Anmerkung von
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht und Steuerrecht, Björn Krug,
LL.M. (Wirtschaftsstrafrecht), Ignor & Partner GbR, Frankfurt a. M.
Aus beck-fachdienst Strafrecht 16/2023 vom 10.08.2023
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Sachverhalt
Die Polizei hat gegen den Betroffenen (B) am 14.12.2021 wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 1.500 EUR und ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt. Auf den am 06.01.2022 zugestellten Bußgeldbescheid reagierte der B mit einem am 07.01.2022 bei der Polizei eingegangenen Antrag auf Ratenzahlung und „Umwandlung des Fahrverbotes“. Die Polizei hat ihm Ratenzahlung gewährt und ihn am 11.04.2022 schriftlich aufgefordert, seinen Führerschein abzugeben, weil sie meinte, der Bußgeldbescheid sei insoweit rechtskräftig geworden. Mit Schriftsatz vom 31.03.2022 hat seine Verteidigerin Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt, den die Polizei mit Bescheid vom 26.04.2022 als unzulässig, weil verspätet, verworfen hat. Mit bei der Polizei am 05.05.2022 eingegangenen Schreiben hat die Verteidigerin einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Zwecks Entscheidung darüber waren die Akten am 17.05.2022 beim AG eingegangen. Das Gericht hat mit Beschluss vom 25.07.2022 den Bescheid der Polizei vom 26.04.2022 nur hinsichtlich der Rechtsfolge aufgehoben und i.Ü. den Antrag verworfen, weil es bereits das Schreiben des B als ein auf die Rechtsfolge beschränkten Einspruch gegen den Bußgeldbescheid bewertet hat. Anschließend hat es die Akten zurückgesandt.Die Amtsanwaltschaft hat am 04.10.2022 dem AG die Akten vorgelegt, das den B am 23.02.2023 auf der Grundlage des im Übrigen rechtskräftigen Bußgeldbescheides zu einer Geldbuße von 1.270 EUR unter Gewährung von Ratenzahlung und einem Fahrverbot von zwei Monaten verurteilt hat. Zugleich hat es eine Wirksamkeitsbestimmung nach § 25 Abs. 2a StVG angeordnet. Gegen das Urteil hat die Verteidigerin für den B rechtzeitig die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Rechtsbeschwerde eingelegt.
Entscheidung
Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde des B führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Einstellung des Verfahrens wegen des Verfahrenshindernisses der Verfolgungsverjährung nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 206a Abs. 1 StPO.
Auf die Sachrüge sei bereits v.A.w. zu prüfen, ob die Prozessvoraussetzungen vorliegen. Die Prüfung habe ergeben, dass Verfolgungsverjährung bereits eingetreten war, als die Amtsanwaltschaft die Akten am 04.10.2022 dem Gericht nach § 69 Abs. 4 Satz 2 OWiG vorgelegt hat. Ausweislich des dem Senat im Wege des Freibeweises zugänglichen Akteninhalts habe der B die verfahrensgegenständliche Handlung am 13.08.2021 begangen. Da sein Aufenthalt nicht ermittelt werden konnte, habe die Polizei am 22.10.2021 das Verfahren vorläufig eingestellt, wodurch der Lauf der dreimonatigen Verfolgungsverjährung unterbrochen wurde (§ 33 Abs. 1 Nr. 5 OWiG). Am 11.11.2021 habe sie die Anhörung des B veranlasst, so dass bei Zustellung des Bußgeldbescheides vom 14.12.2021 am 06.01.2022 die dreimonatige Verjährungsfrist nach 26 Abs. 3 StVG noch nicht abgelaufen war. Die durch die Zustellung bewirkte Unterbrechung habe nach § 26 Abs. 3 StVG zugleich die Verlängerung der Frist der Verfolgungsverjährung von drei auf sechs Monate zur Folge gehabt. Diese am 05.07.2022 abgelaufene Frist sei nicht erneut unterbrochen worden.
