Mit der Entscheidung des EGMR vom 9. April 2024 (Az. 53600/20, BeckRS 2024, 6526) in Sachen „Verein KlimaSeniorinnen Schweiz“ liegt die erste überstaatliche Entscheidung einer Klimaklage vor. Für Deutschland dürften sich die unmittelbaren Auswirkungen in Grenzen halten. Der zentrale Punkt des Urteils, dass ein Staat durch das Unterlassen geeigneter Maßnahmen gegen den Klimawandel die Rechte von Individuen verletzen kann, ist in Deutschland durch den Klimabeschluss des BVerfG (NJW 2021, 1723) bereits geklärt. Anders ist dies bei Staaten, deren Gerichte bislang keine dem Karlsruher Klimabeschluss entsprechende Rechtsprechung kannten.
Ein bemerkenswerter Punkt fand in der medialen Berichterstattung dabei bislang kaum Beachtung: Geklagt hatten fünf Kläger, vier Seniorinnen im Alter zwischen 82 und 92 Jahren, die zumindest teilweise erhebliche soziale und gesundheitliche Beeinträchtigungen durch den Klimawandel dargelegt hatten, und der „Verein KlimaSeniorinnen Schweiz“ mit ca. 2.500 Mitgliedern, deren Durchschnittsalter bei 73 Jahren lag und dessen satzungsmäßiger Zweck spezifisch darauf gerichtet war, effektive Klimaschutzmaßnahmen im Namen seiner Mitglieder zu fördern und zukünftige Generationen zu schützen. Bei den Individuen sah der EGMR keine Menschenrechtsverletzung. Denn der Gerichtshof legte bei der individuellen Betroffenheit einen sehr hohen Maßstab an. Die konkret vorgetragenen sozialen und gesundheitlichen Einschränkungen reichten dem EGMR hierfür nicht aus. Ab welcher Schwelle bei Individuen von einer individuellen Betroffenheit auszugehen ist, ließ er offen. Er stellte lediglich fest, dass es eine solche individuelle Betroffenheit mit Blick auf den Klimawandel geben kann.
Die Klage des Vereins hatte hingegen Erfolg. Dies wirkt auf den ersten Blick seltsam, da die vier gleichgerichteten Klagen der Vereinsmitglieder abgewiesen wurden. Woraus sich die individuelle Betroffenheit beim Verein ergibt, wird auch nicht ganz klar. Der EGMR leitete diese wohl daraus ab, dass der Verein aufgrund seines eng zugeschnittenen Satzungszwecks hier als Sachwalter einer Vielzahl von Menschen auch in Form zukünftiger Generationen auftrat, die unter dem Klimawandel leiden werden und die heute noch keine eigene Stimme haben. Damit zeigen sich insoweit starke argumentative Parallelen zum Karlsruher Klimabeschluss, dem ebenfalls der Gedanke intertemporaler Freiheitsrechte zugrunde lag.
Man darf auf die weitere Einordnung der Entscheidung in Rechtsprechung und Literatur gespannt sein. In den laufenden Klimaklagen in Deutschland spielte die individuelle Betroffenheit bereits eine wichtige Rolle. Klimaklagen dürften damit auch in Zukunft – auch in Form kollektiver Rechtsdurchsetzung – nicht Tür und Tor geöffnet sein.
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