Anmerkung von
Rechtsanwalt Joachim Zobel, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft
Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 11/2021 vom 16.09.2021
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Sachverhalt
Die Parteien streiten im Rahmen der Insolvenzanfechtung über die Rückzahlung von Entgelt zur Masse. Der Kläger ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin. Zwischen ihr und der Beklagten, deren Ehemann Alleingesellschafter sowie Geschäftsführer der Schuldnerin war, bestand ein tatsächliches oder vermeintliches Arbeitsverhältnis. Daneben stand die Beklagte in einem weiteren Arbeitsverhältnis zu einer hundertprozentigen Tochter der Schuldnerin. Der Kläger behauptete, die Gehaltszahlungen an die Beklagte seien verschleierte Schenkung, da das Arbeitsverhältnis zwischen der Beklagten und der Schuldnerin nur zum Schein begründet worden sei. Dabei trug der Kläger alle ihm bekannten Tatsachen vor, aus denen sich der Scheincharakter des Arbeitsverhältnisses ergebe.
Das AG Siegburg wies die Klage mit der Begründung ab, es existiere eine Arbeitsvertragsurkunde, die die Gegenleistung der Beklagten ausdrücklich regle mit der Folge, dass keine unentgeltliche Leistung vorliege.
Gegen das Urteil legte der Kläger bei dem LAG Köln Berufung ein.
Entscheidung
Das Berufungsgericht gab der Klage statt.
Die Gehaltszahlungen seien vom Kläger zurecht angefochten worden, denn diese würden unentgeltliche Leistungen iSv § 134 Abs. 1 InsO darstellen. Bei den Arbeitsvertragsurkunden handele es sich um Urkunden über Scheingeschäfte, die nach § 117 Abs. 1 BGB nichtig seien. Dabei bestimme sich die Frage, ob für die Leistung der Arbeitnehmer:innen ein Gegenwert fließen soll, in erster Linie nach dem objektiven Sachverhalt und nicht nach den subjektiven Vorstellungen der Beteiligten. Vorliegend habe die Beklagte objektiv keine Arbeitsleistung erbracht. Sie habe weder einen Arbeitsplatz noch eine eigene dienstliche Telefonnummer gehabt. Auch gebe es keine Arbeitsplatzbeschreibung. Des Weiteren nehme die Beklagte an der Arbeitszeiterfassung nicht teil und habe mit 72 Altersjahren das Rentenalter bereits erheblich überschritten. Das Bestreiten der Beklagten sei im Gegensatz zu dem schlüssigen Vortrag und konkretisierenden Rügen des Klägers pauschal, unkonkret, substanzarm und daher unerheblich.
Praxishinweis
Die Beweislast für den Scheincharakter eines Vertrags trägt nach den allgemeinen Beweisregeln derjenige, der sich auf die Nichtigkeit nach § 117 Abs. 1 BGB beruft. Dies gilt auch für Arbeitsverträge. Ob tatsächlich die im Arbeitsvertrag vereinbarte Arbeitsleistung erbracht wurde, hängt von dem erklärten Parteiwillen ab. Es kommt auf die gewollte Wirkung des Rechtsgeschäfts an, nicht auf die Wirkung des Anscheins.
Der klagenden Insolvenzverwalter hat alle ihm bekannten Tatsachen zum „Scheincharakter“ und damit der „Unentgeltlichkeit“ vorzutragen.
Die notwendigen greifbare Anhaltspunkte für eine Scheingeschäft ergeben sich bei Arbeitsverhältnissen insbesondere aus atypischen vertraglichen Regelungen zur Arbeitszeit oder der Vergütung, das Fehlen der Einbindung in die Arbeitsorganisation, Mehrfachbeschäftigung (jeweils in Vollzeit) innerhalb eines Unternehmensverbundes, Gewährung von Vergünstigungen, nachträglichen Vertragsanpassungen, Gewährung von Sicherheiten im Rahmen der betriebl. Altersversorgung, die anderen Arbeitnehmer:innen nicht gewährt werden.
Denkbar ist auch eine „Teilunentgeltlichkeit“, soweit zwar dem Grunde nach ein Arbeitsverhältnis besteht und vollzogen wird, jedoch zB. eine überhöhte Vergütung vereinbart wurde oder Arbeitszeit und ggf. Arbeitsort gegen die Gleichwertigkeit von „Arbeitsleistung und Entgelt“ sprechen; das „überschießenden Entgelt“ hätte insoweit „Scheincharakter“.
LAG Köln, Urteil vom 08.04.2021 - 6 Sa 1159/20 (ArbG Siegburg), BeckRS 2021, 22027