Weder der Eingang der Akten beim Gericht am 17.05.2022 zwecks Entscheidung über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung des B (§§ 69, 62 OWiG) noch die Rückgabe der Akten nach Erlass des Beschlusses hätten zu einer weiteren Unterbrechung der Verfolgungsverjährung nach § 33 Abs. 1 Nr. 10 OWiG geführt. Denn die Übersendung der Akten habe keine Aktenübersendung i.S.v. § 69 Abs. 3 OWiG dargestellt, weil die hiesige Vorlage auf anderen als den in diesen Regelungen genannten Gründen beruhte. Auch deren Rücksendung hat nicht der weiteren Aufklärung des Sachverhalts gedient, wie es § 69 Abs. 5 Satz 1 OWiG erfordere. Die Durchführung des Verfahrens nach §§ 69, 62 OWiG habe ebenfalls zu keiner weiteren Unterbrechung der Verjährung geführt. Zwar sei in der obergerichtlichen Rspr. anerkannt, dass auch die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (und gleiches gilt auch für die Gewährung der Wiederaufnahme eines Verfahrens) dazu führen kann, dass mit der Entscheidung über die Wiedereinsetzung die Frist der Verfolgungsverjährung erneut zu laufen beginnt. Das setze aber jeweils voraus, dass der Bußgeldbescheid bereits vor der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und vor Eintritt der Verfolgungsverjährung tatsächlich in (Voll-)Rechtskraft erwachsen war.
Es bedürfe keiner Entscheidung, ob die hiesige Fallkonstellation der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder der Anordnung der Wiederaufnahme des Verfahrens gleichsteht, weil jedenfalls der Bußgeldbescheid vor Eintritt der Verfolgungsverjährung am 05.07.2022 nicht in Rechtskraft erwachsen sei. Der B hat mit dem Schreiben vom 07.01.2022 innerhalb der 14-tägigen Frist Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt. Infolgedessen sei auch nach Auffassung der Polizei der Bußgeldbescheid nicht rechtskräftig geworden. Die Verwerfung des Einspruchs der Verteidigerin durch die Polizei am 26.04.2022 gegen den Bußgeldbescheid als unzulässig habe ebenfalls nicht zur Rechtskraft geführt, weil die Verteidigerin am 05.05.2022 und damit fristgerecht einen Antrag auf gerichtlichen Entscheidung nach § 62 OWiG gestellt hat. Wegen der bereits am 05.07.2022 eingetretenen Verfolgungsverjährung sei offensichtlich, dass auch die Entscheidung des Gerichts über diesen Antrag am 25.07.2022 zu keiner weiteren Unterbrechung führen konnte.
Selbst wenn das Gericht vor Ablauf des 05.07.2022 entschieden hätte, hätte dies zu keiner anderen Betrachtung geführt. Mit dem Beschluss hat das Gericht den Bescheid der Polizei in der Rechtsfolge aufgehoben; lediglich der Schuldspruch ist in Rechtskraft erwachsen. Denn nach den Ausführungen des Gerichts hat es das Schreiben des B vom 07.01.2022 als einen auf die Rechtsfolge beschränkten Einspruch ausgelegt. Die damit eingetretene sog. horizontale Rechtskraft habe nicht die Rechtswirkung einer Vollrechtskraft und steht der Berücksichtigung von Verfahrenshindernissen nicht entgegen.Da die Tat bereits vor Erlass des angefochtenen Urteils verjährt war, habe ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegen. Der Senat hebt daher das angefochtene Urteil auf und stellt das Verfahren gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 206a StPO ein.
Praxishinweis
Die Entscheidung des KG stellt mustergültig dar, wie die Verjährung als Verfahrenshindernis – bei erhobener Rüge materiellen Rechts von Amts wegen (BGH BeckRS 1967, 106046) – zu prüfen ist. Mit der Klarstellung, dass die Aktenübersendung zur Entscheidung eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung nicht die verjährungsunterbrechende Wirkung des § 33 Abs. 1 Nr. 10 entfaltet, ist ein weiterer Ansatz der Prüfung der – kurzen – Verjährungsfristen bei Verkehrsordnungswidrigkeiten durchentschieden und im Auge zu behalten.
KG, Beschluss vom 16.06.2023 - 3 ORbs 108/23, 162 Ss 51/23 (AG Berlin-Tiergarten), BeckRS 2023, 17447