Urteilsanalyse
Unwirksame Eigenbedarfskündigung bei einem mit öffentlich-rechtlichen Vorgaben unvereinbarem Nutzungskonzept der Mietsache
Urteilsanalyse
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Die Eigenbedarfskündigung des Vermieters ist nach einem Urteil des Landgerichts Berlin unwirksam, wenn ihr ein mit öffentlich-rechtlichen Vorgaben unvereinbares Nutzungskonzept der Mietsache zu Grunde liegt.

7. Jul 2022

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub und Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff,  Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München, Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 14/2022 vom 07.07.2022

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Sachverhalt

Die Klägerin kündigt das mit den Beklagten bestehende Mietverhältnis wegen Eigenbedarf und begründet diesen damit, dass sie die streitgegenständliche Wohnung mit der Nachbarwohnung, die ihr ebenfalls gehört zusammenlegen möchte. Die Wohnung liegt in einem Gebiet eines Bebauungsplans der Gemeinde Berlin, das zur Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung bestimmt, dass der Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung baulicher Anlagen der Genehmigung bedarf. Eine solche Genehmigung hat die Klägerin weder beantragt noch erhalten.

Das Amtsgericht hat der Räumungsklage stattgegeben. Hiergegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Berufung.

Entscheidung

Die Berufung hat Erfolg.

Der Klägerin stehe der geltend gemachte Räumungs- und Herausgabeanspruch nicht gemäß §§ 985, 546 Abs. 1 BGB zu. Die Eigenbedarfskündigung habe das Mietverhältnis nicht beendet, da die Kündigungsvoraussetzungen des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht gegeben seien.

Gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB habe der Vermieter ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses, wenn er die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötige. Erforderlich sei dafür ein auf vernünftige Gründe gestützter Eigenbedarfswunsch. Vernünftig sei der vom Vermieter verfolgte Nutzungswunsch wegen der auch im Mietrecht zu beachtenden Einheit der Rechtsordnung aber nur dann, wenn er mit öffentlich-rechtlichen Vorgaben im Einklang stehe. Daran fehle es.

Die zur Begründung der Kündigung herangezogene Zusammenlegung der von den Beklagten innegehaltenen Wohnung mit der ebenfalls im Eigentum der Klägerin stehenden Nachbarwohnung widerspreche öffentlich-rechtlichen Vorgaben. Denn gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB i.V.m. § 2 Satz 1 der auch die streitgegenständliche Wohnung erfassenden Erhaltungsverordnung für das Gebiet X im Bezirk Y von Berlin vom 23.3.1999 bedürfen der Rückbau, die Änderung oder die Nutzungsänderung der vorherigen Genehmigung. Eine solche Genehmigung sei vor Ausspruch der Kündigung - und bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung - weder eingeholt noch erteilt worden. Ihre Erteilung käme aber selbst im Fall ihrer Beantragung gemäß § 172 Abs. 4 Satz 1 BauGB nicht in Betracht, da durch die Verordnung die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aus besonderen städtebaulichen Gründen erhalten werden solle. Genau diesem Verordnungsziel handle die Klägerin mit ihrem zum Gegenstand der Kündigung erhobenen Nutzungsvorhaben zuwider.

Praxishinweis

Dem Urteil ist im Ergebnis zuzustimmen.

Anders als in Fällen, in denen der Vermieter eine Verwertungskündigung vornimmt und hierfür eine Zweckentfremdungsgenehmigung bereits zum Zeitpunkt der Kündigung vorliegen muss (AG Stuttgart, Urteil vom 18.6.2021 - 35 C 303/21, BeckRS 2021, 43336, besprochen in FD-MietR 2022, 446912), geht die h.M. bei einer Eigenbedarfskündigung für deren Begründung ein geändertes Nutzungskonzept vorgetragen wird, welches einer Baugenehmigung bedarf, davon aus, dass diese nicht bereits zum Kündigungszeitpunkt vorliegen muss (OLG Frankfurt, Beschluss vom 25.6.1992 - 20 REMiet 7/91, NJW 1992, 2300; Häublein in Münchner Kommentar, 8. Auflage 2020, § 573 BGB Rn. 94; Gramlich in Mietrecht, 15. Auflage 2019, § 573 BGB Rn. 21). Diese zwischen Zweckentfremdungs- und Baugenehmigung abweichende Beurteilung ist u.a. deswegen gerechtfertigt, da das Zweckentfremdungsrecht - anders als das Baurecht - die abweichende Nutzung grundsätzlich verhindern soll, die Genehmigung also die Ausnahme ist (Häublein in Münchner Kommentar, 8. Auflage 2020, § 573 BGB Rn. 121).

Steht jedoch fest, dass der Absicht des Vermieters, sein in der Kündigungserklärung dargestelltes Nutzungskonzept auszuführen, ein rechtliches Hindernis entgegensteht, ist dies einem fehlenden Nutzungswillen gleichzusetzen, sodass die Kündigung unwirksam ist (Blank/Börstinghaus in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Auflage 2021, § 573 BGB Rn. 88; Häublein in Münchner Kommentar, 8. Auflage 2020, § 573 BGB Rn. 94).

Da das Landgericht festgestellt hat, dass das Vorhaben des Vermieters unmöglich ist, war die Klage abzuweisen.


LG Berlin, Urteil vom 26.04.2022 - 67 S 10/22 (AG Berlin-Mitte), BeckRS 2022, 12835