Anmerkung von
Dr. Cara Röhner, politische Sekretärin im Ressort Arbeits- und Sozialrecht/betriebliche Altersversorgung bei der Vorstandsverwaltung der IG Metall, Frankfurt am Main für Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main
Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 12/2020 vom 03.07.2020
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Sachverhalt
Während des Besuchs einer höheren Berufsschule erhielt der Kläger im Zeitraum Juli 2017 bis Oktober 2017 sowohl Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) als auch nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG). Die Unterhaltsvorschussleistungen betrugen bis zu seinem 18. Geburtstag monatlich 198 EUR.
Die Beklagte war der Rechtsauffassung, dass es sich bei den Unterhaltsvorschussleistungen um eine Ausbildungshilfe handele, die ohne Berücksichtigung eines Freibetrages auf die Leistungen des BAföG anzurechnen seien, § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG. Sie setze daher mit Bescheid vom 30.04.2018 die BAföG-Leistungen herab und forderte die überzahlte Ausbildungsförderung zurück.
Das VG hob den Bescheid auf. Es war der Auffassung, die Unterhaltsvorschussleistungen seien sonstige Einnahmen, die unter den Einkommensfreibetrag von 290 EUR monatlich fallen, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BAföG. Daraufhin legte die Beklagte erfolglos Sprungrevision ein.
Entscheidung
Das BVerwG wies die Revision der Beklagten zurück.
Das Gericht stellt klar, dass es sich bei Unterhaltsvorschussleistungen nicht um Ausbildungsbeihilfen, sondern um sonstiges Einkommen gem. § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 BAföG handelt. Ausbildungsbeihilfen haben die allgemeine Zweckrichtung der Ausbildungsförderung und werden zu diesem Zwecke gewährt. Unterhaltsvorschussleistungen dienen jedoch dazu, alleinerziehende Elternteile wirtschaftlich zu entlasten und den Unterhalt der Minderjährigen sicherzustellen. Leistungsvoraussetzung ist gerade nicht die Durchführung einer Ausbildung. Sie sind daher als sonstige Einnahmen zu betrachten, die zur Deckung des Lebensbedarfs bestimmt sind. Daher greift auch der Einkommensfreibetrag von 290 Euro monatlich.
Das BVerwG stellt zudem klar, dass die Freibetragsregelung des § 23 Abs. 1 Nr. 1 BAföG nicht nur hinsichtlich solcher Einnahmen greift, die den Auszubildenden einen Anreiz vermitteln, die Sozialleistungen im Wege der Selbsthilfe aufzustocken. Damit grenzt sich der Senat von seinem Urteil vom 09.12.2014 (BeckRS 2015, 40661) ab, das auf diese Weise verstanden werden könnte.
Praxishinweis
Seit dem 01.07.2017 wurde die Berechtigung zum Bezug von Unterhaltsvorschussleistungen ausgeweitet und die Altersgrenze von der Vollendung des 12. Lebensjahres auf die Vollendung des 18. Lebensjahres heraufgesetzt (BGBl. 2017 I S. 3153). Damit hat die Legislative die wirtschaftliche Situation von Alleinerziehenden und ihren minderjährigen Kindern gestärkt. Diese gesetzlich gewollte Verbesserung, die insbesondere auf Armutsreduzierung zielt, würde durch eine Anrechnung auf BAföG-Leistungen infrage gestellt. Daher ist das Urteil des BVerwG sowohl rechtspolitisch als auch rechtssystematisch richtig.
Der Erlass des Bundesministeriums für Bildung und Forschung vom 20.09.2017, wonach Unterhaltsvorschussleistungen als Ausbildungsbeihilfen zu verstehen seien, ist damit rechtswidrig.
Erhalten Minderjährige also sowohl Leistungen nach dem BAföG als auch nach dem UVG darf eine Anrechnung auf das BAföG bis zur Freigrenze von 290 EUR nicht stattfinden.
Zu den Ausbildungshilfen und gleichartigen Leistungen, die ohne Berücksichtigung eines Freibetrags auf das BAföG angerechnet werden, gehören z.B. Stipendien aus privaten und öffentlichen Mitteln (wie z.B. ein ERASMUS-Stipendium oder ein Reisestipendium) oder spezifische Ausbildungs- und Studiendarlehen.
BVerwG, Urteil vom 27.02.2020 - 5 C 5.19, BeckRS 2020, 2487