Jedenfalls bemüht er sich seit geraumer Zeit, den Anwälten das zu nehmen, was ihnen mit der Aufhebung der vollständigen Anrechnung gegeben werden sollte. Er geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine vorprozessuale Zahlungsaufforderung nicht stets eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG auslöst, sondern auch als eine der Vorbereitung einer Klage dienende Tätigkeit nach § 19 I 2 Nr. 1 RVG anzusehen sein kann, die dann mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist. Dies sei namentlich der Fall, wenn dem Rechtsanwalt ein unbedingter Klageauftrag erteilt wurde. Ein für das Scheitern des vorgerichtlichen Mandats (aufschiebend) bedingt erteilter Prozessauftrag soll der Entstehung der Geschäftsgebühr allerdings nicht entgegenstehen. Kurzum: Es komme auf Art und Umfang des erteilten Mandats an.
Da der BGH diese Rechtsprechung unlängst noch einmal bestätigt hat (NJW-RR 2022, 707), begegnet man aktuell wieder Entscheidungsanmerkungen, die regelmäßig in die Empfehlung münden, der Anwalt möge doch gut überlegen, welchen Auftrag er sich erteilen lässt, diesen präzise definieren und gut dokumentieren. Grundlegende Zweifel an der Sichtweise des BGH sind hingegen nicht zu vernehmen. Dabei drängt sich doch die Frage auf, warum ein Rechtsanwalt im Fall eines unbedingten Klageauftrags überhaupt noch außergerichtlich tätig werden sollte. Ein Aufforderungsschreiben kann mit Blick auf die Klage kaum als Vorbereitungshandlung angesehen werden; denn es dient nicht der Vorbereitung, sondern der Vermeidung des Verfahrens. Will man einem Rechtsanwalt nicht unterstellen, bei Versand einer solchen Aufforderung ohne entsprechenden Auftrag zu handeln, wird man davon ausgehen müssen, dass dem Anwalt allenfalls ein bedingter Klageauftrag erteilt wurde.
Was die erwähnten Praxishinweise betrifft, so lösen diese das Problem nicht wirklich: Selbst Mandanten mit rechtlicher Expertise werden nur in Ausnahmefällen mit einem klar definierten Auftrag an den Rechtsanwalt herantreten. Vielmehr wird dieser im Regelfall gemeinsam festgelegt. Dabei ist der Anwalt selbstverständlich den Interessen des Mandanten verpflichtet. Keinesfalls darf er nur deshalb zur (zunächst) außergerichtlichen Geltendmachung raten, weil ihm dieses Vorgehen eine zusätzliche Gebühr bescheren würde. Die (einzig) entscheidende Frage muss sein, ob die außergerichtliche Geltendmachung überhaupt noch Erfolgsaussichten bietet, dem Auftraggeber bei Meidung eines gerichtlichen Verfahrens zu seinem Recht zu verhelfen.
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