Urteilsanalyse
Unfall auf dem Betriebsweg
Urteilsanalyse
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Verletzt sich ein Arbeitnehmer auf dem Weg zum Postbriefkasten, um dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung postalisch zu übermitteln, so handelt es sich - so das BSG - um einen Arbeitsunfall.

28. Aug 2023

Anmerkung von
RA Prof. Dr. Jobst-Hubertus Bauer, Stuttgart

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 33/2023 vom 24.08.2023

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Sachverhalt

Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Berufsgenossenschaft (BG) der klagenden Krankenkasse Behandlungskosten und Krankengeld erstatten muss, die sie für die beigeladene Arbeitnehmerin aufgewendet hat. Die bei der Klägerin krankenversicherte Beigeladene verletzte sich am 16.11.2013 auf dem Weg zum Postbriefkasten, als sie ihrem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 15.11.2013 postalisch übermitteln wollte. Für Krankenbehandlung und Krankengeld wandte die Klägerin insgesamt 10.263 EUR auf. Am 5.12.2013 meldete sie einen entsprechenden Erstattungsanspruch an, den die Beklagte mangels Versicherungsfalls zurückwies. Gegenüber der Beigeladenen lehnte die Beklagte Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung bestandskräftig ab, weil kein Arbeitsunfall vorliege.

Die Erstattungsklage ist vor dem SG und dem LSG ohne Erfolg geblieben. Die Beklagte habe einen Arbeitsunfall zutreffend abgelehnt, weil die Beigeladene keine versicherte Tätigkeit verrichtet und keinen Wegeunfall erlitten habe. Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 8 II Nr. 1 SGB VII. Die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung stelle eine Nebenpflicht dar, die zur Entgeltfortzahlung führe.

Entscheidung

Nach Ansicht des 2. Senats ist die zulässige Revision der Klägerin begründet. Rechtsgrundlage des Erstattungsanspruchs sei § 105 I SGB X. Danach sei der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger dem anfänglich unzuständigen Leistungsträger erstattungspflichtig, der Sozialleistungen erbracht hat. Die Beklagte ist der für die gegenständlichen Leistungen zuständige und die Klägerin der anfänglich unzuständige Leistungsträger in diesem Sinne. Als Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung habe die Klägerin der Beigeladenen Krankenbehandlung als Sachleistung (§ 27 SGB V) sowie Krankengeld (§ 44 SGB V) als Geldleistung i.S.v. § 11 S. 1 SGB I erbracht bzw. durch Dritte erbringen lassen. Damit habe sie indes keine eigene Leistungspflicht erfüllt, denn sie sei von Anfang an unzuständiger Leistungsträger gewesen. Auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe aufgrund von § 11 V 1 SGB V kein Anspruch, wenn sie als Folge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit i.S.d. gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen seien.

Arbeitsunfälle seien nach § 8 I 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Die Beigeladene habe einen Unfall iSv § 8 I 2 SGB VII erlitten, als sie auf dem Weg zum Postbriefkasten stürzte. Das postalische Versenden der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an ihren Arbeitgeber habe in einem inneren Zusammenhang mit der grundsätzlich versicherten Tätigkeit der Beigeladenen als Beschäftigte gestanden. Ihre objektive Handlungstendenz sei auf die Erfüllung einer dem Arbeitsverhältnis zuzurechnenden Nachweispflicht gerichtet gewesen.

Praxishinweis

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Zu den in der sog. Wegeunfallversicherung nach § 8 II Nr. 1 SGB VII versicherten Tätigkeiten zählt das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Um einen solchen Arbeitsweg handelte es sich hier indes nicht. Die Beigeladene erfüllte nämlich bereits mit dem Gang zum Postbriefkasten, den sie mit der objektivierten Handlungstendenz zurücklegte, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an ihren Arbeitgeber zu übermitteln, eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht und befand sich nicht erst in deren Vorbereitung.

BSG, Urteil vom 30.03.2023 - B 2 U 1/21 R (LSG Berlin-Brandenburg), BeckRS 2023, 6537