoriert werden, sind die Ordnungsbehörden und die Polizei in der Pflicht, deren Einhaltung zu gewährleisten. Im Rahmen eines maßvollen Vorgehens muss zunächst durch Gespräche mit den Strandgästen und beispielsweise durch Lautsprecherdurchsagen auf die Einhaltung der Abstandsregeln hingewiesen werden. Werden die Anweisungen nich befolgt, sind zuwiderhandelnde Personen und Personengruppen nach § 28 IfSG bzw. über die Regelungen des Platzverweises des Polizeirechts vom Strand zu verweisen. Hält sich der überwiegende Teil der Strandbesucher nicht an die Regelungen, käme eine Sperrung des gesamten Abschnitts in Betracht.

NJW: Wann ist ein Strand, eine Promenade oder ein Restaurant eigentlich „zu voll“, um die Einhaltung der Hygieneregeln zu gewährleisten? Liegt das im Auge des Ordnungsamts, oder gibt es dafür objektiv nachvollziehbare Kriterien?

Fickenscher: Das ist eine sehr interessante Frage. Es gibt noch relativ wenig Erfahrungen bezüglich des Besuchs von Stränden, der erste Sommerurlaub in Corona- Zeiten steht erst bevor. Somit gibt es noch keine verlässlichen Erkenntnisse, wann ein Strand oder eine Promenade derart – zu – voll ist, dass eine erhöhte Infektionsgefahr durch das Corona-Virus besteht. Es ist fraglich, ob das jemals objektiv beantwortet werden kann. Insofern gelten auch hier die üblichen Grundsätze des Gefahrenabwehrrechts. Es geht um eine durch bisherige Tatsachen begründete subjektive Einschätzung über einen zukünftigen Geschehensablauf. Die Bewertung, welche das Vorliegen einer Gefahr bejaht oder verneint, beruht zum Teil auf bestehendem Wissen, zum Teil auf Ungewissheit und zum Teil auf einer aus Erfahrung gespeisten bewertenden Einschätzung der bisher bekannten Umstände. Insofern geht es um eine Wahrscheinlichkeitsbeurteilung, welche notwendigerweise eine subjektive Komponente enthält. Sofern eine solche Einschätzung, wann ein Strand zu voll ist, nicht völlig willkürlich ist, ist sie rechtmäßig zumindest solange es noch keine diesbezüglichen Gerichtsentscheidungen gibt.

NJW: Gibt es schon Rechtsprechung zu den jüngsten Tourismusregelungen, und lässt sich daraus bereits eine erste Tendenz ableiten, mit welchen Restriktionen Urlauber an Nord- und Ostsee künftig leben müssen?

Fickenscher: Das OVG Greifswald hatte sich bereits im April mit der Frage der Zulässigkeit von tagestouristischen Ausflügen an den Osterfeiertagen zu den Ostseeinseln beschäftigt. Ein Verbot wurde damals für rechtswidrig erklärt. Dem Urteil lag aber eine etwas andere Konstellation zugrunde. Mit Sicherheit werden die Abstandsregelungen weiterhin Bestand haben. Deshalb wage ich die Prognose, dass auch die grundsätzliche Begrenzung der Anzahl von Strandbesuchern durch die Gerichte überwiegend als rechtmäßig angesehen wird. Sollte dem nicht so sein, lasse ich mich gern durch gute Argumente vom Gegenteil überzeugen. •


Zunächst sah alles nach einer Karriere bei der Polizei aus. Denn vor seiner juristischen Ausbildung war Prof. Dr. Guido Fickenscher neun Jahre Polizeibeamter im mittleren und gehobenen Dienst in Hessen. Nach der Promotion war er persönlicher Referent des damaligen Ministers und Staatssekretärs im rheinland-pfälzischen Wissenschaftsministerium. An der Hochschule der Polizei des Landes Brandenburg lehrt er Strafprozess- und Polizeirecht. Daneben hat er sich einen Namen als Strafverteidiger von Polizisten gemacht.

Interview: Dr. Monika Spiekermann.