Anmerkung von
Rechtsanwältin Nathalie C. Frohnmeyer, Knierim & Kollegen, Mainz
Aus beck-fachdienst Strafrecht 14/2023 vom 13.07.2023
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Sachverhalt
Die Zeugin B wurde zum anberaumten Hauptverhandlungstermin ordnungsgemäß geladen. Da B hierzu jedoch nicht erschien, setzte das AG im Rahmen der Hauptverhandlung ein Ordnungsgeld in Höhe von 150,00 Euro, ersatzweise drei Tage Ordnungshaft, gegen sie fest. Außerdem legte es ihr die durch ihr Ausbleiben entstanden Kosten auf. Nachdem B der Beschluss zugestellt wurde, legte sie „Erinnerung“ gegen den Beschluss ein. Sie begründete ihn zum einen damit, dass der Termin mehrfach verschoben worden sei, so dass sie ihn aus den Augen verloren habe. Außerdem habe sie an diesem Tag ihren zukünftigen Arbeitsplatz besichtigt, was für ihre Existenzsicherung wichtig gewesen sei. Das Vorbringen machte sie nicht glaubhaft. Die StA führte aus, dass an dem Ordnungsgeld festzuhalten sein dürfte. Es läge keine hinreichende Entschuldigung vor, da die B den Termin schlicht vergessen habe.
Entscheidung
Die von B eingereichte und als Antrag auf Aufhebung des Ordnungsgeldbeschlusses auszulegende „Erinnerung“ sei als unzulässig zu verwerfen, da die vorgetragenen Gründe nicht glaubhaft gemacht worden seien. Darüber hinaus reiche die vorgetragenen Begründung auch in der Sache nicht aus, um von der Verhängung eines Ordnungsgeldes abzusehen. Für eine hinreichende Entschuldigung sei es grundsätzlich unzureichend, wenn ein Zeuge mitteilt, er habe den Termin „verschlafen“. B sei es zwar zuzugestehen, dass der Termin zur Hauptverhandlungen aus verschiedenen Gründen, mehrmals verschoben worden sei. Sie sei jedoch trotz der Verschiebungen grundsätzlich in der Lage und dazu verpflichtet gewesen, sich den Verhandlungstermin zu notieren oder auf eine andere Weise zu merken. Terminverschiebungen könnten aus den verschiedensten Gründen vorkommen und würden die geladenen Zeugen nicht entbinden, die Ladungen für den Ersatztermin ernst zu nehmen. Sonst drohe die Gefahr, dass der Termin erneut verschoben werden müsste, sofern nicht alle Beweismittel zum Termin herbeigeschafft werden könnten. Des Weiteren sei B auch durch die Besichtigung ihres künftigen Arbeitsplatzes nicht hinreichend entschuldigt gewesen. Die Berufung auf die berufliche Pflichten sei kein hinreichender Entschuldigungsgrund. Davon abgesehen, habe B nicht vorgetragen, dass der Tag des Hauptverhandlungstermins der einzige gewesen wäre, an dem sie ihre neue Arbeitsstätte hätte anschauen können.
Praxishinweis
Die Pflicht eines Zeugen zu einem Termin zu erscheinen, zu dem er ordnungsgemäß geladen wurde, ist eine von der StPO vorausgesetzte allgemeine Staatsbürgerpflicht (vgl. BVerfGE 49, 280, 284). Bei Nichterfüllung dieser Pflicht besteht die verfassungsrechtlich unbedenkliche Möglichkeit, dem nicht genügend entschuldigten Zeugen die durch sein Ausbleiben verursachten Kosten aufzuerlegen und gegen ihn ein Ordnungsgeld festzusetzen. Zwar hat ein Zeuge das Recht auf angemessene Behandlung und darauf, nicht zum bloßen Verfahrensobjekt gemacht zu werden (vgl. BVerfGE 76, 363, 383), jedoch bedeutet dies nicht etwa, dass Termine mit einem Zeugen abgestimmt werden müssten. Beruft sich ein Zeuge daher auf die Wahrnehmung einer beruflichen Pflicht, legt aber im Übrigen keine dringenden beruflichen Hinderungsgründe für einen bestimmten Termin vor, ist das Gericht nicht gehindert, ein Ordnungsgeld zu verhängen, da eine genügende Entschuldigung in diesem Fall nicht vorliegt (vgl. BVerfG NJW 2002, 955). Dringende berufliche Pflichten sind indes auch nur unter Anlegung strenger Maßstäbe dazu geeignet, den Zeugen zu entschuldigen, da berufliche Pflichten grundsätzlich zurückzustellen sind, solange dies nicht zu unverhältnismäßigen Nachteilen des Zeugen führt (Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt-StPO, § 51 Rn. 12). Dies zeigt auch, dass bloßes „Vergessen“ eines Hauptverhandlungstermins jedenfalls keine genügende Entschuldigung darstellen kann, auch wenn der Termin mehrmals verschoben wird.
AG Göttingen, Beschluss vom 03.03.2023 - 63 Ds 383 Js 5227/20 (19/29), BeckRS 2023, 15110