Rechtsanwalt Felix Fischer, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main
Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 19/2023 vom 29.09.2023
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Sachverhalt
Bei dem Geschädigten handelt es sich um einen LKW-Fahrer, der im Zusammenhang mit dem Verladen von Ware in „seinen“ LKW damit betraut war, diese vor dem Verladen elektronisch mittels eines Scanners zu erfassen. Die Ware wurde mittels eines Gabelstaplers durch einen Beschäftigten des Betreibers des Lagers – bei welchem der Geschädigte nicht beschäftigt war – aufgeladen. Im Zuge des Verladevorgangs wurde der LKW-Fahrer von dem Gabelstapler angefahren und geschädigt.
Die Klägerin (wohl ein Sozialversicherungsträger) macht nun Regressansprüche gem. §116 SGB X geltend; die Beklagten sind der Auffassung, es handle sich um eine gemeinsame Betriebsstätte i. S. d. §106 Abs.3 Satz 3 SGB VII.
Entscheidung
Das OLG weist die Klägerin darauf hin, dass es die Berufung für offensichtlich aussichtslos hält und gedenke, diese gem. §522 Absatz 2 ZPO zurückzuweisen.
Der Scanvorgang sei Voraussetzung für den daran anschließenden Verladevorgang, über den sich der Geschädigte und der Beklagte konkludent verständigt hätten. Sie hätten daher Hand-in-Hand gearbeitet. Es liege deshalb eben kein Nebeneinanderarbeiten, sondern ein Miteinander und eine gemeinschaftliche Arbeit vor. Auch bestehe eine Gefahrengemeinschaft, da auch der Geschädigte für den Staplerfahrer eine Gefahr hätte schaffen können, indem er vor den fahrenden Gabelstapler laufen und diesen zur Vollbremsung zwingen könnte.
Praxishinweis
Das Prüfen der Voraussetzungen einer gemeinsamen Betriebsstätte i. S. d. §106 Abs. 3 Satz 3 SGB VII ist einzelfallabhängig, was auch dieser Fall zeigt.
Nach der Rechtsprechung des BGH sind Voraussetzung für deren Annahme betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinandergreifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt. Erforderlich ist ein bewusstes Miteinander im Betriebsablauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt. Die Tätigkeit der Mitwirkenden muss im faktischen Miteinander der Beteiligten aufeinander bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet sein (BGH, BeckRS 2011, 14199).
Nach den spärlichen Informationen, die dem Hinweisbeschluss zugrunde liegen, kann man die Ansicht des Senates in diesem Punkt nachvollziehen. Der BGH hatte in der vorgenannten Entscheidung dargelegt, dass der Mitarbeiter eines Baumarkts, der gekaufte Ware mit einem Gabelstapler aus dem Lager in den Bereich der Ladezone transportiert und dort zur Verladung durch den Käufer bereitstellt, seine Tätigkeit nicht notwendigerweise auf einer „gemeinsamen Betriebsstätte“ mit dem Arbeitnehmer des Käufers, der die Ware mit einem Transportfahrzeug abholen soll, verrichtet. Der Unterschied bestand darin, dass der Staplerfahrer in dem Fall, über den der BGH entschieden hat, die Ware bereitstellte, dann von dem Stapler abstieg, dieser losfuhr und dann den Geschädigten verletzte. Hier bestand wohl kein Ineinandergreifen unterschiedlicher Arbeitsabläufe.
Allerdings obliegt die Beurteilung der Frage, ob in einer Unfallsituation eine „gemeinsame Betriebsstätte“ vorlag einer zusätzlichen Prüfung dahingehend, ob im konkreten Arbeitsvorgang ein wechselseitiger Bezug im Sinne des Bestehens einer „Gefahrengemeinschaft“ besteht. Eine Gefahrengemeinschaft ist dadurch gekennzeichnet, dass typischerweise jeder der (in enger Berührung miteinander) Tätigen gleichermaßen zum Schädiger und Geschädigten werden kann (BGH, NZV 2013, 280). Dies scheint hier zweifelhaft. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass der hiesige Geschädigte den Schädiger zu einer Vollbremsung zwingen kann. Inwieweit der Staplerfahrer aber hierdurch selbst geschädigt werden könnte, begründet der Senat nicht.
OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss vom 1.3.2023 – 13 U 195/21 BeckRS 2023, 19297