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Gerade erst ist die für viele Monate aufgrund der Corona-Pandemie eingeschränkte Insolvenzantragspflicht wieder umfassend wirksam geworden. Doch jetzt erfolgt bereits der nächste Rückschnitt: Die Insolvenzantragspflicht wird wegen der Starkregenfälle und Hochwasser erneut ausgesetzt. Überraschend ist dies nicht, denn auch bei den Fluten der Jahre 2002, 2013 und 2016 ist die Insolvenzantragspflicht für Hochwasseropfer zeitweilig ausgesetzt worden. Also alles Routine? Nein!

9. Sep 2021

Die Insolvenzantragspflicht aus § 15a InsO und § 42 II BGB bildet einen Grundpfeiler des Insolvenzrechts. Sie soll den Altgläubigern Haftungsmasse erhalten und einen präventiven Schutz für potenzielle Gläubiger entfalten. Ausnahmsweise kann eine Aussetzung zu rechtfertigen sein, wenn beide Ziele nicht gefährdet erscheinen. Dazu müssen bei einem bestandsfähigen Unternehmen das Anlage- und Vorratsvermögen gesichert und die Entstehung neuer Verbindlichkeiten begrenzt werden. Dies kann bei der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht durch Art. 1 § 1 COVInsAG und den Folgeregelungen grundsätzlich bejaht werden. Bei den Starkregen- und Hochwasserschäden liegt die Situation hingegen anders. Sachwerte sind vernichtet, und die Verbindlichkeiten wachsen weiter. Ein durch die Fluten zerstörtes Unternehmen ist in seiner Substanz getroffen. Mit graduellen Unterschieden gilt dies auch bei beschädigten Produktionsstätten, Lagern oder Datenverarbeitungssystemen. Schwer getroffene Betriebe werden kaum zu retten sein, während nur am Rand betroffene Unternehmen keine insolvenzrechtliche Privilegierung benötigen. So ist die ausgesetzte Antragspflicht nur für eine kleine Gruppe von Firmen hilfreich, schadet aber vielen Gläubigern. Und diese benötigen den Schutz durch die Insolvenzantragspflicht.

Denken wir weiter. Die nächsten Großschäden werden kommen. Müssten nicht bei anderen Klimakatastrophen die gleichen Konsequenzen gezogen werden, etwa für waldbrandgeschädigte land- oder forstwirtschaftliche Betriebe? Was gilt bei einer Massentötung von Nutztieren infolge einer Viehseuche? Auch zusammenbrechende Lieferketten können ein Unternehmen in seinem Bestand treffen, wie der Mangel an Speicherchips belegt. Hier bleibt es selbstverständlich bei der Sicherungsfunktion der Antragspflicht. Dies hat nicht weniger für Hochwasser- und Starkregenereignisse zu gelten. Die menschliche Tragik kann ohnedies nicht mit insolvenzrechtlichen Mitteln bewältigt werden. Wie der Wetterreporter Phil Connors im Film, muss auch die Politik ihre Reaktionsmuster ändern. •

Prof. Dr. Martin Ahrens lehrt Bürgerliches Recht, Anwalts- und Zivilprozessrecht an der Universität Göttingen.