Urteilsanalyse
Unmittelbare Benachteiligung des Bewerbers wegen des Alters – Zurückweisung wegen Überschreitung der Regelaltersgrenze
Urteilsanalyse
Lorem Ipsum
© Stefan Yang / stock.adobe.com

Hat eine Bewerbung keinen Erfolg, weil der externe Bewerber die sog. Regelaltersgrenze überschritten hat, liegt hierin eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters i.S.v. § 3 I AGG. Dabei bleibt im Urteil des BAG ausdrücklich offen, ob diese Benachteiligung ausnahmsweise nach § 10 zulässig ist; explizit ausgeschlossen ist dies nicht. Das Entschädigungsverlangen eines erfolglosen Bewerbers nach § 15 II AGG kann danach durchgreifendem Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt sein.

13. Sep 2022

Anmerkung von
RA Prof. Dr. Jobst-Hubertus Bauer, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 35/2022 vom 08.09.2022

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des wöchentlich erscheinenden Fachdienstes Arbeitsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Arbeitsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Arbeitsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de.

Sachverhalt

Der 74-jährige Kläger, Oberamtsrat a.D., bewarb sich mit E-Mail vom 24.07.2019 bei der Beklagten auf eine ausgeschriebene Stelle als „Bürosachbearbeiterin/ Bürosachbearbeiter Gemeinsames Geschäftszimmer Abteilungsleiter Einsatz/Abteilungsleiter Einsatzunterstützung“. In der Stellenbeschreibung heißt es u.a., der Arbeitsplatz sei nach der Entgeltgruppe 7 TVöD bewertet und erforderlich seien u.a. „gutes mündliches und schriftliches Ausdrucksvermögen“. In der Bewerbungs-E-Mail des Klägers vom 24.07.2019 heißt es: „Sehr geehrte …, laut meiner u.a. Kontaktdaten bin ich Facharbeiter in nahezu allen Verwaltungsangelegenheit. Aus meine Zeugnissen ersehen Sie bitte, dass ich sicherlich nicht klüger als meine Mitbewerbe bin habe jedoch einen wertvollen Mehrwert – an Lebens-, und Berufserfahrungen. Ich bin geistig und körperlich sehr fit, fleißig, zuverlässig, seriös, flexibel sowie extrem belastbar. Meine monatliche Höchstverdienstgrenze beträgt pensionsbedingt brutto 1.600,- €. Zurzeit bin ich ehrenamtlich Bereich der EU tätig. Freuen Sie sich auf ein Vorstellungsgespräch.“

Mit E-Mail vom 31.07.2019 bat die Beklagte den Kläger, seine Bewerbung über den Online-Bewerbungsbogen einzureichen. Darauf antwortete der Kläger: „sorry mit Ihnen kann ich nicht arbeiten. Bitte stornieren Sie meine Bewerbung.“ Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin mit, dass sie die Zurückziehung der Bewerbung vermerkt habe. Hierauf antwortete wiederum der Klägerin: „Danke, bitte teilen Sie dem THW mit (mit meinen Unterlagen) das ich grundsätzlich Interesse an der Stelle habe – aber mir der technische Kontakt zur Personalgewinnung nicht möglich ist.“ Am 19.09.2019 teilte die Beklagte dem Kläger mit, die Wahl sei nicht auf ihn gefallen. Ferner wies sie darauf hin, der im Bereich des THW geltende TVöD regele in § 33, dass ein Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Monats ende, mit welchem Beschäftigte das gesetzlich festgelegte Alter zum Erreichen der Regelaltersrente vollendet haben. Dazu habe das THW ergänzend die grundsätzliche Entscheidung getroffen, keine Arbeitsverhältnisse mit externen Personen zu begründen, die bereits die sog. Regelaltersgrenze erreicht haben. Mit seiner Klage will der Kläger eine Entschädigung erreichen, die in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber 10.000 EUR brutto nicht unterschreiten solle. Das ArbG hat die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung i.H.v. 2.500 EUR verurteilt. Das LAG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Entscheidung

Die wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision der Beklagten ist begründet. Offen könne bleiben – so der 8. Senat –, ob ein Entschädigungsanspruch aus § 15 II AGG bereits daran scheitere, dass die unmittelbare Benachteiligung des Klägers wegen seines Alters ausnahmsweise nach § 10 AGG zulässig war. Dies könne aus Sicht des Senats entgegen der Annahme des LAG nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Vorliegend könne jedoch dahinstehen, ob der Entschädigungsanspruch bereits daran scheitere, dass die Benachteiligung ausnahmsweise nach § 10 AGG zulässig war. Die Rechtsmissbräuchlichkeit (§ 242 BGB) des Entschädigungsverlangens des Klägers folge jedoch aus seinem Bewerbungsschreiben i.V.m. seinen weiteren Schreiben sowie seinem Verhalten unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Stellenausschreibung. Eine Gesamtschau all dieser Umstände ergebe, dass der Kläger eine Ablehnung seiner Bewerbung provozieren wollte mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche nach § 15 II AGG geltend machen zu können.

Praxishinweis  

Den Ausführungen zur Rechtsmissbräuchlichkeit kann nur zugestimmt werden. Dadurch sah sich der 8. Senat nicht veranlasst, dem EuGH die Frage vorzulegen, ob die Bindung des Arbeitgebers an eine tarifliche Altersgrenze die Zurückweisung der Bewerbung allein wegen der Rentenberechtigung rechtfertigen könne. Das ist m.E. zu bejahen, denn die Ablehnung entsprechender Bewerbungen ist aus den gleichen Gründen, aus denen sich die Rechtmäßigkeit einer einschlägigen tariflichen Altersgrenze ergibt, als zulässige unterschiedliche Behandlung nach § 10 AGG zu werten. Andernfalls würde der Sinn der Altersgrenze konterkariert (Bauer/Krieger/Günther, AGG und EntGTranspG, 5. Aufl. 2018, § 10 AGG Rn. 39).

BAG, Urteil vom 31.03.2022 - 8 AZR 238/21 (LAG Köln), BeckRS 2022, 20643