Anmerkung von
Rechtsanwältin Dr. Ruth Anthea Kienzerle, Ignor & Partner GbR, Berlin
Aus beck-fachdienst Strafrecht 12/2021 vom 10.06.2021
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Sachverhalt
Seit 2005 ist A wiederholt wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt worden, zuletzt 2018 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Nach den Urteilsfeststellungen ist V seit mehreren Jahren Konsument von Subutex, leidet an einer dahingehenden Abhängigkeit und war Betäubungsmittelkonsument von zunächst THC und Marihuana und dann Amphetamin und Ecstasy. Während seiner Inhaftierung machte sich V erneut wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln strafbar, was 2020 zu einer weiteren rechtskräftigen Verurteilung durch das AG Zweibrücken führte.
Eine erste Zurückstellung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe gem. § 35 BtMG scheiterte, da V aus der Fachklinik, wo er im Rahmen des Methadonsubstitutionsprogramms zuletzt auf 8 mg Subutex eingestellt war, aufgrund eines Rückfalls mit Alkohol disziplinarisch entlassen wurde. Bei seiner nachfolgenden Festnahme und Zuführung in die JVA wurde er positiv auf das betäubungsmittelpflichtige Opioidanalgetikum Buprenorphin getestet. Die zweite Zurückstellung der Strafvollstreckung scheiterte, da V nach erneuter Aufnahme in eine Fachklinik zu einer kombinierten Drogenentzugs- und Entwöhnungsbehandlung positiv auf Tramal getestet und nach drei Tagen disziplinarisch aus der Therapie entlassen wurde, weil bei ihm u.a. Pregabalin aufgefunden wurde. Seine vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft wurde aufgrund der ungelösten Drogenproblematik abgelehnt. Die zuständige Sozialarbeiterin ging in einer Stellungnahme der JVA im Januar 2021 von einer fortbestehenden, nicht aufgearbeiteten Suchtmittelabhängigkeit aus. Im Rahmen einer Anhörung der Strafvollstreckungskammer des LG Zweibrücken erklärte V, dass er mit der Durchführung von Urinkontrollen nicht einverstanden sei, da er im Substitutionsprogramm Urinkontrollen abgebe und durch die Substitution keinen Suchtdruck verspüre.
Das LG ordnete an, dass nach vollständiger Verbüßung der Gesamtfreiheitstrafe die Führungsaufsicht bei V nicht entfällt, setzte die Dauer der Führungsaufsicht auf fünf Jahre fest und erteilte dem V die Weisung, „keine ihm nicht ärztlich verschriebenen Betäubungsmittel zu sich zu nehmen und seine Abstinenz in den ersten beiden Jahren ab Haftentlassung durch regelmäßige Urinkontrollen, mindestens jedoch vierteljährlich im Rahmen des Substitutionsprogramms nachzuweisen“. Dagegen legte V Beschwerde ein. Das LG half der Beschwerde nicht ab und legte sie dem Senat zur Entscheidung vor. Die GenStA beantragte die Aufhebung der angefochtenen Weisung.
Entscheidung
Auf die Beschwerde des V hob das OLG die Weisung auf. Sie sei unverhältnismäßig.
Das Gericht dürfe nach § 68b Abs. 3 StGB keine unzumutbaren Anforderungen an die Lebensführung einer verurteilten Person stellen. Daran gemessen begegne die Anordnung im Beschluss der Strafvollstreckungskammer durchgreifenden Bedenken. Eine Weisung nach § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB dürfe gegen einen langjährig suchtkranken, bislang nicht erfolgreich behandelten Verurteilten im Regelfall nicht angeordnet werden. Aufgrund seines Suchtverhaltens, seines nicht auf weiche Drogen beschränkten multiplen Suchtmittelgebrauchs und der disziplinarischen Entlassung aus der Fachklinik trotz Einstellung in einem Substitutionsprogramm könne nicht von einem tragbaren Willen und einer nachhaltigen Fähigkeit des V zur Abstinenz ausgegangen werden, zumal seine Äußerungen im Rahmen der Anhörung der Strafvollstreckungskammer nicht fernliegend dem Bemühen geschuldet gewesen seien, Urinkontrollen zu vermeiden.
Praxishinweis
Die Entscheidung des Senats entspricht der inzwischen h.M. der obergerichtlichen Rechtsprechung und kann sich auf die Ansicht des BVerfG stützen. Demzufolge ist jedenfalls bei langjährig und mehrfach erfolglos therapierten Suchtabhängigen, die wegen der Suchtkrankheit nicht zu nachhaltiger Abstinenz in der Lage sind und von denen keine die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit erheblich gefährdende Straftaten drohen, die strafbewehrte Abstinenzweisung eine unzumutbare Anforderung an die Lebensführung und folglich unverhältnismäßig (BVerfG NJW 2016, 2170).
Zuvor wurde die Frage der Zumutbarkeit einer Abstinenzweisung von den OLGs unterschiedlich beantwortet. Angesichts dessen, dass der Gesetzgeber bei der Neufassung von § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB nicht zwischen therapierten und nicht therapierten Konsumenten unterschieden hatte, wurde eine Abstinenzweisung auch ohne erfolgreichen Abschluss einer Behandlung selbst bei langjährig Suchtkranken teils für zulässig erachtet (s. bspw. OLG Hamm BeckRS 2013, 14637; OLG Rostock NStZ-RR 2012, 222). Schließlich bedürfe insbesondere der noch nicht erfolgreich Therapierte der auferlegten Abstinenz.
Das überzeugte jedenfalls bei einer nicht erfolgreich therapierten Abhängigkeit von nicht lediglich weichen Drogen nicht. In solchen Fällen ist, wie das BVerfG überzeugend ausführt (aaO.), in der Regel davon auszugehen, dass die Weisung einerseits von vornherein ungeeignet sein dürfte, zu einer Reduzierung des Drogenkonsums und Verringerung des Risikos für Straftaten zu führen, und andererseits aller Voraussicht nach eine Pönalisierung suchtbedingt unvermeidbaren Verhaltens zur Folge hat und deshalb unzumutbar ist.
OLG Zweibrücken, Beschluss vom 04.05.2021 - 1 Ws 103/21 (LG Zweibrücken), BeckRS 2021, 11087