Kolumne
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Das anwaltliche Berufsrecht ist ein sanierungsbedürftiges Haus. Es gab mal Zeiten, in denen man dachte, es stürzt ein. Überall bröckelte es, auch einige Fenster waren blind. Viele Bewohner sind längst ausgezogen, andere wie der Hauswart und die Hausverwaltung wollen dort wohnen bleiben. In seiner NJW-Kolumne "Reflexionen über den Rechtsmarkt" begrüßt Markus Hartung, dass das Bundesjustizministerium jetzt gründlich renovieren will. 

7. Dez 2020

Es gab ja mal Zeiten, wo man dachte, irgendwann stürzt es ein. Dringend sanierungsbedürftig, unser Berufsrecht, aber es geschah nichts. Wir standen vor einem alten ehrwürdigen Gebäude, das überall bröckelte, teilweise einstürzte, auch einige Fenster waren blind. Viele Bewohner sind längst ausgezogen, andere, gerade der Hauswart und die Hausverwaltung, wollen um jeden Preis dort wohnen bleiben, es habe sich doch bewährt.

Aber dann – ganz schön was los im Moment. Nicht weniger als vier Referentenentwürfe befassen sich direkt oder indirekt mit der Reform des anwaltlichen Berufsrechts. Es sind dies der Referentenentwurf zur großen BRAO-Reform, sodann ein weiterer Entwurf zur „Förderung verbrauchergerechter Angebote“ im Rechtsmarkt und dann zwei Referentenentwürfe, in denen das anwaltliche Berufsrecht nicht die Hauptrolle spielt – die Reform der Personengesellschaften und die Reform des notariellen Berufsrechts. Die meisten Vorschläge sind sachgerecht und überfällig, andere verlangen uns viel ab, dem einen mehr, der anderen weniger. Aber etwa die Lockerung des Verbots der Erfolgshonorare als „Förderung verbrauchergerechter Angebote“: dass das etwas miteinander zu tun haben soll, verstehen manche nicht mehr. Wenn das alles Gesetz wird, wird sehr vieles anders sein als heute und gestern, und auch unter Geltung des Struck’schen Gesetzes, wonach kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es hineinkommt, wird sich am Ende viel verändert haben. So viel, dass Anwälte gut beraten sind, sich nicht nur um Fortbildung im Handels- und Gesellschaftsrecht, sondern auch und gerade im Berufsrecht zu kümmern (für viele: erstmalige Begegnung), auch ohne sanktionierte Fortbildungspflicht.

Während jetzt alle Kräfte gebunden sind, um Hunderte von Seiten Papier (engzeilig, ohne Inhaltsverzeichnisse oder Randnummern) zu lesen, zu verstehen, zu diskutieren und zu kommentieren, geht das richtige Leben hochtourig weiter. Zum Beispiel mit dem Streit um die Frage, was eine regulierte Rechtsdienstleistung ist und was Rechtsdienstleister dürfen. Trotz BGH in Sachen wenigermiete.de alles furchtbar streitig. Genauso streitig ist die Frage, was jedermann darf. Wenn Juristen etwa denken, Kautelarjurisprudenz sei ihr Olymp, findet das OLG Köln, dass das auch durch Software geht; um eine Rechtsdienstleistung handele es sich nicht, daher dürften Vertragsgeneratoren von jedermann angeboten werden. Und das AG Köln entschied kürzlich lapidar, dass in bestimmten Rechtsbereichen eine Software dieselben Tatbestandsvoraussetzungen prüfe, die ein Anwalt bei der Beratung und das Gericht bei der Entscheidung zugrunde legen. Es war ein Fluggastfall, den man vollautomatisiert prüfen und entscheiden kann. In anderen Bereichen geht das auch. Behandelt wird es wie ehedem. Bewährt, aber nicht zukunftsfähig. Ein deutsches Phänomen, gerade in der Rechtspflege besonders sichtbar. Kann eigentlich nicht so bleiben. •

Markus Hartung ist Rechtsanwalt und Mediator in Berlin, Senior Fellow des Bucerius Center on the Legal Profession und Mitglied des Berufsrechtsausschusses des DAV.