Urteilsanalyse
Unbesehen unterzeichnete Berufungsbegründungsschrift einer Partei ist unzureichend
Urteilsanalyse
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Es besteht nach Ansicht des BGH in aller Regel kein Anlass, den Inhalt einer anwaltlich unterschriebenen Berufungsbegründung darauf zu prüfen, wie gründlich der Anwalt den Prozessstoff durchgearbeitet hat. Ausnahmen hiervon werden für zwei Fallgruppen anerkannt: Zum einen, wenn der Anwalt sich durch einen Zusatz von dem unterschriebenen Schriftsatz distanziert, und zum anderen, wenn nach den Umständen außer Zweifel steht, dass er den Schriftsatz unbesehen unterschrieben hat.

13. Apr 2021

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Berufsrecht 07/2021 vom 08.04.2021

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Sachverhalt

Das Oberlandesgericht hatte in einem Verfahren um die Räumung eines Grundstücks die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Es führte aus, dass die Berufung entgegen § 520 Abs. 3 ZPO in Verbindung mit § 78 Abs. 1 ZPO nicht von einem postulationsfähigen Rechtsanwalt begründet worden sei. Die 81 Seiten umfassende Begründungsschrift sei zwar von dem damaligen Prozessbevollmächtigten der Beklagten unterzeichnet worden. Aufgrund der wirren Gestaltung der Anträge und des Schriftsatzes im Vergleich zu der sonstigen Qualität der Schriftsätze des Anwalts stehe aber außer Zweifel, dass dieser den Schriftsatz ohne eigene Prüfung unterzeichnet habe. Die Beklagten legten Nichtzulassungsbeschwerde ein.

Entscheidung: Berufungsbegründungsschrift unbesehen unterzeichnet

Die Nichtzulassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg.

Den Beklagten sei der Zugang zu der Berufung nicht infolge einer fehlerhaften Anwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung unzumutbar erschwert worden. Das Berufungsgericht lege die gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung zugrunde, wonach die Unterzeichnung der Berufungsbegründung durch einen postulationsfähigen Rechtsanwalt keine bloße Formalität darstelle, sondern zugleich äußerer Ausdruck für die von dem Gesetz geforderte eigenverantwortliche Prüfung des Inhalts der Begründungsschrift durch den Rechtsanwalt sei. Aus Gründen der Rechtssicherheit fordere das Gesetz allerdings über das äußere Merkmal der Unterschrift hinaus keinen weiteren Nachweis dafür, dass der Anwalt den Prozessstoff eigenverantwortlich durchgearbeitet habe und die Verantwortung für den Inhalt seines Schriftsatzes tragen wolle. Für ein Berufungsgericht bestehe deshalb in aller Regel kein Anlass, den Inhalt einer anwaltlich unterschriebenen Berufungsbegründung darauf zu überprüfen, in welchem Umfang und wie gründlich der Anwalt den Prozessstoff tatsächlich durchgearbeitet habe.

Ausnahmen hiervon seien in der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung für zwei Fallgruppen anerkannt: Zum einen, wenn der Anwalt sich durch einen Zusatz von dem unterschriebenen Schriftsatz distanziere, und zum anderen, wenn nach den Umständen außer Zweifel stehe, dass der Rechtsanwalt den Schriftsatz ohne eigene Prüfung, also unbesehen, unterschrieben hat. Zu letzterer Fallgruppe zählten insbesondere Rechtsmittelbegründungsschriftsätze, die weitgehend unverständlich seien und Ausführungen enthielten, die mit dem Urteil des erstinstanzlichen Gerichts in keinem Zusammenhang stünden oder nach deren Inhalt schlechthin auszuschließen sei, dass der Anwalt sie in der gebotenen Weise überprüft haben könne. Im Ergebnis rechtsfehlerfrei ordne das Berufungsgericht hier den Sachverhalt der zuletzt genannten Fallgruppe zu. Die Grenze dessen, was von den Gerichten noch hingenommen werden könne, wenn der Anwaltszwang seinen Zweck erfüllen solle, sei hier eindeutig überschritten.

Praxishinweis

Als bestimmender Schriftsatz muss die Berufungsbegründung nach § 519 Abs. 4 ZPO in Verbindung mit § 130 Nr. 6 ZPO die eigenhändige Unterschrift eines beim Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwalts tragen. Das Unterschriftserfordernis ist dabei äußerer Ausdruck für die vom Gesetz geforderte eigenverantwortliche Prüfung des Inhalts der Begründungsschrift durch einen postulationsfähigen Rechtsanwalt. Die Berufungsbegründung muss in diesem Sinne das Ergebnis der geistigen Arbeit des Berufungsanwalts sein. Dies ist allerdings nicht so zu verstehen, dass der Rechtsanwalt die Berufungsschrift persönlich erarbeiten und verfassen müsste. Rechtsmittelbegründungsschriften müssten nicht von einem am Rechtsmittelgericht zugelassenen Rechtsanwalt gefertigt sein. Sie würden vielfach auch zulässigerweise von Korrespondenzanwälten, wissenschaftlichen Mitarbeitern oder nicht am Rechtsmittelgericht zugelassenen Sozien vorbereitet, und zwar «unterschriftsreif». Erforderlich sei in solchen Fällen lediglich, dass der Berufungs- oder Revisionsanwalt sich den Inhalt der Rechtsmittelbegründungsschrift zu eigen macht und die Verantwortung dafür übernimmt. In welchem Umfang und wie gründlich er tatsächlich den Prozessstoff durchgearbeitet hat, ist für den Regelfall ohne Bedeutung und vielmehr dem eigenverantwortlichen Ermessen des Rechtsanwalts überlassen (BGH, Urteil vom 13.07.1989 - VII ZR 223/88, BeckRS 9998, 98274).

BGH, Beschluss vom 11.02.2021 - V ZR 137/20 (OLG Brandenburg), BeckRS 2021, 4852