Urteilsanalyse

Un­voll­stän­di­ge Ver­gleichs­rech­nung ge­fähr­det die ge­richt­li­che Be­stä­ti­gung des In­sol­venz­plans
Urteilsanalyse
urteil_lupe
© Stefan Yang / stock.adobe.com
urteil_lupe

Der ge­richt­li­chen Be­stä­ti­gung eines In­sol­venz­plans, durch den der Schuld­ner von sei­nen rest­li­chen Ver­bind­lich­kei­ten be­freit wer­den soll, steht nach An­sicht des Bun­des­ge­richts­hof nicht ent­ge­gen, dass der Schuld­ner keine Rest­schuld­be­frei­ung nach den ge­setz­li­chen Be­stim­mun­gen er­lan­gen kann. 

5. Aug 2022

Rechts­an­walt Dr. Mi­cha­el Lo­jow­sky, Schult­ze & Braun Rechts­an­walts­ge­sell­schaft für In­sol­venz­ver­wal­tung mbH

Aus beck-fach­dienst In­sol­venz­recht 16/2022 vom 05.08.2022

Diese Ur­teils­be­spre­chung ist Teil des zwei­wö­chent­lich er­schei­nen­den Fach­diens­tes Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht. Neben wei­te­ren aus­führ­li­chen Be­spre­chun­gen der ent­schei­den­den ak­tu­el­len Ur­tei­le im Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht be­inhal­tet er er­gän­zen­de Leit­satz­über­sich­ten und einen Über­blick über die re­le­van­ten neu er­schie­ne­nen Auf­sät­ze. Zudem in­for­miert er Sie in einem Nach­rich­ten­block über die wich­ti­gen Ent­wick­lun­gen in Ge­setz­ge­bung und Pra­xis. Wei­te­re In­for­ma­tio­nen und eine Schnell­be­stell­mög­lich­keit fin­den Sie unter www.​beck-​online.​de

Sach­ver­halt

Am 6.11.2008 er­öff­ne­te das Amts­ge­richt Köln über das Ver­mö­gen des im Jahr 1944 ge­bo­re­nen Schuld­ners das (Regel-)In­sol­venz­ver­fah­ren. Der Er­öff­nung lag ein Gläu­bi­ger­an­trag zu­grun­de. Trotz ent­spre­chen­der Be­leh­rung durch das In­sol­venz­ge­richt stell­te der Schuld­ner kei­nen Ei­gen­an­trag und be­an­trag­te zu­nächst auch keine Rest­schuld­be­frei­ung. Einen im Jahr 2014 ge­stell­ten An­trag des Schuld­ners auf Rest­schuld­be­frei­ung wies das In­sol­venz­ge­richt man­gels eines vom Schuld­ner selbst ge­stell­ten In­sol­venz­an­trags zu­rück. Die so­for­ti­ge Be­schwer­de des Schuld­ners wurde vom Be­schwer­de­ge­richt mit Be­schluss vom 2.10.2019 zu­rück­ge­wie­sen. An­schlie­ßend legte der Schuld­ner einen In­sol­venz­plan vor. Er­klär­tes Ziel des Plans war es, dem Schuld­ner eine so­for­ti­ge Rest­schuld­be­frei­ung zu er­mög­li­chen und den Gläu­bi­gern eine ver­bes­ser­te Be­frie­di­gung zu ver­schaf­fen. Hier­zu ver­pflich­te­te sich die Ehe­frau des Schuld­ners zu einer Zah­lung von 50.000 EUR sowie zur Be­glei­chung der von der Masse nicht ge­deck­ten Ver­fah­rens­kos­ten. Im dar­stel­len­den Teil des vor­ge­leg­ten Plans wurde eine Quo­ten­ver­bes­se­rung auf­ge­zeigt. Zu et­wai­gen Voll­stre­ckungs­aus­sich­ten der Gläu­bi­ger nach Auf­he­bung des Re­gel­ver­fah­rens schwieg der Plan.

