Kolumne
Und täglich grüßt Bastille
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© Markus Hartung/Frank Eidel

Beim Thema Fremdbesitz an Anwaltskanzleien grüßt Bastille. Der Berufsstand sträubt sich weitgehend gegen Strukturänderungen, dann kommt ein gerichtlicher Paukenschlag, der die Profession kalt erwischt und auf den der Gesetzgeber reagiert. Eine neue Folge der Reflexionen über den Rechtsmarkt.

7. Jul 2023

Jüngst fand eine große akademische Feier für den (auch) Anwaltsrechtler Martin Henssler statt, mit klugen Fachreferaten, launigen Festvorträgen und Übergabe einer voluminösen Festschrift. Ganz großes Kino. Sogar der Bundesjustizminister war da und hielt eine sehr schöne Rede, die sich mit den vielen Errungenschaften des Geehrten befasste, dann aber auch einen kurzen Ausblick auf sein berufspolitisches Restprogramm gab, insbesondere die Befassung mit dem Thema „Fremdbesitz“, da müsse man jetzt ran. Nach der Rede erwähnte mein Tischnachbar, dass er, wann immer er bei Kollegen das Thema anspreche, auf Sorgen und Unsicherheit stoße, vielen Kollegen in seinem (mittelgroßen) Kammerbezirk mache das Angst.

Was sagt man da? Normalerweise kann man die besorgten ­Kollegen damit vertrösten, dass die Ampel bisher in der Rechtspolitik nicht so furchtbar effektiv gewesen ist, und so ein dickes Brett gegen die gefühlte Mehrheit in der Anwaltschaft gar nicht erst anbohrt. Aber hier kommt es nicht so sehr auf die Ampel an, weil im Hintergrund die Uhr tickt, die Gerichts-Uhr: Denn wieder ist eine Situation entstanden, in der die Anwaltschaft ein seit sehr vielen Jahren virulentes Thema verschleppt und sich trotz Mahnung führender Berufsrechtler, darunter auch Martin Henssler, weigert, sich damit sachlich und mit Blick auf Verfassung und europäische Grundfreiheiten zu befassen, und dann aus dem Nichts ein Gericht, hier der Bayerische AGH, unangenehme Grundfragen stellt und die Sache dem EuGH vorlegt. Niemand weiß, was dabei herauskommen wird. Aber ist die Annahme wahrscheinlich, dass ein ausnahmsloses Verbot, das eher mit Schlagworten als mit ­kohärenter Argumentation gerechtfertigt wird, bestehen bleibt?

Im Zuge der großen BRAO-Reform gab es Vorschläge, wie man das Thema der verschiedenen Interessen in den Griff bekommen könne. Das setzte sich nicht durch, es blieb beim ausnahmslosen Verbot. Mit Unterzeichnung des Koalitionsvertrags war allerdings klar, dass es ­damit nicht erledigt ist, und nun ist die Anwaltschaft gezwungen, sich nolens volens dem Thema zu stellen. Die Älteren bemerken, dass sich hier ein vertrautes Muster abspielt: berufspolitische Diskussion mit lauten Forderungen nach Strukturänderungen, eine sich sträubende oder bestenfalls den Kopf in den Sand steckende Anwaltschaft, eine blockierende BRAK, dann ein gerichtlicher Paukenschlag, der die Profession pants down erwischt und nach dem alles anders ist: Bastille. Überörtliche Sozietät. Syndikusanwälte. Lokalisation. RA-GmbH. Werbung. Zweitberuf. Simultanzulassung. Interprofessionelle Zusammenarbeit. Erfolgshonorar. Jetzt Fremdbesitz. Erleben wir einen berufs­politischen Groundhog Day, stecken wir in einer Zeitschleife?

Sorgen und Ängste, die müssen wir verstehen, auch ernst nehmen. Aber davon dürfen wir uns nicht leiten lassen, denn das geht immer schief, wirklich immer, seit 1878. Angst war noch nie ein guter Rat­geber, das gilt auch bei uns.

Markus Hartung ist Rechtsanwalt und Mediator in Berlin, Senior Fellow des Bucerius Center on the Legal Profession und Mitglied des Berufsrechtsausschusses des DAV.