Urteilsanalyse
Umgang mit geheimhaltungsbedürftigen Geschäftsgeheimnissen im Prozess
Urteilsanalyse
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Ein Antrag auf Einstufung streitgegenständlicher Informationen als geheimhaltungsbedürfte Geschäftsgeheimnisse bedarf der Glaubhaftmachung nach § 20 III GeschGehG. Dafür genügt es, dass die Informationen Geschäftsgeheimnisse sein können. Liegt ein mögliches Geschäftsgeheimnis vor, ist dessen Einstufung als geheimhaltungsbedürftig nach Ansicht des LAG Baden-Württemberg in aller Regel ermessensfehlerfrei.

23. Okt 2023

Anmerkung von
RAin Dr. Doris-Maria Schuster, Gleiss Lutz, Hamburg

Aus beck-fachdienst Arbeitsrecht 41/2023 vom 19.10.2023

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Sachverhalt

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens war ein Antrag der klagenden Arbeitgeberin nach § 16 I GeschGehG auf Einstufung von im Prozess verwendeten Informationen als geheimhaltungsbedürftig. Nach § 16 I GeschGehG kann bei Klagen, durch die Ansprüche aus den §§ 6 bis 14 GeschGehG geltend gemacht werden (Geschäftsgeheimnisstreitsachen), das Gericht der Hauptsache auf Antrag einer Partei streitgegenständliche Informationen ganz oder teilweise als geheimhaltungsbedürftig einstufen, wenn diese ein Geschäftsgeheimnis sein „können“. Streitgegenständlich waren hier im Prozess verwendete Informationen der Klägerin über Techniker- und Vertriebssitzungen sowie Umsatzzahlen und Umsatzentwicklungen, deren weitere Verbreitung sie durch die Einstufung als geheimhaltungsbedürftig i.S.d. § 16 I GeschGehG verhindern wollte. Infolge einer gerichtlichen Einstufungsanordnung als geheimhaltungsbedürftige Informationen müssen alle prozessbeteiligten Personen die Informationen vertraulich behandeln und dürfen sie nicht außerhalb des Verfahrens nutzen oder offenlegen.

Das ArbG lehnte die Einstufung als geheimhaltungsbedürftig ab.  

Entscheidung

Das LAG hob den Beschluss des ArbG auf und bejahte die Geheimhaltungsbedürftigkeit der Informationen. Für den Beschluss zur Einstufung von Informationen als geheimhaltungsbedürftig nach § 16 GeschGehG genüge die Möglichkeit, dass es sich um Geschäftsgeheimnisse i.S.d. § 2 Nr. 1 GeschGehG handele. Das sei vorliegend der Fall. Die Informationen seien nicht offenkundig, hätten einen wirtschaftlichen Wert, es seien angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen ergriffen worden und die Klägerin habe ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse. Die von ihr getroffenen technisch-organisatorischen und sonstigen Maßnahmen zur Sicherung der Informationen seien angemessen gewesen. Einzelne etwaig bestehende Lücken im Schutzsystem der Klägerin führten nicht zum Entfallen des Geheimnisschutzes, denn das GeschGehG verlange keinen optimalen, sondern einen situations- und geheimnisabhängigen Schutz der Geschäftsgeheimnisse. Auch wenn der Wortlaut des § 16 GeschGehG als Kann-Vorschrift den Eindruck erwecke, die Einstufung der Geheimhaltungsbedürftigkeit stehe im Ermessen des Gerichts, sei das gerichtliche Ermessen eingeschränkt. In aller Regel sei nur die Einstufung als geheimhaltungsbedürftig ermessensfehlerfrei. Etwas Anderes gelte nur bei rechtsmissbräuchlichen Anträgen. Sofern § 20 III GeschGehG schließlich vorschreibe, dass die klagende Partei das Vorliegen eines Geschäftsgeheimnisses glaubhaft machen müsse und damit strengere Anforderungen als § 16 I GeschGehG aufstelle, müsse die Vorschrift einschränkend richtlinienkonform ausgelegt werden. § 20 III GeschGehG sei europarechtskonform so zu verstehen, dass die Möglichkeit, die Information als Geschäftsgeheimnis einzuordnen, ausreiche. Nach Art. 9 I der Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (EU RL 2016/943) reiche es zur Annahme der Geheimhaltungsbedürftigkeit nämlich aus, wenn es sich um ein „angebliches Geschäftsgeheimnis“ handele.

Praxishinweis

Eine praxisnahe und sehr instruktive Entscheidung zum Umgang mit Geschäftsgeheimnissen im Arbeitsgerichtsverfahren. Zurecht setzt das LAG keine allzu hohen Anforderungen an die Stattgabe eines Antrags darauf, bestimmte verfahrensgegenständliche Informationen als geheimhaltungsbedürftig einzustufen und sie damit in dem Verfahren als vertraulich zu behandeln. Den Wortlautwiderspruch zwischen § 16 I und § 20 III GeschGehG löst das LAG mit einer richtlinienkonformen einschränkenden Auslegung von § 20 III GechGehG auf. Im Ergebnis entspricht das auch dem Willen des Gesetzgebers. Das zeigt ein Blick in die Entstehungsgeschichte des § 20 III GeschGehG (vgl. BT-Drs. 19/4724, S. 38).

LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.09.2023 - 7 Ta 1/22 (ArbG Stuttgart), BeckRS 2023, 26430