Der In­sol­venz­plan wurde mit der Stim­men- und Sum­men­mehr­heit von sie­ben Gläu­bi­gern an­ge­nom­men. Ein Gläu­bi­ger stimm­te gegen den Plan. Das In­sol­venz­ge­richt hat den Plan be­stä­tigt. Die so­for­ti­ge Be­schwer­de des Gläu­bi­gers hatte kei­nen Er­folg. Mit sei­ner Rechts­be­schwer­de möch­te er wei­ter­hin die Ver­sa­gung der ge­richt­li­chen Plan­be­stä­ti­gung er­rei­chen.

Ent­schei­dung

Der Bun­des­ge­richts­hof hat der Rechts­be­schwer­de statt­ge­ge­ben.

Gemäß § 250 Nr. 1 InsO in der auf den Streit­fall an­wend­ba­ren Fas­sung sei die Be­stä­ti­gung des In­sol­venz­plans von Amts wegen zu ver­sa­gen, wenn die Vor­schrif­ten über den In­halt und die ver­fah­rens­mä­ßi­ge Be­hand­lung des In­sol­venz­plans sowie über die An­nah­me durch die Gläu­bi­ger und die Zu­stim­mung des Schuld­ners in einem we­sent­li­chen Punkt nicht be­ach­tet wor­den seien und der Man­gel nicht be­ho­ben wer­den könne. Das Ge­richt habe zu prü­fen, ob die Vor­schrif­ten über den In­halt des Plans, das In­sol­venz­plan­ver­fah­ren, die An­nah­me durch die Gläu­bi­ger und die Zu­stim­mung des Schuld­ners be­ach­tet wor­den seien. An­dern­falls habe das In­sol­venz­ge­richt ohne Er­mes­sens­spiel­raum die Be­stä­ti­gung des In­sol­venz­plans von Amts wegen ab­zu­leh­nen.

Der vor­ge­leg­te Plan ent­hal­te nicht alle nach § 220 Abs. 2 InsO er­for­der­li­chen An­ga­ben, was einen we­sent­li­chen Man­gel im Sinne des § 250 Nr. 1 InsO be­grün­de, der nicht be­ho­ben wer­den könne.

Der dar­stel­len­de Teil ent­hal­te nicht alle An­ga­ben zu den Grund­la­gen und den Aus­wir­kun­gen des Plans, die für die Ent­schei­dung der Gläu­bi­ger über die Zu­stim­mung zum Plan und für des­sen ge­richt­li­che Be­stä­ti­gung er­heb­lich seien. Nach § 220 Abs. 2 InsO seien alle die­je­ni­gen An­ga­ben un­er­läss­lich, wel­che die Gläu­bi­ger für ein sach­ge­rech­tes Ur­teil über den In­sol­venz­plan, ge­mes­sen an ihren ei­ge­nen In­ter­es­sen, be­nö­ti­gen. Das ma­ß­geb­li­che In­ter­es­se der Gläu­bi­ger be­stehe re­gel­mä­ßig in einer mög­lichst weit­ge­hen­den Be­frie­di­gung ihrer For­de­run­gen. Für ein sach­ge­rech­tes Ur­teil über einen In­sol­venz­plan müss­ten sie daher wis­sen, wie sich die Be­frie­di­gungs­aus­sich­ten im Falle der An­nah­me und Be­stä­ti­gung des Plans im Ver­gleich zu denen bei einer Fort­füh­rung des Re­gel­ver­fah­rens ver­hiel­ten. Das mache eine Ver­gleichs­rech­nung er­for­der­lich, die vor­lie­gend auch über das Ende des Re­ge­lin­sol­venz­ver­fah­rens hin­aus zu er­stre­cken sei. Dies gelte ins­be­son­de­re, wenn es sich bei dem Schuld­ner um eine na­tür­li­che Per­son hand­le. Im Rah­men des Mög­li­chen müsse der dar­stel­len­de Teil des In­sol­venz­plans den Gläu­bi­gern des­halb zu­nächst Klar­heit dar­über ver­schaf­fen, ob eine Nach­haf­tung in Be­tracht komme. Dazu ge­hö­re die In­for­ma­ti­on, ob ein An­trag auf Rest­schuld­be­frei­ung ge­stellt wor­den und wie ge­ge­be­nen­falls der Stand des Rest­schuld­be­frei­ungs­ver­fah­rens sei. Neben den An­ga­ben zu einem et­wai­gen Rest­schuld­be­frei­ungs­an­trag und ge­ge­be­nen­falls zum Stand des Rest­schuld­be­frei­ungs­ver­fah­rens müsse der dar­stel­len­de Teil des Plans die Gläu­bi­ger dar­über in­for­mie­ren, mit wel­chen nach­in­sol­venz­li­chen Be­frie­di­gungs­aus­sich­ten zu rech­nen sei.

Im Streit­fall in­for­mie­re der dar­stel­len­de Teil des Plans nicht dar­über, dass der An­trag des Schuld­ners auf Rest­schuld­be­frei­ung zu­rück­ge­wie­sen wor­den sei und die Gläu­bi­ger nach Auf­he­bung eines Re­ge­lin­sol­venz­ver­fah­rens wie­der in das Ver­mö­gen des Schuld­ners voll­stre­cken könn­ten. Die feh­len­den An­ga­ben zum Rest­schuld­be­frei­ungs­an­trag und zu einer mög­li­cher­wei­se ab­seh­ba­ren Än­de­rung der Ein­kom­mens-, Ver­mö­gens- und Fa­mi­li­en­ver­hält­nis­se be­trä­fen die nach­in­sol­venz­li­chen Be­frie­di­gungs­mög­lich­kei­ten und damit das In­ter­es­se der Gläu­bi­ger an einer mög­lichst weit­ge­hen­den Be­frie­di­gung ihrer For­de­run­gen. Eine un­voll­stän­di­ge Ver­gleichs­rech­nung, die - wie hier - ge­eig­net ist, Fehl­vor­stel­lun­gen über die Be­frie­di­gungs­mög­lich­kei­ten im Falle der Fort­füh­rung des Re­gel­ver­fah­rens her­vor­zu­ru­fen, könne Ein­fluss auf die An­nah­me des In­sol­venz­plans haben und die Be­stä­ti­gung des Pla­nes sei daher von Amts wegen ab­zu­leh­nen.

Pra­xis­hin­weis

Beim Stu­di­um der Ent­schei­dung be­schleicht einen der Ver­dacht, dass hier ein In­sol­venz­plan zur Täu­schung der Gläu­bi­ger vor­ge­legt wurde oder zu­min­dest – will man es po­si­tiv be­trach­ten – ein un­er­fah­re­ner In­sol­venz­plan­ar­chi­tekt am Werk war. Es ist zu be­grü­ßen, dass der BGH den Win­kel­zü­gen in die­sem Ver­fah­ren den Rie­gel vor­ge­scho­ben hat. Ein In­sol­venz­plan ist ein wun­der­ba­res Werk­zeug, einen Schuld­ner schnell aus den Zwän­gen des In­sol­venz­ver­fah­rens zu be­frei­en und zum Teil sogar ge­eig­net, wei­te­re Re­pres­sio­nen wie z.B. den Ent­zug einer be­rufs­recht­li­chen Zu­las­sung zu ver­mei­den. Dabei ist es aber er­for­der­lich, red­lich zu agie­ren und den Gläu­bi­gern trans­pa­rent die best­mög­li­che Be­frie­di­gungs­aus­sicht auf­zu­zei­gen.


BGH, Be­schluss vom 19.05.2022 - IX ZB 6/21 (LG Köln), BeckRS 2022, 15879